„Schwachsinnig, russophob, zügellos“
Hass-Tirade für den Täter: Medwedew wittert bei Fico-Attentat eine Verschwörung gegen Russland
VonRebecca Fulleschließen
Dimitri Medwedew heizt mit wilden Theorien die Spekulationen an. Er vermutet eine Verschwörung gegen Politiker, die Russland wohlgesonnen sind.
Moskau – Dimitri Medwedew, Vize-Leiter des Sicherheitsrates Russlands und Verbündeter von Präsident Wladimir Putin, hat sich nach dem Attentat gegen den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico auf der Plattform Telegram mit einer Verschwörungstheorie geäußert. Er schreibt, er halte es für keinen Zufall, dass mit dem Attentat auf Fico ein Mann mit einer „vernünftigen Position gegenüber Russland“ angegriffen wurde.
Verschwörung vermutet: Medwedew heizt Spekulationen um Fico-Attentat an
Nach dem Attentat am Mittwochnachmittag bleibt der Zustand des Ministerpräsidenten weiterhin ernst. Der 59-Jährige wurde mehrfach angeschossen und befand sich am Donnerstag nach einer fünfstündigen Notoperation weiterhin auf der Intensivstation. Das berichtet die Deutsche Presse Agentur (dpa).
Als Reaktion schrieb Russlands Ex-Präsident Medwedew auf Telegram: „Ist es verwunderlich, dass in Europa zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein Attentat auf einen Politiker verübt wurde, der eine vernünftige Position gegenüber Russland vertrat? Übrigens ist er keineswegs pro-russisch. Nur ein Pragmatiker und kein Russophober.“
Als Fico im Oktober 2023 Regierungschef wurde, stoppte er die Militärhilfe der Slowakei für Kiew und stellte die Souveränität der Ukraine infrage, schreibt die dpa weiter. Zuletzt sorgte die von seiner Regierung beschlossene Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Massenproteste. Journalistenverbände und Oppositionsvertreter kritisierten, dass durch die Reform die Pressefreiheit untergraben werde.
Er ist seit 2023 erneut Ministerpräsident der Slowakei, nachdem er bereits von 2006 bis 2010 sowie von 2012 bis 2018 das Amt innehatte.
Putin-Verbündeter hält Europa für schwachsinnig und russophob
Kurios: Sollte der Regierungschef aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten, würde damit gemäß der slowakischen Verfassung automatisch die gesamte Regierung zu Fall gebracht. Das schreibt die dpa. „Dass ein Ministerpräsident wegen eines Attentats die Amtsgeschäfte nicht fortführen kann, scheinen die Väter des Grundgesetzes nicht berücksichtigt zu haben.“ Solange Fico bis zur vollen Genesung nur pausiere, führten seine Stellvertreter in der Zeit die Regierungsgeschäfte weiter – mit Robert Kalinak als Erstem in der Reihenfolge.
Robert Fico verkörpere den Teil des europäischen Establishments, schreibt Medwedew weiter, „der den Kontakt zur Realität nicht verloren hat und nicht möchte, dass seine Bürger in graue radioaktive Asche verwandelt werden.“ Es gebe in Europa nur wenige Menschen wie den slowakischen Ministerpräsidenten. „Und sie müssen dringend für ihre Sicherheit sorgen.“
Der mutmaßliche Attentäter ist ein 71-Jähriger aus der Kleinstadt Levice. Sein Handeln sei die Quintessenz des neuen Europas, „schwachsinnig, russophob, zügellos und völlig kopflos“, verbreitet Medwedew weiter seine Theorie. „Bereit, seine Bürger in den Ofen der egoistischen amerikanischen Politik zu werfen.“
Der 71-Jährige sei ein „einsamer Wolf“, wie der slowakische Innenminister Matus Sustaj Estoker sagte. Er sei mit der politischen Entwicklung in der Slowakei unzufrieden, jedoch kein Mitglied einer radikalisierten politischen Gruppierung, weder einer rechten noch einer linken. Das berichtet die dpa.
Slowakei ist stark gespalten: Pro-europäisch versus nationalistisch
Die Slowakei ist seit Jahren stark gespalten in ein pro-europäisches Lager, dem die noch amtierende Präsidentin Zuzana Caputova angehört – und ein nationalistisches, dem Fico und Peter Pellegrini zugerechnet werden, heißt es von der Nachrichtenagentur AFP. Pelligrini hatte im April die Präsidentenwahl gewonnen und wird im Juni zu Caputovas Nachfolger. Die jüngste Präsidentenwahl war geprägt von Desinformation in Online-Netzwerken und Verbalattacken.
Medwedew bezeichnet in seinem Beitrag den mutmaßlichen Attentäter als Bandera-Anhänger: „Jetzt versuchen Bandera-Anhänger, europäische Führer zu töten. Es ist nur der Anfang!“ Stepan Bandera war ein ukrainischer Nationalist, an dem sich die Geister scheiden. Viele sehen in ihm einen Nationalhelden durch seinen Kampf für die Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Andere wiederum sind überzeugt, er sei ein Faschist, ein Kriegsverbrecher und Hitler-Kollaborateur.
Die russische Propaganda nutzt Bandera für ihre Zwecke. Denn Wladimir Putin rechtfertige seinen Einmarsch in die Ukraine auch damit, dass die Ukraine von den „Nazis“ befreit werden müsse. „Man will erneut gegen Russland auf ukrainischem Boden kämpfen – durch die Hände der Hitler-Nachfolger, der Bandera-Anhänger“, sagte Putin nach Angaben der Tagesschau.
„Medwedews Kommentar ist inakzeptabel“: Mehr aufstacheln als beruhigen
Joel Rubin, ehemaliger Vize-Staatssekretär für Angelegenheiten des Repräsentantenhauses während der Obama-Regierung, verurteilte Medwedews Äußerungen. Das berichtet das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek. „Der Angriff auf Fico war schrecklich und eine Erinnerung an Europas lange Geschichte des politischen Extremismus“, sagte Rubin am Donnerstag (16. Mai) per SMS gegenüber Newsweek. Es sei inakzeptabel und sollte allen Politikern des Kontinents klarmachen, wie wichtig es sei, ihre Sprache zu mäßigen. Er halte Medwedews Kommentar für inakzeptabel, da er eher aufstacheln als beruhigen wolle.
Der Politikexperte Miroslav Radek warnte davor, dass der Angriff auf Fico zu einer „weiteren Radikalisierung von Einzelpersonen und Politikern in der Slowakei“ führen könne. „Ich befürchte, dass diese Attacke nicht die letzte gewesen sein wird“, sagte Radek der Nachrichtenagentur AFP.
Ausweg aus dem „Teufelskreis des Hasses“?
Die noch amtierende Präsidentin Zuzana Caputova sagte mit Blick auf das seit Jahren aufgeheizte politische Klima in der Slowakei, das Land müsse aus dem „Teufelskreis des Hasses und der gegenseitigen Beschuldigungen“ herauskommen. „Was passiert ist, war eine individuelle Tat, aber die angespannte Atmosphäre des Hasses ist unser gemeinsames Werk“, sagte Caputova bei einem gemeinsamen Auftritt mit Pellegrini.
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