Krieg in Israel
„Entscheidung in zwei bis drei Tagen“: So will Israel den Hamas-Terror bekämpfen
VonMax Müllerschließen
Wie wird der Gegenschlag Israels gegen die Hamas aussehen? Ein Militärexperte rechnet mit einer Bodenoffensive – und extrem vielen getöteten Zivilisten.
Nach den verheerenden Angriffen von Hamas-Terroristen auf Israel mehren sich Anzeichen für eine bevorstehende Bodenoffensive Israels im Gazastreifen. Israel ordnete die komplette Abriegelung des nur 40 Kilometer langen und sechs bis zwölf Kilometer breiten Gebietes an, während die Armee 300.000 Reservisten mobilisiert. In Videobildern war die Verlegung von Kampfpanzern und Haubitzen an den Rand des Gazastreifens zu sehen. „Was die Hamas erleben wird, wird hart und fürchterlich sein. Wir sind erst am Anfang“, hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gesagt und Rache geschworen.
Israels Armee griff im Gazastreifen Ziele militanter Palästinenser an. Die Stellungen seien aus der Luft und von Schiffen aus attackiert worden, teilte die Armee am späten Montagabend mit. Das Militär habe unter anderem Waffenlager, Tunnel und eine Hamas-Kommandozentrale in einer Moschee bombardiert. Die Gegenoffensive hat begonnen. Doch wie wird sie aussehen?
Israels Offensive gegen die Hamas: Heikle Mission im Gazastreifen
Stephan Stetter ist sicher, dass eine Bodenoffensive folgen wird. „Dazu hat Israel auch jedes Recht nach diesem fürchterlichen Terroranschlag der Hamas. Zivilisten gezielt anzugreifen, wie es die Hamas getan hat, ist ein fürchterliches Kriegsverbrechen“, sagt der Experte von der Universität der Bundeswehr München. Wie genau Israel vorgeht, ist nach Ansicht des Professors für Internationale Politik und Konfliktforschung noch nicht ausgemacht. „Bisher gibt es innerhalb der israelischen Regierung noch keinen Konsens. Während der Verteidigungsminister durchblicken ließ, dass man die Hamas komplett vernichten wolle, zielt Netanjahu, wenn man den am Montag getätigten Aussagen folgt, eher auf eine langfristige Schwächung ab.“
Ganz gleich, wie stark die Gegenoffensive ausfällt: Es wird eine heikle Militäroperation. „Die Krux liegt im Terrain des Gazastreifens. Der ist sehr eng besiedelt – und die beste Ortskenntnis hat natürlich die Hamas. Sie kennt die Tunnelsysteme. Und wann immer es in einem Krieg unübersichtlich wird, gilt: Es werden viele Zivilisten sterben“, sagt Stetter. Immerhin verstecken sich etwa 100.000 Terroristen zwischen knapp zwei Millionen Zivilisten im Gazastreifen, die Hälfte davon Kinder. „Die humanitäre Lage in Gaza ist ohnehin schwierig, die meisten Menschen sind bitterarm. Die Bevölkerung ist der Hamas ausgeliefert“, sagt Stetter.
„Militärisch gesehen geht von der Hisbollah die wesentlich größere Gefahr aus“
Der Nahostexperte rechnet damit, dass die Entscheidung über das Ausmaß des Gegenschlags „in den nächsten zwei bis drei Tagen“ fallen wird. Eine Entscheidung will gut überlegt sein, angesichts der komplexen Lage. Wie wird sich die eng mit dem Iran kooperierende Hisbollah im Norden Israels verhalten? „Militärisch gesehen geht von der Hisbollah nämlich die wesentlich größere Gefahr aus als von der Hamas“, sagt Stetter. „Der Konflikt ist nicht regional, allein schon deshalb nicht, weil sich unter den Geiseln der Hamas nicht nur Israelis befinden – das ist ein massives Faustpfand.“ Nach wie vor sind mehr als 150 Geiseln in der Gewalt der Hamas.
Als willkommene Ablenkung dürfte auch Russland in den Nahen Osten schauen, glaubt Stetter. „Es gibt zwar keine ideologische Verbindung zur Hamas, doch aber ein gemeinsames Ziel: Die westliche Welt soll geschwächt werden.“ Ein Kalkül, dass der Westen – und insbesondere Israel – verhindern will. „Es wird eine militärische Antwort Israels geben, auch mit Bodentruppen. Wie umfangreich dies aber sein wird, ist noch offen. Aber die Hamas ist bestens vernetzt in der Region, man darf sie auf keinen Fall unterschätzen.“ Obendrein würde eine Wiederbesetzung des Gazagebiets ein permanentes Risiko bedeuten, was eine komplette Eskalation unwahrscheinlicher mache. „Eine Besetzung würde die Gefahr nicht beenden, auch dann geht von der Hamas weiter ein großes Risiko aus“, sagt Stetter.
„Außerdem wäre Israel nach einer Wiederbesetzung für die dortige Bevölkerung verantwortlich, auch das scheint mir nicht das israelische Interesse zu sein.“ Insofern hält er das Ziel einer langfristigen Schwächung für nicht unwahrscheinlich. Eine Strategie, die allerdings nachweislich auch ihre Schwächen hat. „Genau das war stets Netanjahu Vorhaben – und damit ist er krachend gescheitert“, sagt Stetter.