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Zum Fortschritt gezwungen: Ukraine bastelt an „Drohnenarmee“ gegen Putin
VonKarsten-Dirk Hinzmann
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Science-Fiction scheint von Tag zu Tag realistischer: Die Ukraine bastelt an einer „Drohnenarmee“. Konventionelle Kriegführung ist auf Dauer schlichtweg unbezahlbar.
Kiew – Fast geht das Geschoss als Schnäppchen durch; aber auch nur im Vergleich: 560 Euro berechnet Hersteller Rheinmetall der Ukraine pro Schuss für den Flugabwehrkanonen-Panzer „Gepard“. Der Kampfpanzer „Leopard“ jagt jedes Mal 9000 Euro durch den Schornstein. Allerdings: Der „Gepard“ verballert aus seinen zwei Maschinenkanonen rund 620.000 Euro. Pro Minute. Für die Ukraine gilt der „Gepard“ als effektivste Waffe der Ukraine im Krieg gegen die Invasionsarmee Wladimir Putins. Noch! Russlands Taktik mit immer wieder anfliegenden Drohnen-Schwärmen ist eine Großoffensive Russlands gegen das Verteidigungs-Budget der Ukraine.
Die Abwehr von Drohnen wird künftig bezahlbarer werden, erläutern Experten gegenüber Newsweek. „Die Ukraine hat bewiesen, dass sie ihre Gewehre packen und damit den Himmel säubern kann“, lobt beispielsweise Oleg Vornik, Geschäftsführer des US-australischen Abwehr-Spezialisten „DroneShield“. Nachdem der Ukraine-Krieg und die Gegenoffensive zunächst die Innovationskraft für die Herstellung von Drohnen bewiesen hat, ist er sicher, dass jetzt die Zeit der Entwicklung von Drohnen-Abwehr einsetzt. In John-Wayne-Manier die Drohnen vom Himmel zu schießen, sei jedenfalls keine effektive Strategie.
„Die Unternehmen können Drohnen in kilometerweiter Entfernung aufspüren, aber das Problem ist, dass sie nicht wissen, wie sie sie effektiv abschießen können“, sagt der Geschäftsführer des estnischen Unternehmens Marduk Technologies Rauno Lember gegenüber Euronews Next und verwies auf das aktuell immense Missverhältnis zwischen den Kosten für eine Anti-Drohnen-Rakete und der Drohne selbst. Allerdings sehen die Experten auch keine ultimative Lösung am Himmel heraufziehen: „Gegen Drohnen hilft nie ,die eine‘ Lösung, und wahrscheinlich wird die auch nie gefunden werden“, sagt der britische Drohnen-Experte Steve Wright gegenüber Newsweek. Ihm zufolge würde in der Zukunft fortgesetzt werden, was auch jetzt schon geschieht: improvisieren. Auf beiden Seiten.
Gegenoffensive der Ukraine: Drohnen nehmen entscheidende Rolle ein
Drohnen werden künftig nicht nur fliegen können oder schwimmen, sondern auch tauchen. Sie werden auf dem Wasser in Schwärmen auftreten und unter Wasser; und auch über oder unter dem Wasser autonom reagieren. Das prophezeit der deutsche Oberstleutnant Rüdiger Rauch, Drohnenabwehrexperte im Verteidigungsministerium, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Ihm zufolge sind die Drohnen „gekommen, um zu bleiben“. Rauch: „Drohnen spielen im Ukraine-Krieg eine nicht zu unterschätzende, große Rolle – sie haben gezeigt, dass die ursprüngliche Annahme, dass Drohnen in kleinen, asymmetrischen Kriegen eine große Rolle spielen können, falsch ist; sondern dass sie auch tatsächlich in großen Konflikten eine große Rolle spielen“, sagt er.
Deshalb schickt sich die Ukraine an, weltweit führender Hersteller von Drohnen zu werden, eine „Drohnenarmee“ aufzustellen, wie der stellvertretende ukrainische Ministerpräsident Mykhailo Fedorow angekündigt hat. Er zeichnet auch für die digitale Transformation verantwortlich und hat allein für Anfang Oktober die Erfolge seiner aktuellen „Armee“ auf X (vormals Twitter) an gegnerischen Verlusten vorgerechnet: 33 vernichtete Panzer; 69 Geschütze; 142 Versorgungslager; zehn Mörser, Anti-Panzer-Raketen, Maschinengewehre; 37 Panzerfahrzeuge; 41 Lkw; 17 Munitions- beziehungsweise Treibstofflager; drei mobile Raketen-Abschussrampen; 17 Selbstfahr-Lafetten; zehn Funkstationen; 52 russische Mannschaften. Drohnen bestimmen in Kürze vollends das Schlachtfeld.
Russlands Drohnen: Empfindlich gegen Störfeuer per Funk
Für beide Kontrahenten wird die Drohnen-Abwehr zum Unterfangen mit vielen Unbekannten – und reicht demnächst bis in die elektronischen Schaltungen – Drohnen-Abwehr heißt zunächst: die Kleinstflieger sichtbar zu machen. Für das Auge oder das Radar. Weil die aktuellen Drohnen zu einem großen Teil mit Teilen aus dem Baumarkt flögen, seien sie gegenüber Störungen über Funk sehr sensibel, sagt Abwehr-Spezialist Steve Wright. Das gelte zum Beispiel für die von Russland massenhaft eingesetzte Shahed-Drohne. Wright zufolge werde aktuell fieberhaft an Abwehr-Strategien gegen Drohnen geknobelt. Entsprechende Unternehmen schießen aus dem Boden. Laut Fortune Business Insights wird der weltweite Markt für militärische Drohnen von aktuell 13,3 Milliarden Euro auf 33,4 Milliarden Euro im Jahr 2030 wachsen.
Aktuell hat die Ukraine mit britischer Technik ihre Verteidigung nachgerüstet. Die britische „MSI-DS Terrahawk Paladin“ funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie der deutsche „Gepard“, mit einer Kombination aus Radar und selbstgesteuerter Kanone und taugt für sehr kurze Distanzen von rund zehn Kilometern; laut Unternehmensangaben kann das System auch nahezu handtellergroße Drohnen effektiv bekämpfen. Dennoch bleibt das nur die zweitbeste Lösung, Raketen gar nur die drittbeste. Todbringende genauso wie spionierende Drohnen können heute auf die Größe eines Handtellers schrumpfen – die Raketenabwehr ist schlichtweg finanziell mörderisch. Gefragt ist die zündende Idee, die beste Lösung: Entwickelt werden Drohnen, die Drohnen ausschalten können.
Gegen die Invasoren: „Vogel der Hoffnung“ dank Crowfunding
Und so innovativ die Ukraine handelsübliche Technologie für militärische Zwecke umwidmet, so innovativ sind auch ihre Finanzierungsbemühungen: via Crowfunding beispielsweise. Seit der Annexion der Krim durch die Russen 2014 bemühen sich die Ukrainer um die Finanzierung ihrer Gegenoffensive durch Spenden. People‘s Project ist so eine nichtkommerzielle und gemeinnützige Organisation, die offenbar auch durch den Freiwilligendienst des Europäischen Parlaments unterstützt wird. Und: People‘s Project sammelt nicht nur für Bekleidung oder medizinische Ausrüstung, sondern inzwischen auch speziell für Drohnen.
Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die Ukraine
Mehr als 30.000 US-Dollar hat das Projekt schon zusammen für den Kauf von sieben Quadrocoptern ukrainischer Produktion für Aufklärungs- und Überwachungseinsätze gegen den Feind. Ein paar Hundert Dollar fehlen ihnen noch zu den 50.000 US-Dollar für den Kauf von Drohnen zur Aufklärung und Bombardierung speziell in der Region Cherson. Rund 100.000 Dollar an Spenden fehlen noch zum Ankauf von Kampf-Drohnen unter der Projektbezeichnung „Vogel der Hoffnung“.
„Die Ukraine ist in den letzten Jahren und insbesondere seit Beginn des Krieges zu einer Drohnenmacht geworden“, sagte Ulrike Franke, vom European Council on Foreign Relations gegenüber dem ZDF. Und sie ist sich ziemlich sicher: „Es ist wahrscheinlich, dass die Ukraine aus diesem Krieg als wichtiges Drohnenherstellerland hervorgehen wird.“ Insofern werden die jetzigen Ausgaben als Entwicklungskosten zu betrachten sein – und angesichts möglicher künftiger Gewinne vielleicht tatsächlich nachträglich als Schnäppchen.