Interview

Norwegens Verteidigungsminister warnt vor möglichem Putin-Angriff: „Müssen uns vorbereiten“

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
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Norwegen steigert seine Verteidigungsausgaben deutlich. Im Interview kündigt Minister Gram auch eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland an.

Oslo – Die deutsche Vokabel „Zeitenwende“ hat es bis nach Norwegen geschafft. Das Wort hält dort gerade Einzug in den aktiven Sprachgebrauch. Die Norweger haben eine eigene Version dessen, was Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach Beginn des Ukraine-Kriegs für Deutschland beschworen hat. In diesen Tagen ist das in Europas Norden hochaktuell.

Ukraine-Krieg führt zu Zeitenwende in Norwegen: Strategische Bedeutung für Nato immer größer

Stück für Stück hat die norwegische Regierung einen als historisch geltenden Langzeitplan für Verteidigungsausgaben vorbereitet und nun beschlossen. Der Etat wird nahezu verdoppelt, die Ausgaben sollen bis 2036 drei Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen. Die strategische Bedeutung Norwegens für die Nato wächst derweil, erst recht nach dem Beitritt Schwedens und Finnlands zum Verteidigungsbündnis.

Wegweisende Rüstungsvereinbarung in Oslo. Auf dem Bild, v.l.: Ritek-Verwaltungsratsschef Andreas Vossheim, Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram und Vertriebsbereichsleiter Rainer Fichtner von KNDS.

Passend dazu hat jetzt das deutsche Rüstungsunternehmen KNDS (ehemals Krauss-Maffei Wegmann) am Rande eines Kongresses der deutsch-norwegischen Handelskammer eine Vereinbarung mit dem norwegischen Mechanikspezialisten Ritek über die Montage von Leopard-2-Panzern geschlossen. Ein wichtiger Termin, wie die Anwesenheit von Norwegens Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram zeigt. Im Interview mit IPPEN.MEDIA spricht der Minister über die Bedrohung durch Putins Russland und eine neue Art der Kooperation mit Deutschland.

Welche Bedeutung hat die neue Rüstungsvereinbarung?
Ich denke, das ist sehr wichtig. Es geht ja nicht nur um die Beschaffung von neuem Material, sondern hier wird eine Brücke geschaffen für die operative Kooperation zwischen Norwegen und Deutschland. 

Industriepark Raufoss: Wo Spezialmunition für die Ukraine und Autoteile produziert werden

Ein zugefrorener See in Norwegen nördlich von Oslo
Raufoss liegt zwischen dichten Wäldern und großen Seen – gut 130 Kilometer nördlich der norwegischen Hauptstadt Oslo.  © Peter Sieben
Ein rotes Haus mit Holzfassade in der Dämmerung im Schnee
Bunte Häuser mit Holzfassaden säumen die Straßen. © Peter Sieben
Ein Straßenschild in Raufoss in Norwegen und ein Haus im Schnee
„Verteidigungsausrüstung“ steht auf dem Schild über dem Logo von Rüstungsproduzent Nammo. Wer durchs idyllische Städtchen Raufoss schlendert, rechnet nicht damit, dass direkt neben an ein bedeutender Industriepark liegt, in dem auch Munition für die Ukraine produziert wird.  © Peter Sieben
Øivind Hansebråten, CEO vom Raufoss Industriepark in Norwegen
Øivind Hansebråten ist CEO vom Raufoss Industriepark, einem der bedeutensten in Norwegen. Im Vergleich zu deutschen Parks ist er recht überschaubar. „Ich weiß, in Deutschland ist alles größer, aber für uns ist das schon ganz gut“, sagt Øivind und grinst. Dafür geht es hier recht familiär zu. © Peter Sieben
Emma Østerbø im Catapult Centre in Raufoss
Know-how wird im Industriepark geteilt: Emma Østerbø ist General Manager beim Raufoss Katapult Center. Hier können Start-Ups Prototypen testen.  © Peter Sieben
Gebäude von Benteler im Raufoss Industriepark in Norwegen
Im Raufoss Industriepark gibt es auch ein großes deutsches Unternehmen: der Autozulieferer Benteler. Dabei sind die Löhne hier höher als in Deutschland. Aber: Das Unternehmen nutzt hier auch norwegisches Know-How, um Automationsmechanismen zu testen.  © Peter Sieben
Mitarbeiter von Benteler in Raufoss in Norwegen
In den Produktionshallen von Benteler arbeiten pro Schicht nur zwei bis drei Menschen – das meiste läuft automatisiert. Das hat zwei Gründe: Fachkräfte sind Mangelware, im riesigen Norwegen leben vergleichsweise wenige Menschen. Und: Die Löhne für Fachkräfte sind hoch. Viele Unternehmen setzen auf Automation.  © Peter Sieben
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo in Raufoss in Norwegen
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo: Der Rüstungskonzern und Produzent von Spezialmunition gehört zu den ganz großen und zentralen Unternehmen im Industriepark.  © Peter Sieben
Eine Backstein-Werkshalle von Nammo im Raufoss-Industriepark in Norwegen
Eine der Werkshallen von Nammo: Im Raufoss Industriepark gibt es zahlreiche renovierte historische Gebäude.  © Peter Sieben
Nammo-Munitionsfabrik in Raufoss in Norwegen
Fotos dürfen in der Munitionsfabrik nur an einer einzigen Stelle gemacht werden. Damit keine sensiblen Informationen nach außen dringen, gelten strenge Sicherheitsregeln.  © Peter Sieben
Ein Arbeiter an einer Maschine in der Munitionsfabrik von Nammo in Raufoss in Norwegen
Präzision hat eine hohe Priorität: Mithilfe von Robotern und Computertechnik werden die Projektile gefertigt.  © Peter Sieben
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.  © Ippen.Media
Thorstein Korsvold, Pressesprecher von Nammo, stemmt eine Stahlhülse
Thorstein Korsvold stemmt eine der fertigen Hülsen, die zu Projektilen weiterverarbeitet werden: „Wiegt locker 30 bis 40 Kilo.“ Das meiste, das sie hier produzieren, geht an die ukrainischen Streitkräfte. So werden hier Rohlinge für M72-Panzerabwehrmunition gefertigt, die von ukrainischen Soldaten massenhaft verschossen werden. „Wir sind stolz auf unsere Produktion“, sagt Thorstein. „Aber es hat alles zwei Seiten. Wenn unser Geschäft besonders gut läuft, hat das düstere Gründe.“  © Peter Sieben

Deutschland und Norwegen bauen gemeinsam U-Boote

Deutschland und Norwegen bauen auch gemeinsam ein neuartiges U-Boot. Die Zusammenarbeit scheint sich seit Monaten zu intensivieren, oder?   
Ja, die deutsch-norwegische Zusammenarbeit bei der U-Boot-Produktion zeigt das sehr deutlich. Wir bauen die U-Boote ja nicht nur gemeinsam, sondern betreiben und warten sie auch zusammen. Es ist ein nachhaltiges, lebenslanges Projekt. Ich habe bereits mit meinem deutschen Kollegen Boris Pistorius vereinbart, dass wir die Zusammenarbeit auch in anderen Bereichen voranbringen wollen. 
Norwegen hat gerade einen Langzeitplan für Verteidigungsausgaben beschlossen. Deutschland hat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ebenfalls ein Sondervermögen für Verteidigung eingeplant. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr durch Wladimir Putin für Europa und Norwegen ein?  
Russland ist die größte Bedrohung für die norwegische und europäische Sicherheit. Das ist sicher. Der Angriff auf die Ukraine war absolut inakzeptabel. Wir stehen zusammen und unterstützen die Ukraine bei ihrem Kampf für die Freiheit. Russland hat gezeigt, dass es bereit ist, mit Gewalt Ziele durchzusetzen. 

Bedrohung durch Putin: „Werden es noch lange mit einem aggressiven Russland zu tun haben“

Norwegen hat eine Landgrenze mit Russland. Befürchten Sie direkte Angriffe?  
Wir rechnen nicht mit einer akuten Bedrohung im Sinne einer konventionellen Kriegssituation. Auch, weil Russland jetzt mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt ist und viele Ressourcen verbraucht hat. Aber die Russen haben gezeigt, dass sie Möglichkeiten zum Wiederaufbau ihrer Ressourcen haben. Das ist besorgniserregend. Sie haben eine Kriegsökonomie, sie produzieren viel Munition und viele Waffen. Wir müssen uns auf das vorbereiten, was kommen wird. Ich denke, wir werden es noch für eine lange Zeit mit einem unberechenbaren und aggressiven Russland zu tun haben. Im Parlament unterstützen alle Parteien unseren neuen langfristigen Verteidigungsplan. Das ist zeigt deutlich, wie ernst wir die Sicherheitslage in Norwegen beurteilen.

Rubriklistenbild: © ITAR-TASS/photothek/NTB/imago (Fotomontage)