Vor dem Mao-Porträt am Platz des Himmlischen Friedens in Peking weht die israelische Fahne (Archivbild).
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Vor dem Mao-Porträt am Platz des Himmlischen Friedens in Peking weht die israelische Fahne (Archivbild).

Interview

Antisemitismus in China: „Juden und Israel repräsentieren für viele den Westen schlechthin“

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Der Krieg im Nahen Osten schürt auch in China für Hass auf Juden. Das hat auch mit der Konfrontation des Landes mit den USA zu tun, sagt eine Expertin.

Seit Beginn des Kriegs in Israel und im Gazastreifen nimmt der Judenhass auch in China zu. In den sozialen Netzwerken, die normalerweise streng zensiert werden, verbreiten sich ungehindert antisemitische Erzählungen und Verschwörungstheorien. Gleichzeitig weigert sich die Regierung von Staats- und Parteichef Xi Jinping, den Terror der Hamas zu verurteilen. Im Interview erklärt die China- und Antisemitismusexpertin Mary Ainslie, woher der chinesische Judenhass kommt – und was das für Chinas Verhältnis zu Israel bedeutet.

Antisemitismus gibt es in Europa schon seit Jahrhunderten. In China scheint er ein relativ neues Phänomen zu sein. Woher kommt dort der Hass auf Juden?
Der moderne chinesische Diskurs über Juden, und in geringerem Maße auch über Israel, ist eigentlich stark philosemitisch geprägt. Das heißt, dass es eine große Bewunderung für das Judentum gibt. Diese lässt sich auf die Ankunft jüdischer Händler und Investoren in China im 19. Jahrhundert zurückführen, von denen viele gute Geschäfte machten und zu Wohlstand kamen. Sun Yat-sen, der Begründer des modernen Chinas, war ein Bewunderer und Unterstützer des Zionismus. Außerdem haben westliche Intellektuelle jüdischer Herkunft wie Albert Einstein, Karl Marx und Sigmund Freud lange Zeit durchweg Bewunderung und Anerkennung erfahren, wobei ihre jüdische Identität eine wichtige Rolle spielte.
Wie schlug diese Bewunderung dann in Antisemitismus um?
Schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es in China antisemitische Stereotypen, die teilweise aus westlichen und japanischen Quellen übernommen wurden. Anfang der Nullerjahre verbreiteten sich dann antisemitische Verschwörungserzählungen im chinesischen Internet. Der gegenwärtige chinesische Antisemitismus kehrt früherer philosemitische Stereotypen in ihr Gegenteil um: Was einst als positiv betrachtet wurde, wird heute als bedrohlich dargestellt, weil es so besser passt zum Narrativ von der angeblichen globalen Überlegenheit Chinas und seiner zentralen Rolle in der Welt. Dahinter steckt ein starkes Misstrauen gegenüber der Globalisierung, das sich in einer ausgeprägten antiwestlichen Fremdenfeindlichkeit äußert.

Zur Person

Mary Ainslie ist außerordentliche Professorin an der Universität Nottingham im ostchinesischen Ningbo. Sie forscht unter anderem zu Antisemitismus in China und Südostasien.

„Juden und der Staat Israel repräsentieren für viele Chinesen den Westen schlechthin“

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus in China und der Konfrontation des Landes mit den USA?
Ja, der chinesische Antisemitismus hängt eng zusammen mit dem antiwestlichen Diskurs im Land. Juden und der Staat Israel repräsentieren für viele Chinesen den Westen schlechthin, außerdem wird immer wieder ihre vermeintliche Nähe zu den USA betont. So verbinden sich antisemitische Erzählungen mit einem nationalistischen Narrativ, in dem die USA – und der Westen allgemein – versuchen, China zu bedrohen und die Stellung des Landes zu untergraben. Wer sich antisemitisch positioniert, zeigt, wie er über die USA und den Westen denkt.
Spielt auch Chinas derzeitige wirtschaftliche Schwäche eine Rolle?
Ja, denn Verschwörungserzählungen werden vor allem in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs populär. Weil Menschen dann oftmals das Gefühl haben, keine Kontrolle mehr über ihre Lebensumstände zu haben.
Das chinesische Internet wird normalerweise stark zensiert. Wieso greifen die Zensoren nicht ein, wenn sich dort jetzt Antisemitismus verbreitet?
Das chinesische Internet wird zwar streng kontrolliert. Äußerungen werden in der Regel aber nur dann zensiert, wenn sie in irgendeiner Weise die Autorität der Kommunistischen Partei Chinas bedrohen oder soziale Unruhen auslösen könnten. Da es in China nur sehr wenige Juden gibt, stellt der Antisemitismus keine unmittelbare Bedrohung für die Gesellschaft dar. Gleichzeitig passt er, wie gesagt, sehr gut zum Nationalismus, den Chinas Regierung befördert.
Was hat der Angriff der Hamas auf Israel in China ausgelöst?
Der Angriff vom 7. Oktober hat nur wenige Reaktionen in China provoziert. Es waren vielmehr die Ereignisse danach, die zu einer neuen Welle von Antisemitismus geführt haben. Da geht es, wie gesagt, einerseits um die Ablehnung des vermeintlichen US-Imperialismus. Aber auch darum, China und die Länder des Globalen Südens enger zusammenzuführen.

„Für China ist Israel eigentlich ein wichtiger Partner“

Darunter sind viele muslimische Staaten ...
Genau. Viele dieser Länder sind zudem wichtige Partner von Chinas Infrastrukturinitiative „Neue Seidenstraße“. All das hat zur Folge, dass wieder vermehrt von einem Gegensatz zwischen „Westen“ und „Osten“ die Rede ist. Dabei waren das eigentlich Begriffe, die in einer zunehmend globalisierten und kosmopolitischen Welt an Bedeutung verloren hatten.
Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen China und Israel?
Für China ist Israel eigentlich ein wichtiger Partner. China benötigt israelische Technologie, vor allem im Agrarbereich. Außerdem hat China viel Geld im Hafen von Haifa investiert. Weil Peking im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern keine Partei ausdrücklich unterstützt, kann es seine Beziehungen zu beiden Seiten aufrechterhalten. Die Zunahme antisemitischer Äußerungen im chinesischen Internet könnte jedoch ein Problem werden für die Beziehungen zu israelischen Politikern, Investoren und Unternehmern. Ich glaube aber nicht, dass die Auswirkungen groß sein werden, weil die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern eben sehr eng sind.
Könnte China im Nahost-Konflikt vermitteln?
Peking hat sicherlich das Potenzial, als Vermittler aufzutreten. Aber ähnlich wie die USA hat China seine eigene Agenda. Sollte China vermitteln, muss es immer auch seine Beziehungen zu den Ländern des Globalen Südens in seine Überlegungen miteinbeziehen. Das schränkt Chinas Möglichkeiten deutlich ein.