Analyst ordnet ein

China schickt Dutzende Kampfjets nach Taiwan – Experte warnt auch vor „Grauzonen-Aktivitäten“

Taiwan meldet Dutzende chinesische Kampfjets vor seiner Küste. Der Zeitpunkt ist wohl kein Zufall: Das Land bekommt einen neuen Präsidenten, der für China ein „Separatist“ ist.

Wenige Tage vor der Amtseinführung von Taiwans neuem Präsidenten Lai Ching-te erhöht China den Druck auf den Inselstaat. Wie das Verteidigungsministerium in Taipeh am Mittwoch (15. Mai) mitteilte, schickte die Volksrepublik binnen 24 Stunden 45 Kampfjets und sechs Kriegsschiffe in die Nähe der demokratisch regierten Insel. 26 der Kampfjets überquerten demnach die Medianlinie, die inoffizielle Grenzlinie zwischen den beiden Ländern. Es war die bislang höchste Zahl an Kampfjets, die 2024 in der Umgebung Taiwans registriert wurden.

China betrachtet Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets und droht damit, das Land an die Volksrepublik anzugliedern – möglichst friedlich, notfalls aber auch mit militärischer Gewalt.

Anfang des Jahres hatten die Taiwaner mit Lai Ching-te einen äußerst chinakritischen Kandidaten zum Nachfolger von Amtsinhaberin Tsai Ing-wen gewählt; am Montag (20. Mai) wird Lai, der bisherige taiwanische Vizepräsident, in Taipeh ins Amt eingeführt. Lai hatte sich in der Vergangenheit als „pragmatischen Arbeiter für eine Unabhängigkeit Taiwans“ von der Volksrepublik bezeichnet, er plädiert für mehr Distanz zwischen den beiden Ländern. Nach der Wahl sprach sich Lai aber auch für mehr Dialog mit China aus. Seit Tsai Ing-wen 2016 das Präsidentenamt übernommen hat, gibt es kaum noch Kontakte zwischen Regierungsvertretern beider Länder.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Experte erwartet „mehr chinesische Militärmanöver“ in der Nähe Taiwans

Der Analyst Sheu Jyh-Shyang vom Institute for National Defense and Security Research in Taipeh erwartet für die Zeit nach Lais Amtseinführung „mehr chinesische Militärmanöver“ in der Nähe Taiwans. Außerdem sei es möglich, dass die Volksrepublik weitere Handelsbeschränkungen gegen Taiwan erlässt, sagte Sheu IPPEN.MEDIA.

Peking betrachtet Lai als „Separatisten“ und fürchtet, dass er Taiwan offiziell für unabhängig von China erklären könnte – für diesen Fall hat die kommunistische Führung des Landes mit massiven Konsequenzen gedroht. Unklar ist, ob Chinas Volksbefreiungsarmee (VBA) bereits in der Lage ist, Taiwan einzunehmen. Vor allem US-amerikanische Analysten glauben, dass es schon 2027, also zum 100. Jahrestag der Gründung der VBA, soweit sein könnte. Das bedeutet allerdings nicht, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping dann auch den Befehl zum Angriff auf Taiwan geben wird. Zuletzt warnte eine hochrangige US-Geheimdienstlerin zudem davor, dass Russland China im Falle einer Taiwan-Invasion unterstützen könnte.

China erhöht mit „Grauzonen-Aktivitäten“ den Druck auf Taiwan

Militärexperte Sheu hält aktuell vor allem sogenannte „Grauzonen-Aktivitäten“ für gefährlich, also Handlungen der chinesischen Regierung, die nicht so weit gehen wie ein direkter Angriff, aber dennoch darauf abzielen, den Status quo in der Taiwanstraße nachhaltig zu verändern. Sheu verweist etwa darauf, dass Peking seit Kurzem Bewohnern der ostchinesischen Provinz Fujian wieder erlaubt, die von Taiwan kontrollierten Matsu-Inseln zu besuchen, die unmittelbar vor der chinesischen Küsten liegen. Peking wolle Matsu so enger an die Volksrepublik binden, so die Befürchtungen der taiwanischen Regierung.

Außerdem hat Peking nach einem Unfall vor der von Taiwan kontrollierten Insel Kinmen, die gegenüber der chinesischen Stadt Xiamen liegt, nach einem Unfall mit mehreren Toten Fischern dort regelmäßig Patrouillenfahrten aufgenommen. Peking wolle so den „politischen Druck“ auf die Regierung in Taipeh erhöhen, so Sheu. Auch Desinformationskampagnen nutze Peking als Hebel, um seine Ziele durchzusetzen. (sh)

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