„Politischer Druck und Leichtsinn“

Hohe Verluste für Russland: Putin opfert an nur einem Ort tausende Soldaten

  • Patrick Mayer
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Die russische Armee versucht vergebliche Gegenstöße an der Donbass-Front. Die Kämpfe dort veranschaulichen aber auch eine bittere Erkenntnis für die Ukraine.

Awdijiwka - Cristiano Ronaldo, Fábio Coentrão und Hugo Almeida standen für die Portugiesen auf dem Feld. Gerard Piqué, Sergio Ramos, Xavi und Xabi Alonso waren auf Seiten der Spanier dabei. In der Donbass-Arena von Donezk stieg am 27. Juni 2012 das Halbfinale der Fußball-EM, vor den Augen ganz Europas.

Russische Gegenoffensive bei Awdijiwka gescheitert: Riesen-Rückschlag für Putin

Heute wird im Ukraine-Krieg im nur zwölf Kilometer nordwestlich gelegenen Awdijiwka erbittert gekämpft, (wieder) verbunden mit massiven Verlusten für die Invasionsarmee Russlands. Wie Denkfabriken wie das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) sowie mehrere Medien wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichten, soll die russische Armee in den vergangenen Tagen bei zwei gescheiterten Gegenschlägen bei Awdijiwka tausende Soldaten durch Tod oder Verwundung sowie Dutzende gepanzerte Fahrzeuge wie Schützenpanzer verloren haben.

Einzig und allein, um eine Kleinstadt mit vormals 32.000 Einwohnern einzunehmen. Es wäre eine herbe Niederlage für Moskau-Autokrat Wladimir Putin. Die nächste im von ihm losgetretenen militärischen Überfall auf das demokratische Nachbarland.

Gesprächsbedarf: Der russische Generalstabschef Waleri Wassiljewitsch Gerassimow (li.) und Moskau-Autokrat Wladimir Putin.

„Das war eine Mischung aus politischem Druck und Leichtsinn“, erklärte Militärexperte Gustav Gressel in einem Beitrag für die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). Putin habe starken Druck auf seine Generäle ausgeübt, punktuell in die Offensive zu gehen, meinte der österreichische Analyst in seiner Einschätzung weiter.

Große russische Verluste bei Awdijiwka: Ukrainer verteidigen Donbass-Kleinstadt

Die Ebenen zwischen Awdijiwka und der Großstadt Donezk (rund 920.000 Einwohner) seien für die Verteidiger jedoch gut einsehbar, ordnete Gressel ein. Donezk ist seit Anfang 2015 und der durch die Ukraine verlorenen „zweiten Schlacht um den Flughafen Donezk“ in den Händen der durch den Kreml unterstützten Separatisten - und wurde später offiziell durch die russische Armee besetzt. Mit Panzerabwehrgranaten, Artilleriefeuer und Minen wurden die russischen Angreifer diesmal aber wiederholt gestoppt. Laut SZ büßten sie dabei möglicherweise sogar mehr als einhundert gepanzerte Fahrzeuge ein.

Auf Videos bei X (ehemals Twitter), die aus der Umgebung von Awdijiwka stammen sollen, sind ganze Kolonnen mit Schützenpanzern, T-72 Kampfpanzern und (klar durch das typische „Z“ gekennzeichnet) russischen Radpanzern zu sehen. Die Verluste wären neben dem reinen Menschenleben, dem das Kreml-Regime wohl wenig Beachtung schenkt, auch insofern erheblich, weil die Besatzungen jedes Mal erst an dem Kriegsgerät ausgebildet werden müssen. Erst recht, wenn diese aus Reservisten bestehen.

Putin-Rückschlag bei Awdijiwka: Russland verlor angeblich Su-25-Kampfjets

Damit nicht genug: Bei X machte unter ukrainischen Bloggern das Gerücht die Runde, dass die russischen Truppen mehrere ihrer anfälligen Erdkampfflugzeuge Su-25 in der Region verloren haben. In einem Video, das unter anderem der deutsche CDU-Politiker Manuel Schwalm in dem Sozialen Netzwerk teilte (siehe Tweet oben), soll zu sehen sein, wie ein ukrainischer Soldat mit einer schultergestützten Boden-Luft-Flugabwehrrakete eine solche Su-25 abschießt.

Die sehen alles. Das gläserne Gefechtsfeld ist ein gewaltiges Problem für beide Seiten. 

Militärexperte Gustav Gressel für die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR)

Nebenbei machen die neuen ATACMS-Raketen der Ukraine Druck auf Putins Soldaten, während US-Hersteller Lockheed Martin die von ihnen gefürchteten HIMARS-Mehrfachraketenwerfer weiterentwickelt. Was ließ aber die (vermeintlichen) russischen Vorstöße im Donbass scheitern? Laut Gressel ist Punkt Nummer eins eine beinahe lückenlose Überwachung des Schlachtfelds. Diese ist gerade im Fall des weitläufigen Geländes bei Donezk gut umsetzbar. „Die sehen alles“, erklärte Gressel bei der Denkfabrik ECFR: „Das gläserne Gefechtsfeld ist ein gewaltiges Problem für beide Seiten.“

Kämpfe um ukrainisches Awdijiwka: Drohnen setzen russischer Armee zu

Hinzu kommt laut Gressel eine appbasierte Feueranforderung für die Artillerie, „in zwei bis drei Minuten direkt an die schießenden Einheiten“. Dies gelte jedoch für beide Seiten, weswegen seiner Ansicht nach die ukrainische Gegenoffensive mit Beginn des Herbsts im Süden und im Osten zum Erliegen kam.

Awdijiwka im Donbass: Die russische Armee versucht vergeblich, die ukrainische Industriestadt bei Donezk einzunehmen.

Die Drohnen-Videos aus Awdijiwka - Zeitpunkt und Ort lassen sich nicht zweifelsfrei identifizieren - zeigen indes, wie wohl reihenweise russische Panzer durch mit Granaten bestückte Drohnen ausgeschaltet wurden. Laut SZ zeigten lokalisierte Drohnenaufnahmen nach einem zweiten (vergeblichen) russischen Anlauf vom Donnerstag (19. Oktober) abgeschossene Panzer bei Awdijiwka „sowie Felder, auf denen Dutzende tote russische Soldaten liegen“.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Taktik offenbar für beide Seiten in einem blutigen Konflikt aufgeht, dessen Ende nicht absehbar ist. (pm)

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