Arbeitslosen fehlt Qualifikation

Warum finden Bürgergeld-Empfänger nicht einfach einen Job?

  • VonMax Schäfer
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Millionen von Leuten beziehen Bürgergeld, während Unternehmen verzweifelt nach Fachkräften suchen. Warum übernehmen die Arbeitslosen nicht einfach die offenen Jobs?

München – 5,5 Millionen Menschen leben in Deutschland vom Bürgergeld, die gesamte Grundsicherung hat den Bund 2024 etwa 50 Milliarden Euro gekostet. Angesichts der Haushaltslücke sah sich die Politik zum Sparen gezwungen. Ein Ansatz war es, Bürgergeld-Empfänger in Arbeit zu bringen. Das Mittel der Wahl: härtere Sanktionen.

1,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger könnten arbeiten – doch es gibt Hindernisse

Friedrich Merz und die Union wollen die Politik fortsetzen. Der CDU-Politiker will Sanktionen noch verschärfen, um erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger in Arbeit zu bringen. Dazu will Merz 1,8 Millionen Menschen die Grundsicherung kürzen, die seiner Ansicht nach arbeiten könnten, es jedoch nicht tun. So sollen 400.000 Menschen in Arbeit kommen. Angesichts von knapp 11,6 Millionen Stellen, die laut einer Auswertung des Unternehmens Index Research für IPPEN.MEDIA in Deutschland ausgeschrieben waren, sollte das doch möglich sein. Oder?

Nicht mehr abhängig vom Jobcenter: Vielen Bürgergeld-Empfängern fällt die Jobsuche schwer, weil die Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht zu ihrer Ausbildung passen. (Symbolfoto)

Tatsächlich zeigen die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit, dass mehr als 1,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger als erwerbsfähig gelten und dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehen. Bei fast 90 Prozent gibt es jedoch Vermittlungshemmnisse. Die Erwerbslosen weisen also Merkmale auf, die die Arbeitsaufnahme erschweren oder sie für Arbeitgeber unattraktiv machen. Fast 44 Prozent der Betroffenen haben mindestens zwei solcher Merkmale.

Bürgergeld-Empfänger haben mehrheitlich keinen Berufsabschluss

Das beginnt schon bei der fehlenden Ausbildung. 2023 hatten 56 Prozent der Arbeitslosen laut Arbeitsagentur keinen formalen Berufsabschluss. Bei den Langzeitarbeitslosen sind es 60,8 Prozent. Für sie kommen damit lediglich sogenannte Helfer-Tätigkeiten infrage. 61,2 Prozent suchen einen Job mit einem solchen Anforderungsprofil, lediglich etwas mehr als ein Viertel der Erwerbslosen ist Fachkraft.

Damit haben es die Bürgergeld-Empfänger auf dem Arbeitsmarkt schwer, wie aus der Stellendatenbank von Index Research hervorgeht. Im Auftrag von IPPEN.MEDIA hat die Analysefirma Stellenanzeigen in Printmedien, Onlinebörsen, Firmenseiten und im Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit nach Hierarchiestufen untersucht. Dadurch kann annäherungsweise gezeigt werden, wie viele passende Stellen es für die Qualifikation der Mehrheit der Bürgergeld-Beziehenden gibt.

Unternehmen suchen kaum ungelernte Arbeitskräfte – Ausweg aus dem Bürgergeld damit schwer

Dabei zeigt sich das Problem für die Bürgergeld-Empfänger ohne Berufsabschluss: Von den etwas mehr als 11,6 Millionen Stellen, die laut der Index-Datenbank 2024 ausgeschrieben waren, richteten sich lediglich knapp 160.000 an ungelernte Arbeitskräfte. Das entspricht etwa 1,4 Prozent des gesamten Stellenmarkts.

HierarchiestufenAusgeschriebene Stellen 2024
Gesamt11.629.107
Fachkräfte mit Berufsausbildung3.290.988
Gewerbliche Fachkräfte3.039.900
Fachkräfte mit akademischer Bildung1.911.186
Ausbildung1.061.679
Projektleitung731.917
Abteilungsleiter, Gruppenleiter564.823
Ungelernte Arbeitskräfte159.207
Quelle: Index Stellendatenbank

Den größten Bedarf gab es in den Branchen Transport, Verkehr, Logistik und Lager mit 47.000 Stellen, an zweiter Stelle liegen Vertrieb und Verkauf mit rund 37.000 Stellen. Positiv dabei: Entgegen dem allgemeinen Trend ist die Zahl der ausgeschriebenen Stellen für Ungelernte um 5,7 Prozent gestiegen.

Nur ein Drittel der Bürgergeld-Empfänger erfüllt bei der Jobsuche die gesuchten Kriterien

Die meisten offenen Stellen, mit 28,3 Prozent aller Ausschreibungen, richteten sich jedoch an Fachkräfte mit Berufsausbildung. Auch gewerbliche Fachkräfte (26,1 Prozent) und Fachkräfte mit akademischer Bildung, also einem Hochschulabschluss, waren gefragt. Unter den Bürgergeld-Empfängern machen diese Gruppen dagegen die Minderheit aus. Lediglich ein Drittel hat eine Ausbildung abgeschlossen – knapp 26 Prozent der Langzeitarbeitslosen und 28 Prozent der Nicht-Langzeitarbeitslosen ist Fachkraft.

Die Anforderung der deutlichen Mehrheit der Stellen auf dem Arbeitsmarkt entspricht damit nicht ansatzweise den Kenntnissen, die die Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger bieten kann. Zur Erinnerung: Allein unter den Langzeitarbeitslosen haben 550.000 keine abgeschlossene Ausbildung. Fachleute sprechen dabei von einem Mismatch-Problem. Fachleute sprechen sich deshalb für eine Stärkung der Qualifizierung und Weiterbildung der Erwerbslosen aus. Doch viele Programme werden wegen Finanzierungsschwierigkeiten kaum genutzt.

Neben der Qualifikation behindern weitere Faktoren die Rückkehr aus der Grundsicherung

Auch das Alter erschwert vielen Arbeitslosen die Rückkehr. Allein 280.000 Langzeitarbeitslose waren 2023 älter als 55 Jahre. Damit sind sie häufig unattraktiv für Arbeitgeber. Schwerbehinderungen sind ein weiteres Hindernis. Letztendlich bleiben noch 200.000 erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger aus der von Friedrich Merz angesprochenen Gruppe, die kein Hindernis aufweisen.

Die besten Arbeitgeber in Deutschland: Zu diesen Unternehmen wollen Fachkräfte 2025 gehen

Siemens AG - Hauptversammlung
Siemens hat es an die Spitze geschafft: In Deutschland würden viele Ingenieure am liebsten zu diesem Arbeitgeber gehen. Dort erhoffen sie sich neben guter Bezahlung und flexiblen Arbeitszeiten eine Firma, die für Innovation steht.  © Sven Hoppe/dpa
Die Vorstände des Technologie-Konzerns Bosch Christian Fischer (l-r), Markus Forschner, Stefan Grosch, Stefan Hartung (Vorsitzender), Tanja Rückert, Markus Heyn und Frank Meyer stehen bei der Bilanz-Pressekonferenz des Konzerns an einem Bosch Logo.
Bosch ist auf Platz 2 der führenden Arbeitgeber für junge Fachkräfte im Ingenieurswesen in Deutschland. Damit ist erstmals kein Automobilunternehmen ganz oben mit dabei - dafür aber ihre Zulieferer.  © Bernd Weißbrod/dpa
Porsche 911 Turbo 50 Jahre
Im Ranking der Beratungsfirma Universum hat es Porsche auf den dritten Platz geschafft. Beim letzten Ranking stand der Autokonzern noch an der Spitze, büßt bei Ingenieuren also zwei Plätze ein.  © Porsche AG
BMW-Stammwerk in München
Auch die BMW Group gehört zu den beliebtesten Arbeitgebern der deutschen Ingenieure. Wie viele Autokonzerne kämpft auch BMW mit harten Zeiten - doch beim Thema E-Mobilität hat dieses Unternehmen die Nase vorn.  © Sven Hoppe/dpa
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen, l-r), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Markus Schäfer, Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz Group, Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Group, und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, stehen während der Eröffnungsfeier des Mercedes-Benz-Campus ´zusammen
Bei Mercedes-Benz erhoffen sich Ingenieure ebenfalls eine gute Zukunft mit guter Bezahlung und fairen Arbeitsbedingungen. Noch dazu scheint das Unternehmen sich als besonders innovativ herausstellen zu können.  © Sebastian Gollnow/dpa
Ein Airbus von Qatar Airways landet auf dem Hamburger Flughafen
Einen Platz nach oben gerutscht ist im Universum-Ranking für Ingenieure auch Airbus. Der Flugzeughersteller konnte sich in den vergangenen Monaten gegenüber dem Konkurrenten Boeing positiv positionieren - letzterer ist geplagt von Skandalen und Negativschlagzeilen.  © Georg Wendt/dpa
Gernot Döllner, Vorstandsvorsitzender der Audi AG, bei der Vorstellung der Jahreszahlen 2023.
Auch Audi bleibt bei Ingenieuren als Arbeitgeber beliebt - muss aber zwei Plätze im Vergleich zum Vorjahr einbüßen. Die Ingolstädter leiden ebenfalls unter der Autokrise - gerade wird über die Schließung eines Werks in Brüssel intensiv diskutiert.  © Sven Hoppe/dpa
Google eröffnet Cloud-Rechenzentrum in Hanau
Google ist für Ingenieure ein beliebter Arbeitgeber in Deutschland, der Tech-Riese steigt sogar auf im Ranking. Bei der letzten Untersuchung konnte Google nur den 10. Platz für Ingenieure belegen. Dafür ist der Gigant aus den USA im Fachkräfte-Ranking bei der IT an der Spitze der beliebtesten Arbeitgeber.  © Arne Dedert/dpa
Deutsche Bahn fährt in Dresden
Kaum zu glauben, aber wahr: Die Deutsche Bahn gehört zu den beliebtesten Arbeitgebern für Ingenieure in Deutschland. Trotz seines schlechten Rufs als Verkehrsmittel scheint die Firma insbesondere Fachkräfte gut zu erreichen. Bei den Lokführern und Kontrolleuren hingegen hörte man zuletzt eigentlich nur Frust.  © Robert Michael/dpa
Björn Bernhard, Geschäftsführer der Rheinmetall Landsysteme GmbH, spricht bei der Übergabe vom Radpanzer für die Bundeswehr vom Typ Boxer als Schwerer Waffenträger Infanterie. Der Rüstungskonzern Rheinmetall ist mit der Lieferung der 123 Boxer-Fahrzeuge beauftragt worden.
Auf Platz 10 hat es zum ersten Mal ein Rüstungsunternehmen geschafft: Rheinmetall steigt im Ranking der Ingenieure um drei Plätze auf. Damit profitiert das Unternehmen von einer neuen Stellung und Wahrnehmung im Land.  © Philipp Schulze/dpa

Dazu zählen auch Alleinerziehende, wenn ihre Kinder älter als drei Jahren sind. Doch für sie gibt es häufig nicht ausreichend Betreuungsplätze, damit sie arbeiten können. Zudem sind Frauen bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen unterrepräsentiert. Wenn sie gefördert werden, arbeiten sie häufig in Teilzeit – und haben ein geringeres Gehalt.

Arbeitsmarkt könnte für Bürgergeld-Empfänger noch schwerer werden

Im Sondierungspapier wollen Union und SPD bei der Grundsicherung deshalb auf die Qualifizierung von Menschen mit Vermittlungshemnissen setzen – zusätzlich zum vollständigen Leistungsentzug, den die CDU im Wahlkampf gefordert hatte.

Perspektivisch könnte sich das Problem auf dem Arbeitsmarkt noch verschärfen. Angesichts der schwachen Konjunktur und Absatzproblemen streichen viele Unternehmen Stellen – und schreiben keine neuen Jobs aus. Bereits von 2023 auf 2024 verzeichnete Index Research insgesamt einen Rückgang der ausgeschriebenen Stellen um vier Prozent von 12,1 Millionen auf 11,6 Millionen. Eine Rückkehr der Bürgergeld-Bezieher in Arbeit bleibt damit schwer.

Rubriklistenbild: © Jens Kalaene/dpa

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