Rüstungskooperation
So lang wie drei Blauwale: Riesige U-Boote bald in Nordsee und Atlantik unterwegs
VonPeter Siebenschließen
Deutschland und Norwegen entwickelt gemeinsam U-Boote der Klasse 212CD. Sie sind nach dem Prinzip der Austauschbarkeit gebaut: ein wichtiges Signal der Nato.
Oslo/Kiel – In Kiel werden sechs Giganten geboren, die bald die Meere im Norden durchpflügen: So lang wie drei ausgewachsene Blauwale sollen die neuen U-Boote vom Typ 212CD werden. 2027 sollen die ersten Boote die Werft von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) verlassen. Mit einer Länge von 73 Metern sind sie dann deutlich größer als die bisher modernsten U-Boote der deutschen Marine – die U31-Klasse ist nur 56 Meter lang. Die Größe ist nicht die einzige Besonderheit. Denn hinter dem Bau der Boote steckt ein bislang einzigartiges Projekt: Die Nato-Partner Deutschland und Norwegen haben die U-Boote gemeinsam entwickelt, zwei U-Boote wird die deutsche Marine übernehmen, vier die norwegische Seite. Sie werden so gebaut, dass Besatzungen beider Streitkräfte sich sofort in den Booten des jeweils anderen Landes zurechtfinden.
U-Boot 212CD ist gemeinsames Rüstungsprojekt von Norwegen und Deutschland
„Sowas macht man sicher nicht mit jemandem, dem man nicht vertraut“, sagt Michael Kern, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Norwegischen Handelskammer AHK in Oslo. Das Militär-Projekt sei ein klares Signal für die neuen engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. „Deutschland ist Norwegens wichtigster Partner in Europa“, so Kern. Ähnlich formuliert ist das so auch in der sogenannten Deutschland-Strategie, einem Papier der norwegischen Regierung, in dem es um bilaterale Beziehungen mit europäischen Partnern geht.
U-Boot: Neue Klasse 212CD
► Das neue U-Boot 212CD basiert auf der Klasse 212A. Die Buchstaben „CD“ stehen für „Common Design“.
► Länge: 73 Meter, Verdrängung: 2.800 Tonnen, Indienststellung: ab 2029
► Norwegen und Deutschland entwickeln die U-Boote gemeinsam, zwei Boote gehen an Deutschland, vier an Norwegen. Kosten Deutschland: 2,79 Mrd. Euro, Kosten Norwegen: 4,5 Mrd. Euro.
► Der Bootskörper bekommt eine neuartige Form, die weniger rund ist und eher an einen Diamanten erinnert. Das soll die Ortung der U-Boote erschweren.
► Anstelle eines Periskops soll die Klasse 212CD sogenannte Optronik-Mastsysteme erhalten. Diese funktionieren mithilfe von Sensoren und sollen auch bei schlechter optischer Sicht klare Bilder liefern.
Seit Ukraine-Krieg: Deutschland braucht Öl und Gas aus Norwegen
Norwegen war als anglophiles Land lange Zeit stark in Richtung Großbritannien orientiert. Aber nicht zuletzt der Brexit habe dazu geführt, dass die Karten neu gemischt wurden, sagt Kern. Die Kooperation in der Verteidigungsindustrie stehe nicht für sich, vielmehr entwickle sich jetzt sukzessive ein Netz aus Gegenseitigkeitsgeschäften, das die Industrien beider Länder immer weiter zusammenführe. So hatte Norwegen zuletzt beschlossen, deutsche Leopard-2-Panzer, die in München gebaut werden, zu kaufen. Deutschland wiederum braucht seit dem Ukraine-Krieg vermehrt Öl und Gas aus Norwegen. Und es gibt konkrete Pläne für eine Pipeline, über die Norwegen künftig Wasserstoff nach Deutschland liefern wird.
„Die deutsch-norwegische Rüstungszusammenarbeit geht über die Beschaffung eines technisch verbesserten U-Bootes hinaus“, heißt es auch aus dem Bundesverteidigungsministerium. So schließe die Kooperation neben der Entwicklung der U-Boote auch die gemeinsame Wartung, Instandsetzung, Ersatzteilversorgung und Ausbildung der Besatzungen mit ein. Das Projekt sei ein Vorzeigebeispiel für den sogenannten Interchangeability-Ansatz, bei dem es um Austauschbarkeit von Material zwischen Nato-Partnern geht, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
U-Boote eignen sich für Aufklärung an der Nato-Nordgrenze zu Russland
Wo genau die neuen U-Boote eingesetzt werden und welche Aufgaben sie haben, ist noch nicht im Detail bekannt. Ein Bereich wird wohl die Aufklärung in der Nordsee beziehungsweise in der Barentssee an der Grenze zu Russland sein. Dort, an der sogenannten Nato-Nordflanke, hat Norwegen seine Aktivitäten zuletzt hochgefahren, sagt der norwegische Brigadegeneral Eystein Kvarving. „Wir machen mehr Aufklärungsflüge und setzen neue Flugzeuge ein. Neben den alten P3-Poseidon-Aufklärern nutzen wir zunehmend neue Modelle vom Typ P8 Poseidon.“
Ein Ort, auf den die Aufklärer besonders schauen, ist der Bereich um die russische Halbinsel Kola. Der dortige Hafen von Murmansk ist wegen Golfstrom-Ausläufern auch im Winter oft eisfrei, was die Region zu einem strategisch wichtigen Ort für Russland macht. Zudem lagert hier ein großer Teil der russischen Atomwaffen. Zuletzt haben die Norweger immer wieder russische Bewegungen im Meer an der russisch-norwegischen Grenze beobachtet, U-Boote und auch Drohnen gesichtet. Die neuen U-Boote der Klasse 212CD dürften die Lagebilderstellung hier deutlich nach vorne bringen können: Gegenüber den Vorgängermodellen wurde die Sensortechnik verbessert, die Boote haben eine höhere Reichweite und eine verringerte Schallsignatur, was ihnen mehr Schutz gegen potenzielle Feindaufklärung bietet. Zudem verfügen die U-Boote über ein ganz neues Führungsmittel- und Waffeneinsatzsystem, also eine neue IT-Infrastruktur, die größere Mengen an Informationen als bislang verarbeiten können soll.
Norwegen plant militärische Großübung „Nordic Response 2024“ mit Nato-Partnern
Könnte der Bau und der Einsatz der neuen U-Boote nahe der nördlichen Nato-Grenze in Norwegen, wo es aktuell ohnehin Spannungen gibt, aus russischer Perspektive nicht als Bedrohung wahrgenommen werden? „Es gibt absolut keinen Grund für Russland, sich bedroht zu fühlen, weil Nato-Länder zusammenarbeiten oder gemeinsame Übungen durchführen”, betont Kvarving. „Nächstes Jahr zum Beispiel haben wir eine große Übung namens ‚Nordic Response 2024‘ zusammen mit Finnland und Schweden. Die Russen sind vielleicht nicht froh darüber, aber sie sind an solche Übungen gewöhnt.“ Angst vor direkten Konfrontationen brauche man nicht zu haben, seit dem Nato-Beitritt Finnlands und dem bevorstehenden Beitritt Schwedens sei die Nato-Nordflanke so sicher wie nie. (pen)
Transparenzhinweis: Ippen.Media wurde von der norwegischen Botschaft in Berlin nach Oslo eingeladen.

