Antisemitismus und Großmachtträume

Ruf nach Friedenskonferenz: Warum China im Israel-Krieg zu den Palästinensern hält

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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China stellt sich im Nahostkonflikt auf die Seite der Palästinenser und ignoriert das Leid der Israelis. Damit verfolgt Peking eine größere Strategie, die über Israels Krieg gegen die Hamas hinausgeht.

Wahrscheinlich ahnten Israels Diplomaten, welche Reaktionen der Beitrag auslösen würde. Trotzdem veröffentlichte das israelische Konsulat in Shanghai in Chinas sozialem Netzwerk Weibo einen Post, in dem an die eigenen Opfer im Kampf mit der Hamas erinnert wurde. „Heute ist der 100. Tag seit dem 7. Oktober, an dem Hamas-Terroristen einen Krieg gegen Israel begannen“, schrieb das Konsulat am Sonntag. „Bei den Terroranschlägen hat die Hamas mehr als 1200 Menschen erbarmungslos getötet, und 136 Geiseln werden immer noch in Gaza festgehalten.  Bis alle wieder sicher zu Hause sind, werden wir weiterhin unsere Stimme erheben und für sie beten.“

Mitgefühl zeigten die Weibo-Nutzer dann aber vor allem mit den in Gaza getöteten Palästinensern. Zu den israelischen Opfern liest man in den Kommentarspalten nur wenig, stattdessen hagelte es dort wüste Beschimpfungen in Richtung Israel und krude Nazi-Vergleiche. „Schon seit 100 Tagen spielt ihr das Opfer, es reicht“, schrieb ein Nutzer. „Wieso jammert ihr? Ihr seid diejenigen, die Kinder töten“, ein anderer.

So irritierend die Stimmung in China sozialen Medien ist, sie kommt nicht überraschend. Denn auch Chinas Regierung stellt sich seit dem 7. Oktober demonstrativ auf die Seite der Palästinenser. Beobachten kann man das allabendlich in Chinas staatlich kontrollierten Hauptnachrichten, die fast ausschließlich vom Leid der Bevölkerung im Gazastreifen berichten. Die Angehörigen der israelischen Geiseln kommen nicht zu Wort, und dass es der Angriff der Hamas auf Israel war, der zur jüngsten Eskalation geführt hat, erfährt man nicht. Ebenso verschwiegen wird, dass die Terrororganisation Krankenhäuser und Schulen als Kommandozentralen nutzt und Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht.

Im vergangenen Juni empfing Chinas Staatschef Xi Jinping den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas in Peking.

China und der Krieg in Israel: Parallelen zum Ukraine-Krieg

Überhaupt scheint die Hamas keine Rolle zu spielen, wenn China auf den Nahostkonflikt blickt. Als Peking Ende November einen Fünf-Punkte-Plan zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern vorlegte, suchte man in dem Text einen Hinweis auf den Hamas-Terror vergeblich. Und auch eine am Wochenende veröffentlichte Erklärung der Außenminister von China und Ägypten erwähnt die Hamas nicht. Stattdessen fordern beide Länder einmal mehr „einen sofortigen und umfassenden Waffenstillstand, ein Ende aller Gewalttaten und Tötungen“ sowie „ein Ende der Angriffe auf Zivilisten“. Auch ihren Ruf nach einer Zwei-Staaten-Lösung wiederholten China und Ägypten bei dem Treffen in Kairo. Ein Recht auf Selbstverteidigung gestehen sie den Israelis aber offenbar nicht zu, und wenn doch, dann sagen sie es nicht. Dass China Außenminister Wang Yi in Kairo erneut auch eine internationale Friedenskonferenz für den Nahen Osten forderte, klingt angesichts solcher Äußerungen jedenfalls reichlich hohl.

Wer nach den Ursachen für Chinas sehr einseitige Sichtweise auf den Konflikt sucht, landet schnell bei einem anderen Großkonflikt, dem Ukraine-Krieg. Auch hier hat sich Peking offen auf die Seite des Aggressors gestellt, und das aus ganz ähnlichen Motiven wie im Krieg zwischen Israel und der Hamas: In beiden Fällen geht es China vor allem darum, die USA zu schwächen, den Verbündeten der Ukrainer und Israelis und größten Konkurrenten Chinas im Ringen um die Weltordnung im 21. Jahrhundert. Was Amerikas Verbündeten schadet, so Pekings Kalkül, das schadet auch Washington – und nutzt der Volksrepublik.

Wichtige Handelspartner: China und Israels Erzfeind Iran

Damit geht Chinas Versuch einher, sich als Fürsprecher der Länder des sogenannten Globalen Südens zu profilieren. Diese Länder, darunter viele ehemalige Kolonien, fühlen sich oftmals den Palästinensern und ihrem Unabhängigkeitskampf verbunden. Zudem werfen sie dem Westen eine Doppelmoral vor: Die USA und ihre Verbündeten, so heißt es, würden sich zwar demonstrativ auf die Seite Israels (und der Ukraine) stelle, bei anderen Konflikten aber allzu oft wegsehen. Peking weiß das für sich zu nutzen.

Ebenfalls eine Rolle spielt Chinas Nähe zum Iran. Die Volksrepublik ist der wichtigste Handelspartner von Israels Erzfeind und kauft dem Regime in Teheran mehr Öl ab als jedes andere Land. Rund zehn Prozent der chinesischen Rohölimporte kommen aus dem Iran, ein Stopp dieser Lieferungen würde Chinas Wirtschaft massiv schaden. Peking misst den Beziehungen zu den Mullahs deswegen große Bedeutung zu, im vergangenen Jahr hatte sich China für die in Peking besiegelte Annäherung zwischen Iran und dessen Langzeitrivalen Saudi-Arabien feiern lassen.

Antisemitismus in China nimmt zu

Hinzu kommt ein relativ junges Phänomen: Seit einigen Jahren nimmt auch in China der Antisemitismus zu. Nicht nur in sozialen Medien schlägt die Wut über die vielen palästinensischen Toten in blinden Judenhass um; auch Chinas Staatsmedien machen mit. So verbreitete etwa die Global Times unlängst die Verschwörungserzählung, dass „die Juden die öffentliche Meinung in den USA nahezu kontrollieren“ würden. „In den Sphären von Wirtschaft und Finanzen ist der jüdische Einfluss noch stärker als in der Politik“, schrieb die Zeitung.

Für die China- und Antisemitismusexpertin Mary Ainslie von der Universität Nottingham im ostchinesischen Ningbo gibt es eine direkte Verbindung zwischen dem chinesischen Judenhass und dem Konflikt mit Amerika. „Juden und der Staat Israel repräsentieren für viele Chinesen den Westen schlechthin, außerdem wird immer wieder ihre vermeintliche Nähe zu den USA betont“, sagte Ainslie im Interview mit der Frankfurter Rundschau. „So verbinden sich antisemitische Erzählungen mit einem nationalistischen Narrativ, in dem die USA – und der Westen allgemein – versuchen, China zu bedrohen und die Stellung des Landes zu untergraben. Wer sich antisemitisch positioniert, zeigt, wie er über die USA und den Westen denkt.“ Zugespitzt bedeutet das: Wer nicht nur um die palästinensischen Opfer trauert, sondern auch um die israelischen, stellt sich auf die Seite Amerikas. Und das wäre im China von heute keine gute Idee.

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