Um Ihnen ein besseres Nutzererlebnis zu bieten, verwenden wir Cookies.
Durch Nutzung unserer Dienste stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen
Merz will Millionen Empfängern das Bürgergeld streichen
VonMax Schäfer
schließen
Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz beabsichtigt, Totalverweigerern das Bürgergeld zu entziehen. Wer nicht arbeitet, soll weniger bekommen. Dabei übersieht er wichtige Aspekte.
Berlin – Das Bürgergeld erinnert CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schon vom Namen her an ein „bedingungsloses Grundeinkommen“. Die Union will es nach der Bundestagswahl in der bisherigen Form abschaffen – und die sogenannte „Neue Grundsicherung“ einführen. Dabei soll das Bürgergeld denen gestrichen werden, die sich weigern zu arbeiten. Zudem droht eine Arbeitspflicht – über gemeinnützige Tätigkeiten.
Nach der Wahl: Friedrich Merz will 1,8 Millionen Empfängern das Bürgergeld kürzen – weil sie nicht arbeiten
Die Forderung hat Merz in der ARD-„Wahlarena“ am Montag, 17. Februar, noch einmal bekräftigt. „Diejenigen, die nicht arbeiten, aber arbeiten können, werden in Zukunft kein Bürgergeld mehr bekommen“, bekräftigte der CDU-Chef die Forderung seiner Partei. Das seien „immerhin so 1,8 Millionen mittlerweile“. Doch stimmt das?
Bei der ARD-Sendung „Wahlarena“ erneuert Friedrich Merz die CDU-Forderung nach einer Bürgergeld-Streichung für Arbeitsunwillige, doch die Zahlen irritieren.
Tatsächlich gelten etwa 1,8 Millionen der 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfänger als erwerbsfähig und stehen dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung, wie aus Statistiken der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht. Insofern stimmt die Zahl, die Merz bei der TV-Sendung vor der Bundestagswahl genannt hat.
Keine „Totalverweigerer“: Großteil der Bürgergeld-Empfänger hat Probleme bei der Jobsuche
Im Gegensatz zu Merz Darstellung können jedoch nicht alle 1,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger von heute auf morgen arbeiten. Bei fast 90 Prozent gibt es laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) Vermittlungshemmnisse. Bedeutet: Gewisse Umstände erschweren die Aufnahme eines Jobs. Fast 44 Prozent haben mindestens zwei solcher Merkmale.
Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Erwerbslosen hatte 2023 keinen formalen Berufsabschluss. 24 Prozent waren zudem über 55 Jahre alt, wobei ältere Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt weniger gefragt sind. Auch Langzeitarbeitslosigkeit erschwert die Jobsuche, wobei fast die Hälfte der erwerbsfähigen Bürgergeld-Beziehern unter diese Kategorie fällt. Ebenfalls als ein Vermittlungshemmnis ist eine Schwerbehinderung.
Arbeitsmarkt-Anforderungen passen nicht zu Qualifikation von Bürgergeld-Empfängern
Kein Vermittlungshemmnis hat dann noch ein Bruchteil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Im Jahresschnitt 2023 waren es etwas mehr als 200.000 Personen, nun sind es etwa 235.000. Dazu zählen jedoch auch Alleinerziehende. Sie gelten als voll vermittelbar, wenn die Kinder älter als drei Jahre sind. Doch gerade für Mütter ist die Rückkehr in Arbeit schwer. Besonders bei Müttern mit Kindern im Alter von vier oder fünf Jahren, wenn es nicht ausreichend Betreuungsangebote gibt.
Bundestagswahl 2025: Von „Tünkram“ bis zum „Tor zur Hölle“ – denkwürdige Zitate aus dem Wahlkampf
Zusätzlich ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt ein Problem. Wie die Daten der Vermittlungshemmnisse schon zeigen, haben viele Bürgergeld-Empfänger keinen Berufsabschluss. Besonders bei Langzeitarbeitslosen ist der Anteil hoch. Sie können damit lediglich sogenannte Helfer-Tätigkeiten übernehmen. Auf dem Arbeitsmarkt sind jedoch überwiegend Fachkräfte gefragt. Zahlen der Agentur für Arbeit zum Jahr 2023 zeigen, dass pro gemeldeter Helfer-Stelle fast neun Erwerbslose kommen – bei Fachkräften sind es etwa zwei Erwerbslose pro gemeldeter Stelle. Fachleute sprechen dabei von einem „Mismatch“.
CDU will „Totalverweigerern“ das Bürgergeld streichen – doch die machen nur winzigen Bruchteil aus
Mit Blick auf aktuelle Daten zu verhängten Sanktionen gegen vermeintliche „Totalverweigerer“ haben die Jobcenter im Zeitraum von November 2023 bis Oktober 2024 19.034 Minderungen verhängt. Wenn man noch den Nichtantritt oder Abbruch einer Maßnahme hinzuzieht, sind es 22.148 Sanktionen. Im Vergleich zu den 1,7 Millionen Erwerbsfähigen sind das 1,3 Prozent.
Verfassungsrechtliche Hürde könnte Umsetzung von Merz-Plan beim Bürgergeld nach der Wahl verhindern
Neben der reinen Anzahl der Bürgergeld-Empfänger könnte auch das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der CDU-Pläne durchkreuzen, den Regelsatz zu streichen. Denn 2019 hatten die Karlsruher Richter Sanktionen über 30 Prozent als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum erklärt. Doch Merz will eine Klage gegen seine Sanktionsforderung in Kauf nehmen. „Mal sehen, was Karlsruhe dazu sagt“, erklärte der Unionskandidat kurz vor der Wahl. Er sei grundsätzlich dagegen, dass Menschen unabhängig von ihrer Mitwirkungsbereitschaft „auf jeden Fall die Grundausstattung“ für das Leben bekommen.
Fraglich ist auch, ob ein möglicher Koalitionspartner bei einem möglichen Wahlsieg der Union die Pläne mitträgt. AfD und FDP verfolgen ähnlich strikte Pläne bei der Grundsicherung. Grüne und SPD wollen stattdessen auf Qualifizierung und die Unterstützung bei der Rückkehr in Arbeit setzen. Doch kurz vor der Wahl sind Scholz und Baerbock beim Thema „Totalverweigerer“ auf die CDU zugegangen.