Warnendes Beispiel Slowakei
Nationalisten drohen nach Attentat auf Fico mit „Krieg“: „Die Spaltung ist überall sichtbar“
VonFlorian Pfitznerschließen
Das Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico hat die Slowakei geschockt. Die Nationalisten rufen einen „politischen Krieg“ aus. Was ist da los?
Berlin – Die Ärzte im Krankenhaus ringen noch um das Leben von Robert Fico, als Andrej Danko eine Stellungnahme abgibt, die es in sich hat. „Für die SNS fängt hier der politische Krieg an“, sagt der Chef der nationalistischen Partei, die an der Regierung beteiligt ist, in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. „Der Opposition rate ich, sich lieber zu verkriechen.“
„Das Attentat hat die gespaltene Slowakei geschockt“
Der Zustand des slowakischen Ministerpräsidenten Fico hat sich nach dem Attentat am Mittwoch (15. Mai) einigermaßen stabilisiert. Das erklärte Ficos erster Stellvertreter in der Regierung, Verteidigungsminister Robert Kalinak, am Donnerstagmorgen der Nachrichtenagentur TASR. Wegen einer Informationssperre des Krankenhauses gab es zunächst nur spärliche Informationen zum Gesundheitszustand des Regierungschefs. Ein 71-jähriger Slowake hatte auf den Premier geschossen.
Fico war zu einer Tagung in die slowakische Provinz gereist. Er suchte Bürgernähe, schüttelte Hände – dann fielen Schüsse auf den 59-jährigen Ministerpräsidenten. Ob der festgenommene Attentäter ein politisches Motiv hatte, blieb zunächst offen.
Tomislav Delinić leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Tschechien und der Slowakei. „Diese Tat hat hier alle schockiert“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA, „Medien jeder Couleur, politische Parteien aus allen Lagern, die Menschen in diesem tief gespaltenen Land“. Dass der Nationalist Danko wenige Stunden nach dem Attentat einen Krieg ausruft, sei „in dieser eh schon angespannten Lage hochgefährlich“.
Beobachten spricht von „aggresiver Stimmung“ im Land
Was ist los in der Slowakei? Robert Fico ist ein politisches Urgestein. Der Jurist ist ursprünglich Sozialdemokrat, gründete aber seine eigene Partei Smer („Richtung“). „Über die Jahre, vor allem während der Corona-Pandemie, wurde seine Politik immer populistischer“, erklärt Delinić, der bereits in der Slowakei gearbeitet hat, als Fico 2006 zum ersten Mal zum Premierminister gewählt wurde. „Seitdem hat sich einiges im Land geändert“, sagt Delinić. „Die Stimmung ist aggressiver geworden.“
Mit Unterbrechung regierte Fico bis zum Jahr 2018, als ein politischer Mord die Slowakei erschütterte: Der Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte wurden im gemeinsamen Haus erschossen. Kuciak hatte zu Verbindungen der organisierten Kriminalität bis in höchste Regierungsstellen und Kreise des Regierungschefs Fico recherchiert. Überall im Land gingen anschließend Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren; am Ende trat Fico zurück.
Seit dem Mord an Kuciak gewann das liberale Lager in der Slowakei an Zustimmung. Die junge Generation, die in Europa aufgewachsen ist, setzt sich für ein offenes und modernes Land ein. „In seiner politischen Anfangszeit war Fico selbst noch maßgeblich an der Westintegration beteiligt“, sagt Delinić. Aus der Opposition heraus geißelte Fico dann die pro-europäische Präsidentin Zuzana Čaputová als „amerikanische Agentin“.
Es zeigt sich, was passieren kann, wenn der Konsens verloren geht
Trotz hoher Beliebtheitswerte trat Čaputová nicht noch einmal zur Wahl an. „Auch als Reaktion auf die konstanten Angriffe auf ihre Person und konkreten Bedrohungen“, sagt Delinić. Nach den Parlamentswahlen 2023 kam Fico erneut ins Amt des Premierministers – in einer Koalition seiner Linkspopulisten unter anderem mit den Nationalisten von Danko. „Die Regierung kündigte das Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine an und legte eine sehr umstrittene Justizreform vor“, erläutert KAS-Experte Delinić. „Mit der Novelle wurde umgehend die Sonderstaatsanwaltschaft abgeschafft, die in Korruptionsfällen innerhalb der Politik ermittelt.“
Womöglich zeigt die Slowakei, was passieren kann, wenn der gesellschaftliche Grundkonsens verloren geht. So sieht es Delinić, der sein Büro in der tschechischen Hauptstadt Prag hat, aber zweimal im Monat zu seinen Mitarbeitenden nach Bratislava fährt. „Die Spaltung ist überall sichtbar“, sagt er, „sie zieht sich durch Familien, durch Freundeskreise, durch Sportvereine.“ Auch die Schärfe in der Sprache habe gefährlich zugenommen. Überall gebe es Schuldzuweisungen, Beschimpfungen – und sogar offene Drohungen, wie jetzt die Dankos. „Wenn schon Politiker so sprechen“, warnt Delinić, „dann kann man sich vorstellen, wie es an der Theke zugeht.“
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