Krieg gegen Russland
Ukraine plant Produktion und Kauf von 200 000 Drohnen bis Jahresende – und kalkuliert schon für Friedenszeiten
- VonNana Brinkschließen
Über 200 Firmen sind in der Ukraine an der Drohnen-Produktion für den Krieg gegen Russland beteiligt. Wenn er einmal endet, wird das Land von dieser Industrie profitieren. Auch mit deutschen Partnern vor Ort.
Ukrainische Drohnen in Gestalt von unbemannten U-Booten haben die russische Schwarzmeerflotte vergangene Woche an einer empfindlichen Stelle getroffen. „Wir können jetzt sagen, dass die Schiffe höchstwahrscheinlich nicht mehr zu reparieren sind“, erklärte ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes nach dem Angriff auf Kriegsschiffe in einer Werft in Sewastopol. Auch wenn das Verteidigungsministerium in Moskau meldete, die ukrainischen See-Drohnen seien zerstört worden, sprach Kiew von einem Erfolg. Ein Beweis mehr für die Effektivität der ukrainischen „Army of Drones“.
Als erstes Land weltweit hat die Ukraine im vergangenen Jahr 60 eigene Drohnen-Staffeln in ihre Armee integriert. Laut einer Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) sind in der Ukraine „Hunderte verschiedene Drohnensysteme im Einsatz, ein Durcheinander von kommerziellen, Hobby-, militärischen und anderen Systemen, die von Soldaten, Freiwilligen und Zivilisten geflogen werden“. Das Erfolgsrezept der „Army of Drones“ liege demnach in der Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte, diese unterschiedlichen Systeme koordiniert für „drei wesentliche Ziele einzusetzen: Überwachung und Aufklärung, Propaganda, Angriffe und Angriffs-Koordination“.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Security.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie Security.Table am 18. September 2023.
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Große Bandbreite an Drohnen im Einsatz
Die Bandbreite der Drohnen-Typen (siehe Grafik) reicht von der türkischen Kampfdrohne Bayraktar TB2 mit einer Spannweite von 12 Metern über die amerikanische, 2,5 Kilogramm schwere Switchblade bis zum R18 Oktokopter mit acht Rotoren. Letztere stammt aus ukrainischer Produktion und wurde bereits nach der russischen Annexion der Krim 2014 von einer Freiwilligen-Einheit namens Aerorozvidka entwickelt. Der R18 ist ein typisches Beispiel für die schnelle Adaptionsfähigkeit der ukrainischen Kriegswirtschaft. Die Drohnen mit acht Propellern sind simpel konstruiert, leicht zu warten, und die Ausbildung der Piloten dauert nur rund zwei Wochen.
Ihr Einsatz gegen gegnerische Fahrzeuge und Munitionsdepots gilt als äußert effektiv. Oder wie ein Ingenieur von Aerorozvidka erklärte: „Wir haben ausgerechnet, dass ein Dollar, den wir in die Produktion einer R18-Drohne investiert haben, dem Feind einen Schaden von 1000 Dollar zugefügt hat. Wenn eine Drohne einen Panzer trifft, hat sie in einem Flug ihre Produktion schon bezahlt“.
Als sehr erfolgreich im Einsatz gelten auch kleine zivile Drohnen aus chinesischer Produktion. Diese sogenannten First-Person-View Drohnen (FPV) werden von einem Piloten mittels einer Videobrille gesteuert. Als „Kamikaze“-Drohnen werden sie ähnlich wie der R18 eingesetzt und kommen auch in anderen kriegerischen Konflikten zum Einsatz.
Mehrzahl von Kriegsgerät vom Ausland finanziert
Mehr als 200 ukrainische Firmen produzieren mittlerweile Drohnen. Yurii Shchyhol, der Leiter des ukrainischen Staatsdienstes für Sonderkommunikation und Informationsschutz, erklärte bei dem Kurzmitteilungsdienst X Ende August: „Die Ukraine plant, bis zum Ende des Jahres 200.000 Kampfdrohnen produziert oder gekauft zu haben“.
Grundlage für den Boom der ukrainischen Drohnen-Industrie sind zu einem großen Teil ausländische Spenden und Investitionen, wie Ulrike Franke, eine der Autorinnen der ECFR-Studie, erklärt: „Ein wirklich relevanter Teil an Kriegsgerät wird von Privatmenschen gekauft, entwickelt und geschickt. Das haben wir so noch nicht gesehen in der Vergangenheit.“ Im Zentrum dieser Aktivitäten steht der ukrainische Digitalminister Mykhailo Federov. Der 32-Jährige gilt als Spin-Doktor der ukrainischen Drohnen-Industrie. Die von ihm initiierte Plattform „Brave 1“ verbindet ausländische Investoren mit einheimischen Tech-Start-ups. In einem Beitrag für den amerikanischen Think Tank Atlantic Council nannte er die Zahl von 400 Projekten, von denen bereits die Hälfte „vom Militär getestet“ worden sei.
Für Drohnen-Expertin Ulrike Franke keine Überraschung: „Ich erwarte tatsächlich, wenn dieser Krieg vorbei ist, dass die Ukraine ein sehr relevanter Produzent von Drohnen wird. Denn man darf nicht vernachlässigen, wie wichtig es für Militärtechnologie ist, wenn man sagen kann, die ist kampferprobt“.
Deutsche Firmen testen ihre Produkte in der Ukraine
Auch deutsche Firmen sind auf dem Drohnen-Testfeld in der Ukraine aktiv. Viele von ihnen kommen aus der Start-up-Szene rund um München. Die Quantums Systems GmbH mit Sitz in Gilching baut zivile und militärische Überwachungsdrohnen, deren Spezialität Gefechtsfeldaufklärung mittels KI ist. Bereits im April 2022 lieferte das Start-up Drohnen vom Typ Vector, insgesamt 138. Sie wurden zum Teil privat finanziert; 104 hat die Bundesregierung bereits bezahlt. Wie das Unternehmen Ende Mai mitteilte, hat das ukrainische Verteidigungsministerium weitere 300 bestellt, deren Finanzierung von der Bundesregierung übernommen wird. Kosten pro Stück: 180.000 Euro (Stand 2022). Vector werde „auf dem ukrainischen Schlachtfeld intensiv genutzt und getestet“.
Das vor drei Jahren gegründete KI-Verteidigungsunternehmen Helsing GmbH, auch im Raum München ansässig, arbeitet ebenfalls mit der Ukraine zusammen. Das Start-up ist Teil eines Konsortiums, das die KI-Infrastruktur für das Future Combat Air System bereitstellen soll. Helsing entwickelt unter anderem Software-Lösungen, die von Drohnen überlieferte Echtzeitbilder auswerten. Wie das Unternehmen bestätigte, arbeiten Mitarbeiter vor Ort „kontinuierlich“ mit den ukrainischen Streitkräften zusammen.
Im gegenseitigen Interesse, wie der ukrainische Kommunikationschef Yurii Shchyhol, in einem Interview mit dem Online-Medium The Record betonte: „Die Investitionen unserer Partner dienen nicht nur der Verteidigung der Ukraine, sondern auch ihren eigenen Interessen. Während unsere Partner uns ihre Technologie zur Verfügung stellen, profitieren sie von unserer Erfahrung, die sie vorher nicht hatten“.