Friedenskanzler oder „Parteisoldat“?
Scholz oder Pistorius: Mit der K-Frage entscheidet die SPD auch über ihre Friedenspolitik
VonAndreas Schmidschließen
Scholz oder Pistorius? Bei der Antwort auf die Kanzler-Frage der SPD geht es nicht nur um Umfragen, sondern auch um den „Friedenskurs“.
Geboren in Osnabrück. Juraausbildung. Mitte 60. Seit Jahren politische Verantwortung in der SPD: Boris Pistorius und Olaf Scholz haben einiges gemeinsam. Doch: Der eine ist Umfragen zufolge der beliebteste Spitzenpolitiker des Landes – der andere der unbeliebteste. Wo unterscheiden sie sich also? Gegensätze gibt es in der „Friedenspolitik“. Wird die das Zünglein an der K-Waage in Richtung Scholz?
Friedenskanzler Scholz? Taurus-Veto und Telefondiplomatie mit Putin im Ukraine-Krieg
Scholz gibt sich derzeit gerne als Friedenskanzler. Auch nach dem Ampel-Aus und einem Kurswechsel der USA stellt er sich deutlich gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Der Kanzler hatte mehrfach darauf verwiesen, dass die Taurus-Raketen mit ihrer Reichweite von bis zu 500 Kilometern von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen könnten. Es sei daher weiterhin „zentral“, mit „Besonnenheit“ zu handeln. Der Kreml applaudierte. „Ich denke, dass die derzeitige Position von Scholz eine verantwortungsvolle Position ist“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow.
Tage zuvor hatte Scholz mit Wladimir Putin telefoniert. Der Kanzler verurteilte den Angriffskrieg in dem Gespräch und drängte auf eine „Bereitschaft Russlands zu ernsthaften Verhandlungen mit der Ukraine mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens für die Ukraine“, wie es aus Regierungskreisen hieß. Gebracht hat das einstündige Telefonat wenig, Russland setzte seine Bombardements fort.
Scholz erntete prompt Kritik für seine Telefondiplomatie. Das erste Gespräch seit zwei Jahren komme zum falschen Zeitpunkt, jetzt, wo der mehrheitslose Scholz politisch derart angeschlagen sei. Zudem stelle sich die Frage, ob Scholz womöglich einen Wahlkampf als „Friedenskanzler“ plane, hieß es am Wochenende am Rande des Grünen-Parteitags von mehreren Delegierten. Das wäre keine Überraschung, schließlich hatte sich Scholz schon im Europawahlkampf entsprechend positioniert.
Die Angst vieler Deutschen vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs ist real
Doch geht diese Strategie auf? Die „Friedenspolitik“ könnte tatsächlich eines der wenigen Felder sein, auf denen Scholz im Wahlkampf punkten könnte. Die Kanzlerkandidaten von CDU und Grünen, Friedrich Merz und Robert Habeck, fordern öffentlich die Lieferung von Taurus-Raketen – Merz zuletzt etwas weniger vehement. Scholz kann hier einen Unterschied machen.
Eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt die Taurus-Freigabe ab. In einer Erhebung vom April 2024 war nur etwas mehr als ein Drittel der Befragten dafür. Aktuellere Umfragen dazu liegen nicht vor. Doch die Position vieler Bundesbürger dürfte sich nicht großartig verändert haben.
Auch wenn das im politischen Berlin weniger präsent ist: Die Angst vieler Deutschen vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs ist real. Gerade in Ostdeutschland herrscht große Skepsis vor immer mehr militärischer Unterstützung für die Ukraine. Das haben nicht zuletzt die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gezeigt.
Deutschland Osten hadert im Ukraine-Krieg – kann Scholz hier eher punkten?
„Früher habe ich SPD gewählt“, sagte unserer Redaktion eine Rentnerin bei einer Wahlkampfveranstaltung von Sahra Wagenknecht in Jena. „Aber die haben mich alle enttäuscht.“ Hier im Osten sprächen sich nur zwei Parteien gegen weitere Waffenlieferungen aus: Wagenknechts BSW und die AfD. Eine Lücke für die etablierten Parteien? Scholz dürfte man einen „Friedenswahlkampf“ eher abnehmen als seinem seit Amtsantritt mehrfach in Panzern posierenden Verteidigungsminister.
Pistorius: „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein“
Zwar spricht sich auch Pistorius öffentlich gegen Taurus-Lieferungen aus. „An der Position der Bundesregierung insgesamt hat sich nichts geändert“, sagte der Minister am Dienstag – ehe er anfügte: „Im Moment“ sei das Liefern von Taurus nicht denkbar. Der Verteidigungsminister wirkt dabei sprachlich nicht ganz so energisch. Welt-Journalist Robin Alexander schrieb dieser Tage gar, Pistorius gelte „als – wenn auch unerklärter – Befürworter von Taurus-Lieferungen und der Aufhebung der Reichweitenbegrenzung für andere Waffen“.
Überhaupt steht Pistorius für einen anderen Kurs in der Verteidigungspolitik. Er fordert mit Nachdruck mehr Geld für die Bundeswehr – auch über Scholz‘ Sondervermögen hinaus. Ferner spricht er sich für eine neue Art der Wehrpflicht aus, er bezeichnet in seinen verteidigungspolitischen Richtlinien „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“ und forderte im Parlament: „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein.“ Sätze, die man von Scholz so nie gehört hat. Und die auch bei der SPD-Spitze nicht allzu gut ankamen. „Ich würde mir diese Wortwahl nicht zu eigen machen“, sagte etwa Fraktionschef Rolf Mützenich.
Mützenich und andere Entscheider in der SPD – etwa Generalsekretär Matthias Miersch – scheinen vom „Friedenskurs“ des Kanzlers überzeugt. Die SPD verweist dabei gerne darauf, dass Deutschland fest an der Seite der Ukraine stehe und das von Russlands Angriff gezeichnete Land auch weiter finanziell unterstütze. Doch: „Wir achten darauf, dass Deutschland nicht Kriegspartei wird, und lehnen nationale Alleingänge ab.“ So heißt es in einem Positionspapier der Fraktion.
Ukraine, Russland, Krieg, Zweifel: Friedenspolitik könnte die SPD-K-Frage entscheiden
Punkten kann Scholz mit diesem Kurs bislang allerdings nicht. Warum ist das so? Allein an Scholz‘ dürftiger Regierungsbilanz kann es nicht liegen. Denn bei genauem Hinsehen hat auch der bei der Bundeswehr sehr geschätzte Pistorius fernab von Ankündigungen bislang wenig für die Truppe erreicht.
Eine Rolle spielt sicherlich das öffentliche Auftreten der beiden Politiker, schließlich gehen die Befragten in solchen Beliebtsheitsrankings nicht selten nach Sympathie. Damit kann Scholz kaum punkten. Er gilt als reserviert, wenig charismatisch. Scholz spricht ohne Emotion in der Tonlage, einschläfernd. Pistorius verkörpert ein anderes Image. Er argumentiert eher in einfachen statt in Schachtelsätzen, wirkt nahbar und personifiziert gleichzeitig Führungsstärke. Einer, der anpackt – so wirkt es.
Kanzler-Frage in der SPD: Scholz oder Pistorius?
Weil die Umfragewerte so sind, wie sie sind, gibt es in der SPD dieser Tage ernsthafte Rufe, den Kanzlerkandidaten auszutauschen. Mit Scholz habe man keine Chance, heißt es hinter vorgehaltener Hand von manchen SPD-Politikern. Vor allem in der SPD-Basis sei die Unterstützung für Pistorius groß, wie unter anderem der einflussreiche NRW-Landesverband berichtete. Die SPD-Parteispitze gibt sich noch zurückhaltend. „Es ist ein Trugschluss zu sagen: Wir tauschen jetzt den einen gegen den anderen aus, dann wird alles besser“, erklärte SPD-Chef Lars Klingbeil am Wochenende im Interview mit unserer Redaktion.
Und Pistorius? Der weicht zunächst aus. Sagt, er habe nie Ambitionen für das Kanzleramt gehabt und sei glücklich auf seinem Posten. Er werde „einen Teufel tun und mir jetzt sagen: Ich mache das, ich trete jetzt an“, sagte er am Montag in Passau. „Nein, das werden Sie von mir nicht hören. Ich bin Parteisoldat.“ Pistorius dürfte mit dem Begriff Parteisoldat seine Loyalität zur SPD verdeutlichen wollen. Manch einer könnte das aber auch als kleinen militärischen Wink verstanden haben. Als Unterschied in der Friedenspolitik?
In der SPD wirkt es so, als wolle man Scholz nicht stürzen. Nur kein Putsch, keine Unruhe. Andererseits haben es die Sozialdemokraten bislang verpasst, öffentlich für Klarheit zu sorgen. Weniger als 100 Tage vor der Neuwahl gibt es noch immer kein deutliches Bekenntnis in der K-Frage. Scholz oder Pistorius? Die SPD muss allmählich entscheiden, was sie will. Dabei dürfte es nicht nur um Umfragewerte gehen. Auch die Friedenspolitik könnte ein entscheidender Punkt sein. (Andreas Schmid)
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