Was steckt hinter den Forderungen?
Wahlsieger CDU will Bürgergeld abschaffen: „Totalverweigerer“ auch bei möglichen Koalitionspartnern im Fokus
- VonMax Schäferschließen
Mit dem Wahlsieg der Union rückt nun die mögliche Abschaffung des Bürgergelds, auch FDP und AfD wollen grundlegende Änderungen. Dabei sind „Totalverweigerer“ im Fokus. Was steckt dahinter?
Berlin – Das Bürgergeld stand vor der Bundestagswahl in mehrfacher Hinsicht im Fokus: Die Arbeitslosenzahlen steigen, gleichzeitig ist auch die wirtschaftliche Lage nach wie vor nicht viel besser. Der Bundeshaushalt ist knapp bemessen, dementsprechend ist ein gewisser Spardruck da. Gleichzeitig ist der Bedarf an Fachkräften in einigen Branchen immens.
Wird das Bürgergeld nach der Wahl abgeschafft? Was die Parteien planen
Nun droht der Grundsicherung die Abschaffung – zumindest in der bisherigen Form. Denn so lautet eine zentrale Forderung der CDU mit Kanzlerkandidat Friedrich Merz, die eine „Neue Grundsicherung“ einführen will. Auch AfD und FDP planen eine große Reform. Die FDP könnte beim Einzug in den Bundestag ein Koalitionspartner der Union sein. Entscheidend ist, was SPD und Grüne machen, die auf die Förderung der Erwerbslosen bei der Rückkehr in Arbeit setzen.
Doch in Koalitionsverhandlungen könnten die beiden Parteien jeweils auf die Union zugehen. Denn: In der letzten Woche vor der Wahl sind auch SPD und Grüne auf die „Totalverweigerer“ eingegangen. So hatte Grünen-Politikerin Annalena Baerbock erklärt, „Totalverweigerern müsste deutlich gemacht werden, dass das keine dauerhafte Durchfinanzierung ist“. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte sich für „öffentlich geförderte Jobangebote“ ausgesprochen.
Der Bürgergeld-Streit dreht sich vor allem darum, wie die Beziehenden möglichst schnell wieder in Arbeit kommen – neben der Höhe des Regelsatzes. Bereits seit der Zuspitzung der Haushaltskrise hat die Politik dabei den Druck auf die Leistungsbeziehenden erhöht. So hat die Ampel-Koalition etwa Ende März 2024 die komplette Streichung des Bürgergelds für zwei Monate ermöglicht, wenn mehrfach Arbeitsangebote abgelehnt werden. Im Rahmen der sogenannten Wachstumsinitiative sollten strengere Regeln und härtere Sanktionen ermöglicht werden.
„Totalverweigerer“ bestimmen Bürgergeld-Streit vor der Bundestagswahl
Dazu war es aufgrund des Koalitionsbruchs nicht mehr gekommen. Im Wahlkampf dominierte schließlich die Debatte um sogenannte „Totalverweigerer“ im Bürgergeld. Dabei ist die Gruppe nur sehr klein. Im Januar 2025, das sind die aktuellsten Zahlen, haben 5,5 Millionen Menschen die Leistung bezogen. Davon waren 1,5 Millionen nicht erwerbsfähig. Von den 3,96 Millionen Erwerbsfähigen jedoch bereits etwa 800.000 einer Arbeit nach. Ihr Gehalt reicht schlicht nicht aus. Letztendlich stehen noch 1,7 Millionen Menschen dem Arbeitsmarkt auch zur Verfügung.
Die Zahl der „Totalverweigerer“ innerhalb dieser Gruppe von 1,7 Millionen Erwerbslosen ist verschwindend gering. Laut Angaben des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt es keine Zahlen zu Bürgergeld-Streichungen bei mehrfach abgelehnten Stellenangeboten. In den BA-Statistiken ist jedoch die Zahl der wegen der „Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“ aufgelistet. Im September 2024 gab es aus diesem Grund 2088 Leistungskürzungen – von insgesamt 33.570. Häufig scheitert die Jobsuche der Bürgergeld-Empfänger an den Anforderungen des Arbeitsmarkts, die nicht zu ihren Qualifikationen passen.
Union, FDP und AfD setzen vor der Bundestagswahl auf Härte gegen Bürgergeld-„Totalverweigerer“
Im letzten gesamten Jahr, die in den Daten vorhanden sind, ergeben sich 21.766 Sanktionen wegen abgelehnter Jobangebote. Ob die Betroffenen mehrfach eine Stelle ausgeschlagen haben, geht daraus nicht hervor. Selbst wenn jede einzelne Sanktion für eine Person dieser der Kategorie „Totalverweigerer“ stünde, wäre das jedoch 1,3 Prozent der tatsächlich für den Arbeitsmarkt verfügbaren Menschen.
Trotz dieser Daten drehen sich die Bürgergeld-Forderungen der Parteien bei der Bundestagswahl vor allem um den Umgang mit dieser Kleinstgruppe. Union, FDP und AfD planen harte Sanktionen. Auch in Koalitionsverhandlungen wird das Thema. Doch was stand in den Wahlprogrammen genau?
CDU und CSU wollen Bürgergeld abschaffen und „neue Grundsicherung“ aufbauen
Die Union will durch die „neue Grundsicherung“ Erwerbslosen den Regelsatz vollständig streichen, wenn diese Stellenangebote ausschlagen oder mehrfach Termine im Jobcenter verpassen. Dabei wollen sie auch den sogenannten Vermittlungsvorrang wieder einführen, der eine schnelle Wiederaufnahme der Arbeit statt Maßnahmen wie einer Qualifizierung vorsieht.
Zudem plant die Union eine Reform der Hinzuverdienstgrenzen und Transferentzugsraten. Das Vermögen der Betroffenen soll zusätzlich schneller geprüft werden. Auch eine Arbeitspflicht für die „Totalverweigerer“ ist im Gespräch.
FDP will Bürgergeld-Höhe verringern und „aktive Bringschuld“ umsetzen
Die FDP will Leistungsbeziehende zu einer „aktiven Bringschuld und Eigeninitiative inklusive Beweislast verpflichten“. Jobcenter sollen bei der Rückkehr in Arbeit unterstützen und bei fehlender Eigeninitiative harte Sanktionen aussprechen. Zusätzlich sollen die Zumutbarkeitsregeln verschärft werden, was zu längeren Arbeitswegen führen könnte. Der Regelsatz soll über eine Änderung der Besitzstandregelung gekürzt werden.
Eine „aktivierende Grundsicherung“ will die AfD einführen. Nicht-Deutsche sollen dabei erst nach zehn Jahren in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Bürgergeld erhalten. Zudem soll der Bezug auf ein Jahr begrenzt werden. Wer mehr als sechs Monate Grundsicherung bezieht, soll zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden.
SPD und Grüne setzen beim Bürgergeld auf Qualifizierung – Linke wollen „Mindestsicherung“
Die SPD will laut Wahlprogramm das Bürgergeld beibehalten und auf eine stärkere Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik setzen. Der soziale Arbeitsmarkt habe sich bewährt. Dadurch soll Erwerbslosen Teilhabe und der Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit ermöglicht werden.
Auch die Grünen wollen das Bürgergeld behalten und die Leistungen verbessern. Sie wollen die Hinzuverdienstgrenzen verbessern und stärker auf Qualifizierung, Ausbildung und Weiterbildung setzen. Gleichzeitig sollen Antragsprozesse vereinfacht und digitalisiert werden.
Linke setzt auf sanktionsfreie Mindestsicherung statt dem bisherigen Bürgergeld
Die Linke setzt auf eine sanktionsfreie, individuelle Mindestsicherung. Anspruch sollen alle haben, die kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen haben. Um „Armut zu verhindern“ will sich die Partei an der Armutsgefährdungsgrenze von aktuell 1400 Euro orientieren. Mieten sind dabei bereits mit eingeschlossen.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will das Bürgergeld durch eine „leistungsstarke und leistungsgerechte Arbeitslosenversicherung“ ersetzen.
Umsetzbarkeit und Wirkung von Bürgergeld-Forderungen vor der Bundestagswahl umstritten
Gerade Forderungen nach härteren Sanktionen wie die Komplettstreichungen der Union sind juristisch heikel und haben hohe Hürden. Das Bundesverfassungsgericht hatte im November 2019 Leistungskürzungen über 30 Prozent des Regelsatzes als unvereinbar mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum erklärt. Der Fokus auf die „Totalverweigerer“ und die Arbeitspflicht zeige die „moralische Verlotterung“ der Bürgergeld-Debatte, sagte etwa IG Metall-Sozialvorstand Hans-Jürgen Urban.
Die Wirkung einer breitangelegten Arbeitspflicht für Bürgergeld-Beziehende ist zudem fraglich. Eine Umsetzung über sogenannte Ein-Euro-Jobs eigne sich vor allem für langzeitarbeitslose Personen, wenn die Stelle nah am Arbeitsmarkt ist. Bei anderen Gruppen könnte sie laut Fachleuten bei der Rückkehr in Arbeit schaden. Eine Arbeitsgelegenheit könne das „richtige Instrument“ sein, „um jemanden weiter am Arbeitsprozess und an Tagesstruktur teilhaben zu lassen“, sagte etwa auch Marcus Weichert, Chef des Dortmunder Jobcenters, im IPPEN.MEDIA-Interview. „Aber sie kann immer nur eine Ultima Ratio sein, um Menschen weiterhin zu motivieren, um wieder Fuß zu fassen am Arbeitsleben.“
Ökonom sieht Bürgergeld-Reform nach der Bundestagswahl als nötig an – hat jedoch anderen Ansatz
Stattdessen müssten laut Weichert die Stärken und eine mögliche Weiterqualifizierung der Erwerbslosen geprüft werden. Der Austausch mit Arbeitgebern sei ebenfalls wichtig. Auch DIW-Ökonom Marcel Fratzscher sieht eher Qualifikation und Weiterbildung der Beziehenden als nötigen Ansatzpunkt einer Bürgergeld-Reform. Dadurch könnte das sogenannte Mismatch-Problem, wonach die Erwerbslosen nicht die auf dem Arbeitsmarkt gesuchten Qualifikationen haben. „Eine ehrliche Analyse der Zahlen zeigt: Die große Mehrheit dieser 1,7 Millionen Menschen hat weder Schul- noch Berufsabschluss und ist für den Arbeitsmarkt unzureichend qualifiziert“, erklärte Fratzscher. „Nicht Faulheit, sondern fehlende Chancen und eine mangelnde Infrastruktur sind bei Weitem die Hauptgründe, weshalb Menschen in Deutschland Bürgergeld beziehen.“
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