Experten-Interview

Drohender Krieg im Nahen Osten: „Hamas hat das Spiel mit dem Feuer eröffnet“

  • Momir Takac
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  • Anne-Christine Merholz
    Anne-Christine Merholz
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Der Experte für Internationale Politik Ulrich Schlie hält es für möglich, dass sich der Israel-Krieg zum Flächenbrand im Nahen Osten ausweiten kann.

München – Der Krieg in Israel dauert nun schon den dritten Tag an. Im Grenzgebiet gibt es noch immer Kämpfe zwischen israelischen Soldaten und Terroristen der islamistischen Hamas. Die israelische Armee fliegt als Antwort Luftangriffe auf den Gazastreifen und soll eine Bodenoffensive vorbereiten. Weil auch die Hisbollah ins Kriegsgeschehen eingegriffen hat, könnte ein Flächenkrieg im Nahen Osten drohen.

„Die Gefahr eines Flächenbrands ist nicht von der Hand zu weisen“, sagte Ulrich Schlie im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik sowie Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn. Die Hamas habe „mit ihrer perfiden Attacke bewusst eine Eskalation in Kauf genommen“, um Israel zu schwächen, erklärte Schlie weiter.

Krieg in Israel: Sicherheitsexperte sieht „Gefahr eines Flächenbrands“ im Nahen Osten

Dass sich die Hamas angesichts der erwarteten Bodenoffensive Israels im Gazastreifen zurückziehen wird, glaubt der Sicherheitsexperte nicht. „Die Hamas wird eine Bodenoffensive in Gaza einkalkuliert haben, da dies die traditionelle Antwort Israels in ähnlichen Situationen immer gewesen ist“, sagte Schlie. Er erwartet weitere Provokationen, „um größtmöglichen Kollateralschaden hervorzurufen.“

Rauch steigt nach einem israelischen Luftangriff in Gaza-Stadt auf.

Ein schnelles Ende des Israel-Kriegs ist folglich nicht in Sicht. „Die Hamas hat das Spiel mit dem Feuer eröffnet. Sie wird es deshalb fortsetzen, da das verwundete Israel nicht locker lassen wird“, so Schlie weiter. Zumal auch die Hisbollah in den Konflikt eingreifen könnte. Die vom Iran unterstützte schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon erklärte sich am zweiten Tag des Kriegs in Israel mit der Hamas solidarisch und feuerte Raketen auf Stellungen im Norden Israels.

Krieg im Gazastreifen: Schlie sieht reelle Gefahr einer Eskalation

„Der Umstand, dass die Hisbollah ausgerechnet ein Gebiet der Schabaa-Farmen angegriffen hat, das von Syrien und politischen Kräften im Libanon als libanesisches Territorium angesehen wird, deutet darauf hin, dass die Hisbollah eine größtmögliche Solidarisierung anstrebt“, erklärte Schlie. Auch der Iran habe bereits seine Solidarität mit der Miliz im Libanon erklärt.

Auch wenn die Hisbollah und auch der Verbündete und Israel-Erzfeind Iran „zum gegenwärtigen Zeitpunkt eigentlich kein Interesse an einem großen Krieg haben dürften“, sieht Schlie eine reelle Gefahr einer Eskalation. Den Angaben des israelischen Militärs zufolge verfügt die Hisbollah über mehr als 100.000 Kurz- und Mittelstreckenraketen.

Israel-Krieg: Deutschland muss Bekenntnis zu Israel „Taten folgen lassen müssen“

Der Experte für Internationale Beziehungen begründet dies auch mit Aussagen von US-Präsident Joe Biden und deutscher Regierungen hinsichtlich der Sicherheit Israels. „Die Vereinigten Staaten werden an ihrer Entschlossenheit zum Eingreifen keine Zweifel aufkommen lassen“, sagte Schlie. Biden könne sich angesichts bevorstehender Wahlen keinen zaudernden Eindruck hinsichtlich der Sicherheit Israels erlauben. Jüngst entsendeten die USA Kriegsschiffe und einen Flugzeugträger in die Krisenregion.

Nach dem Angriff der Hamas-Terroristen bekräftigten die Vorsitzenden der Ampel- und der Unionsparteien, was Angela Merkel 2008 in der Knesset postuliert hatte: Die Sicherheit Israels sei die „historische Verantwortung Deutschlands und Teil der Staatsräson“. Diesem Bekenntnis wird Deutschland im Israel-Krieg „Taten folgen lassen müssen“, sagte Schlie. (mt/acm)

Zur Person

Ulrich Schlie, Jahrgang 1965, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik (englisch: Academy of International Affairs NRW, Geschäftsführende Direktorin: Dr. Mayssoun Zein Al Din), Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn sowie Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS).

Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa/AP | Fatima Shbair

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