Amtseinführung überschattet

China droht mit Gewalt, Parlamentarier prügeln sich: Taiwan zum Amtsstart des neuen Präsidenten in Unruhe

  • Christiane Kühl
    VonChristiane Kühl
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Die ersten Tage des neuen Präsidenten Taiwans Lai Ching-te sind überschattet von politischer Unruhe. Und nun startet China auch noch ein Großmanöver rund um die Insel.

Erst seit wenigen Tagen ist Taiwans neuer Präsident Lai Ching-te im Amt – und schon stürzen mehrere Krisen gleichzeitig auf die neue Regierung ein. Am Donnerstag begann China ein zweitägiges Großmanöver rund um die Insel, das laut einem chinesischen Armeesprecher eine „harte Bestrafung für die separatistischen Aktionen der taiwanischen ‚Unabhängigkeitskräfte‘ ist“. Schiffe und Flugzeuge sollten sich Taiwan im Norden und Süden für sogenannte „Patrouillen“ nähern. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums nannte die Übungen eine „ernsthafte Warnung“ und drohte: „Die Unabhängigkeitskräfte werden mit zerschmetterten Schädeln und im Blut enden.“ Die offizielle englische Mitschrift der Aussage ließ das Blutige der Warnung weg - ein Zeichen, dass dies nicht die offizielle Linie ist.

Dennoch sind Manöver Rhetorik ist ein klares Signal gegen Lai, den Peking wiederholt als gefährlichen Separatisten bezeichnet hat – ebenso wie zuvor seine Vorgängerin Tsai Ing-wen. Die BBC zitierte Militäranalysten, dass erstmals auch die direkt vor der chinesischen Küste gelegenen taiwanischen Inseln auf den von der Volksbefreiungsarmee veröffentlichten Karten als Ziele verzeichnet sind. Laut taiwanischen Medien sagte der Militärexperte Chieh Chung, die laufende Übung ziele darauf ab, „eine bewaffnete Invasion Taiwans im großen Stil zu simulieren“. Dass Lai die Wahl gewonnen hat, und nicht einer der beiden chinafreundlicheren Kandidaten, war für Peking eine Niederlage. Schon im Umfeld der Amtseinführung schickte China Dutzende Kampfjets und Schiffe in die Nähe Taiwans.

Taiwans neuer Präsident Lai kritisiert Chinas „Grauzonen-Bedrohung“

Zwar hatte sich der aus der Unabhängigkeitsbewegung stammende Lai immer wieder gesprächsbereit gezeigt und betont, den gesellschaftlichen Austausch wieder stärken zu wollen. Doch in seiner Antrittsrede übte der 64-Jährige am Montag direkte Kritik an Peking: „Chinas militärische Aktionen und Grauzonen-Bedrohungen stellen heute die größte strategische Herausforderung für Frieden und Stabilität in der Welt dar.“ Auch forderte Lai Peking auf, die Existenz der Republik China, wie Taiwan offiziell heißt, anzuerkennen. Peking sieht Taiwan dagegen als abtrünnige Provinz an.

Parallel wird das politische Taipeh zum Auftakt der Amtszeit von Lai von Unruhe überschattet, die in einer handfesten Prügelei im Parlament gipfelte. Am Dienstag demonstrierten in Taipeh Zehntausende für den Erhalt der Demokratie und gegen die oppositionellen Parteien.

Politischer Aufruhr in Taipeh: Demo und Prügelei im Parlament

Was war los? Lais Demokratische Fortschrittspartei (DPP) hatte mit ihm an der Spitze zwar die Präsidentenwahl gewonnen – ihre Mehrheit im Parlament aber an die beiden chinafreundlicheren Parteien Kuomintang (KMT) und Taiwanische Volkspartei (TPP) verloren. Und die demonstrierten sofort, dass sie nicht auf Kooperation mit Lai setzen: Sie schlossen sich zusammen und brachten in der ersten Sitzung schon am Freitag eine Gesetzesvorlage ein, die dem Legislativ-Yuan genannten Parlament eine stärkere Kontrolle über die Regierung ermöglichen würde. Weil die beiden Parteien ihren Entwurf ohne Debatte eilig durchdrücken wollten, kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen den Parlamentariern, fünf Abgeordnete mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die Abstimmung wurde verschoben.

Entschlossenheit bei der Amtseinführung: Schon in den ersten Tagen steht Taiwans neuer Präsident Lai Ching-te einem chinesischen Großmanöver und politischer Unruhe gegenüber.

Das zeigt, dass die Nerven einigermaßen blank liegen. In Taiwan herrscht aufgrund des prekären Status quo ohnehin kaum je Normalzustand: Von China als Teil der Volksrepublik beansprucht, fehlt ihm die diplomatische Anerkennung eines Großteils der Welt. Und die Aussicht, nun für vier Jahre im Angesicht eines zunehmend forsch auftretenden China eine Regierung ohne Parlamentsmehrheit zu haben, ist alles andere als rosig. Schon zwischen 2000 und 2008 hatte der erste DPP-Präsident Chen Shui-bian einem von der Opposition kontrollierten Parlament gegenübergestanden. „Das war eine politische Katastrophe für Taiwan, weil der Legislativ-Yuan über Jahre nahezu paralysiert war“, sagte der Taiwan-Experte Gunter Schubert kürzlich im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „.Das droht heute wieder.“

Opposition will mehr Kontakt zu China

Zumal die Parteien sich gerade im Umgang mit Peking nicht einig sind. Während Lai wie seine Vorgängerin Tsai Ing-wen für eine größtmögliche Selbstständigkeit Taiwans eintritt, setzen KMT und TPP zwar nicht auf eine rasche Wiedervereinigung, aber auf mehr Dialog und mehr Kooperation mit Festlandchina. Sie hatten vor der Wahl einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufstellen wollen – dessen Sieg nicht unwahrscheinlich gewesen wäre. Doch das scheiterte letztlich am Ego der beiden Spitzenkandidaten: Keiner von beiden wollte Vize sein. So siegte Lai mit nur rund 40 Prozent der Stimmen.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Taiwans Verteidigungsministerium verurteilte die chinesische Militärübung am Donnerstagmorgen als „irrationale Provokation“, die den Frieden und die Stabilität in der Taiwanstraße gefährde. Man habe Streitkräfte zu Wasser, am Boden und in der Luft entsendet, um seine Souveränität zu verteidigen. Nach Angaben des chinesischen Militärs konzentrieren sich diese Übungen auf gemeinsame See-Luft-Kampfbereitschaftspatrouillen, Präzisionsschläge auf wichtige Ziele und integrierte Operationen, um die „gemeinsamen realen Kampffähigkeiten“ der Streitkräfte zu testen. An Taiwans Ostküste liegt das Manövergebiet ungewöhnlich dicht an der Insel.

China schickt seit Jahren regelmäßig Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe in die Nähe Taiwans, um etwa gegen Besuche ausländischer Politiker in Taiwan zu protestieren. Doch die Intensität solcher Übungen nimmt zu.

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