Pro-palästinensische Neutralität?
Krieg zwischen Israel und Hamas wird zum Test für Chinas Ambitionen im Nahen Osten
VonChristiane Kühlschließen
Viele wünschen sich China als Vermittler im Krieg zwischen Israel und der Hamas. Doch Peking ist damit überfordert und verfolgt vor allem eigene Interessen. Zudem schweigt es weiter zu Hamas-Gräueltaten.
Im Nahostkonflikt wächst der Druck auf China, sich endlich konstruktiv einzubringen. „Wir würden China gerne mit allen anderen Akteuren an Bord haben“, sagte Fariz Mehdawi, Botschafter Palästinas in Peking, am Montag in einem Interview mit Bloomberg TV. US-Außenminister Antony Blinken forderte seinen Amtskollegen Wang Yi in einem Gespräch am Samstag auf, seinen Einfluss auf andere Akteure wie Iran zu nutzen, damit diese sich nicht in den Konflikt einmischen. Auch Israels Botschafter in China hatte Peking zuvor aufgerufen, die engen Beziehungen zu Iran zu nutzen. Denn Teheran unterstützt die anti-israelische Hisbollah-Miliz im Südlibanon, die seit Tagen mit Angriffen auf Nordisrael droht.
Diese Woche wird nun Chinas Nahost-Sondergesandter Zhai Jun in der Region eintreffen. Zhai sagte dem Staatssender CGTN, er werde „die Koordination mit allen Parteien in Richtung eines Waffenstillstands, des Schutzes der Zivilbevölkerung, der Deeskalation und der Förderung von Friedensgesprächen weiter verstärken.“ Wie viel Zhai erreichen kann, ist allerdings ungewiss.
China fehlt das diplomatische Geschick
Denn bisher hat China sich nicht besonders diplomatisch verhalten. Im Gegenteil: Peking erboste Israel mit Plattitüden. Kein Offizieller verurteilte die tödlichen Angriffe der islamistischen Terrorgruppe Hamas auf Zivilisten in Südisrael, bei denen auch mindestens drei chinesische Staatsbürger ums Leben kamen. Stattdessen gab es Aufrufe an beide Seiten, die Gewalt zu beenden. Chinas Staatsmedien geben flächendeckend den USA die Schuld an der Eskalation. Es wirkt ähnlich wie Pekings Haltung zum Ukraine-Krieg, die im Westen inzwischen als „pro-russische Neutralität“ geschmäht wird. Wenn Pekings Haltung nun auf israelischer Seite als „pro-palästinensische Neutralität“ wahrgenommen wird, dürfte es schwierig werden mit Zhais Mission.
Die ungeschickte Reaktion zeigt, wie sehr Pekings Ansprüche auf eine globale Machtposition und seine Unerfahrenheit mit komplexen geopolitischen Zusammenhängen auseinander klaffen. China möchte nach wie vor außenpolitisch keine Risiken eingehen. So schadet es sich mit inhaltsleeren Aussagen allerdings selbst. Denn ein Scheitern würde Chinas Interessen in der Region ebenso zuwiderlaufen wie seinem Ziel, als verantwortungsbewusste Weltmacht wahrgenommen zu werden. China will seinen Einfluss im globalen Süden ausbauen, zu dem die Nahostregion gehört, in der traditionell die USA dominieren. Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas könnte so zum Test für Chinas enorme Ambitionen werden.
China: Kontakt mit dem globalen Süden
Außenminister Wang spricht daher verstärkt mit Vertretern des globalen Südens über die Krise. Bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow etwa betonte Wang am Montag, die dringendste Aufgabe sei ein Waffenstillstand und der Aufbau von Kanälen für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen. Große Länder – also solche wie China und Russland – sollten den Friedensprozess steuern. Auch sprach Wang mit dem Außenminister Saudi-Arabiens und kritisierte, Israels Vorgehen in Gaza gehe über die reine Selbstverteidigung hinaus. Jerusalem solle, wie von der UNO gefordert, die kollektive Bestrafung der Menschen in Gaza beenden. Der Konflikt zeige auf tragische Weise, dass der Weg zur Lösung bei der Verwirklichung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes liege, sagte Wang in einem Gespräch mit einem brasilianischen Präsidentenberater.
Nichts daran ist wirklich falsch. Doch Chinas Reaktion zeigt eben keine Empathie mit den zivilen Opfern in Israel, wie der demokratische US-Senator Chuck Schumer vergangene Woche bei seinem China-Besuch anmerkte. Und das vermindert die Chancen einer Vermittlung.
China ist Vermittlung des hochkomplexen Konflikts nicht gewachsen
Traditionell spielt China keine große sicherheitspolitische Rolle in der Region, pflegt aber gute Beziehungen zu praktisch allen, Staaten, auch wenn sie verfeindet sind. Daher gelang es Peking im April, die Annäherung der verfeindeten Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran zu vermitteln. Beflügelt von diesem Coup, bot noch im selben Monat der damalige Außenminister Qin Gang Israel und den Palästinensern chinesische Vermittlung in ihrem jahrzehntelangen Konflikt an. Doch damit hat sich China offensichtlich verhoben, wie die bislang schwache Reaktion auf die aktuelle Krise zeigt. An dem jahrzehntelangen Konflikt haben sich Generationen Verhandler aus dem Westen und anderen Ländern die Zähne ausgebissen.
China habe kein Eigeninteresse in dem Konflikt und stehe weder auf der einen noch auf der anderen Seite, betonte der Sondergesandte Zhai. Doch im Nahen und Mittleren Osten geht es immer auch um Öl und Gas – und somit eben doch um handfeste Eigeninteressen. Das gilt für China ebenso wie für die USA und andere. Chinas Abhängigkeit von Ölimporten aus dem Ausland – speziell aus der Golfregion einschließlich Iran – steigt rasant. Peking braucht also Stabilität in der Region ebenso wie gute Beziehungen zu allen Akteuren. Der Krieg um Gaza und Israel könnte Chinas sorgsam gepflegtes Beziehungsgeflecht in der Region nun zerschießen. Für Peking steht also viel auf dem Spiel.
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