„Unsägliche Ampel in Rente schicken“
Wagenknecht in Thüringen: Grünen-Attacken, keine AfD-Kritik – „Mich hat man immer beschimpft“
VonAndreas Schmidschließen
Sahra Wagenknecht holt in Thüringen zum Rundumschlag gegen die Ampel und vor allem die Grünen aus. Will sie sich so der CDU als Koalitionspartner anbieten?
Heimspiel für Sahra Wagenknecht: Auftritt in Jena, ihrem Geburtsort, von wo die Frontfrau der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ nach dem Kindergarten zu ihrer Mutter nach Ost-Berlin zog. Ihre Wahlkampf-Rede am Montagabend, wenige Tage vor der Thüringen-Wahl, ist eine Abrechnung mit der Ampel. Allen voran die Grünen geraten ins Visier der BSW-Chefin. Die AfD greift Wagenknecht kein einziges Mal direkt an.
Wagenknecht in Thüringen: „Das ist die einzige, der man noch glauben kann“
„Lassen Sie mich ein bisschen was zur Bundespolitik sagen“, bittet Wagenknecht zu Beginn ihres Vortrags. Aus dem bisschen wird eine knappe halbe Stunde. „Es geht darum, die unsägliche Ampel in die Rente zu schicken“, ruft Wagenknecht, fordert Neuwahlen und wird dabei immer lauter, als wolle sie die fast 500 Zuhörer zu einer Reaktion zwingen. Die klatschende Menge braucht das aber nicht. Wagenknecht wird in Jena teils wie eine Heilige gefeiert. „Das ist die einzige, der man noch glauben kann“, sagt ein älterer Herr in kurzen Shorts zu IPPEN.MEDIA.
Das Thema Enttäuschung zieht sich wie ein roter Faden durch die Äußerungen des Publikums. „Früher habe ich SPD gewählt“, sagt eine Rentnerin. „Aber die haben mich alle enttäuscht. Die guten Leute sind alle weg.“ Ihr jüngerer Begleiter, ein barfüßiger Mann Mitte 50, kritisiert die CDU: „In Sachsen haben wir eine schwarze Regierung, keine rote. Was isn da anders? Nüschts.“
Ampel-Abrechnung von Wagenknecht: Leben „in einem Raumschiff“
Die Menschen bei der Veranstaltung wollen etwas Neues. Und das ist für sie Wagenknecht – nicht die Ampel. In jüngsten Umfragen zur Thüringen-Wahl kamen SPD, Grüne und FDP auf zwölf Prozent. Zusammen. FDP und Grüne stehen vor dem Landtags-Aus. Wagenknecht versteht es, diese Stimmung aufzugreifen: Die Ampel-Politiker lebten „in einem Raumschiff“ und hätten „den Bezug zum realen Leben verloren“.
Als Hauptgegner hat Wagenknecht „die grüne Partei“ ausgemacht und bedient in ihrer Rede immer wieder Klischees. Sie attackiert Parteichefin Ricarda Lang, die hätte zurücktreten müssen, als sie angesprochen von Markus Lanz die Durchschnittsrente in Deutschland nicht sagen konnte. In Annalena Baerbock sieht sie „eine Außenministerin, die mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt reist“. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck glaube, alle Menschen lebten wie seine Freunde „in der hippen Großstadtblase.“ Zudem prangert sie „Ökoaktivismus à la Habeck“ an und meint: „Als Moralweltmeister dürfen wir das böse, aber leider doch sehr billige russische Gas nicht mehr kaufen.“
Wagenknechts Russland-Politik: „Es muss Friedensverhandlungen geben“
Zur beim BSW seit Monaten dominierenden Russland-Frage sagt Wagenknecht: „Natürlich finde ich den Ukraine-Krieg schlimm.“ Aber: „Es muss Friedensverhandlungen geben.“ Und weiter: „Dass man deshalb als Stimme Putins bezeichnet wird, ist doch Schwachsinn.“ Sie macht ein Ende der Waffenlieferungen in die vom Krieg gezeichnete Ukraine zur Koalitionsbedingung. Reine Symbolpolitik, heißt es dazu in der Thüringen-CDU. Das könne man gar nicht von Erfurt aus entscheiden. Wagenknecht dürfte das freilich bewusst sein.
Vor Ort haben sich rund 20 Demonstranten versammelt, die Fahnen der Ukraine tragen. Sie rufen „Der Diktator muss weg“ und „Vielen Dank, Deutschland“. Aus dem Wagenknecht-Publikum sind einzelne Rufe zu hören: „Verschwindet.“
Wagenknechts Raketen-Versprechen: „Das werden wir durchsetzen“
Den größten Applaus gibt es, als Wagenknecht verspricht, keine US-Raketen größerer Reichweite in Thüringen zu stationieren. „Wir erwarten von einer Thüringer Regierung – und das werden wir auch durchsetzen, wenn wir uns beteiligen –, dass sie das ablehnt.“ Die Stationierung hatten Deutschland und die USA am 10. Juli am Rande des Nato-Gipfels in Washington verkündet. Den Plänen zufolge sollen ab 2026 erstmals seit den 1990er-Jahren wieder US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationiert werden.
Wagenknechts „Kurswende“ beim Asyl: „Die ist ja AfD-nah“
Deutlich wird Wagenknecht auch beim Thema Migration: Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA fordert sie härtere Abschiebungen: „Es kann nicht dabei bleiben, dass wir jedes Jahr Menschen aufnehmen, von denen der größte Teil überhaupt keinen Asylanspruch hat – und trotzdem bei uns im Land bleibt.“
Auf der Bühne fordert sie zuvor eine „Kurswende“ und meint: „Der Großteil der deutschen Bevölkerung wünscht sich, dass die unkontrollierte Migration gestoppt wird.“ Dann folgt der einzige, kurze, Exkurs zur AfD. „Mich hat man immer beschimpft: Die ist ja AfD-nah.“ Tatsächlich liegt Wagenknecht hier näher bei den Rechtspopulisten als bei der derzeit regierenden Linken, ihrer Expartei.
Doch man müsse „den Problemen ins Auge sehen und nicht so tun, als sei da nichts“, sagt Wagenknecht. Sonst profitierten andere. „Am Ende wird eine Kraft immer stärker, die als einzige das ausruft.“ Hier dürfte Wagenknecht die AfD gemeint haben, nennt die in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei jedoch nicht beim Namen. Das BSW kündigte aber bereits an, nicht mit der AfD koalieren zu wollen.
Thüringen-Wahl: BSW vor Regierungsbeteiligung – mit der CDU?
In Jena ist Wagenknecht Zuspruch auch ohne klare AfD-Kritik sicher. Nach der Veranstaltung macht sie Selfies und bekommt Blumen geschenkt. In den letzten Umfragen vor der Thüringen-Wahl am Sonntag (1. September) liegt das BSW zwischen 17 und 20 Prozent. Damit würde die vor weniger als einem Jahr neu gegründete Partei Platz drei hinter AfD (30) und CDU (21-23 Prozent) erreichen, bei ihrer ersten Landtagswahl auf Anhieb in den Landtag einziehen – und dort wohl eine wichtige Rolle spielen.
Die CDU schließt zwar eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken kategorisch aus, zeigt sich beim BSW aber gesprächsbereit, wie CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt jüngst auch bei IPPEN.MEDIA andeutete. Er nannte jedoch eine Bedingung: Parteigesicht Sahra Wagenknecht sollte sich zurückhalten. „Was wir erleben, ist, dass Sahra Wagenknecht sich immer wieder einmischt, aber die Mitglieder nichts zu sagen haben“, kritisierte Voigt.
Wagenknecht sagt allerdings nach der Veranstaltung, sie wolle sich persönlich einbringen. „Ich gehe davon aus, dass Herr Voigt mit mir einmal sprechen muss, um zum Beispiel die Frage der Außenpolitik zu klären. Aber es geht nicht darum, dass ich mich an den Tisch dränge und in jeder Verhandlungsrunde sitzen will.“
Nur: kann das BSW überhaupt Regierung? Ihr Spitzenpersonal hat – mit Ausnahme von Eisenachs Ex-Bürgermeisterin Katja Wolf – so gut wie keine Erfahrung. Auf den Listenplätzen zwei und drei folgen der Unternehmer Steffen Schütz sowie der frühere MDR-Moderator Steffen Quasebarth. Wagenknecht tritt in Thüringen nicht an – und ist dennoch omnipräsent.
Aus Thüringen berichtet: Andreas Schmid
