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Populistische Asyl-Versprechen der Union „werden Krise verstärken“

  • Stephanie Munk
    VonStephanie Munk
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SPD und Union ringen um eine Lösung der Asyl-Probleme – getrieben vom AfD-Aufschwung. Viele vorgeschlagenen Heilmittel sind laut Experten unerfüllbar.

Berlin – Durch die Umfragen vor den Wahlen war es abzusehen, aber für viele dann doch ein Schock: Das starke Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Wer oder was schuld am Erstarken der Rechtspopulisten ist, darüber herrscht Uneinigkeit. Doch in einem scheinen sich jetzt (fast) alle einige zu sein: Es muss sich etwas ändern an der deutschen Asylpolitik, Denn das scheint eines der Themen zu sein, die AfD-Wählern unter den Nägeln brennen.

Migrationsexperten aber warnen: Angetrieben vom Erfolg der AfD würden die übrigen Parteien nun teils Versprechungen machen, die nicht einzuhalten sind – und somit noch mehr Unmut schüren.

Experten zur Migrationsdebatte: „Großer Spalt zwischen Stimmung und dem, was möglich ist“

„Es gibt einen großen Spalt zwischen der Stimmung, die jetzt herrscht, und dem, was kurzfristig überhaupt möglich ist“, warnt Dietrich Thränhardt, Professor für Migrationsforschung an der Universität Münster, gegenüber FR.de von IPPEN.MEDIA. Eine härtere Gangart in der Asylpolitik, wie sie jetzt lauthals propagiert werde, sei kurzfristig nicht so leicht erreichbar. „Ich erwarte, dass das die Krise eher verstärken wird“, so der Experte in Hinblick auf den Aufschwung der Rechtspopulisten. „Und zwar durch Erwartungen, die jetzt in der deutschen Bevölkerung geschürt und dann enttäuscht werden.“

Prof. Dr. Dietrich Thränhardt ist Professor für Vergleichende Regierungslehre und Migrationsforschung an der Universität Münster.

Gerade die Ampel-Koalition würde durch unerfüllbare Versprechen das Bild, sie sei nicht handlungsfähig, noch verstärken – und das liefere sie nach Ansicht des Fachmanns derzeit ohnehin schon in vielen Bereichen ab.

„Es gibt nicht die eine leichte Lösung, es sind immer viele verschiedene Puzzle-Teile“, warnt auch Svenja Niederfranke von der Gesellschaft für Auswärtige Politik gegenüber unserer Redaktion. „Durch große Versprechungen, die jetzt gemacht werden, findet ein Vertrauensverlust statt.“

Populistische Migrationsdebatte? Diskutierte Maßnahmen „absolut nicht umsetzbar“

Die Migrationsexpertin beobachtet aktuell eine populistische Debatte, vor allem vonseiten der CDU/CSU. Die Rede sei teils von Maßnahmen, die „absolut ineffektiv oder nicht umsetzbar sind“. Ein Beispiel sei die von CSU-Chef Markus Söder geforderte „Integrationsgrenze“. „Das individuelle Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze“, so Niederfranke.

Auch ein anderer aktueller Vorschlag Söders – man müsse eventuell das Grundrecht auf Asyl in der Verfassung ändern – sei nicht umsetzbar, so die Fachfrau. Denn Deutschland sei nicht nur an eigenes Recht, sondern auch an EU-Recht und völkerrechtliche Verträge gebunden.

Dass die Einführung von Sachleistungen für Asylbewerberinnen und -bewerber Abhilfe schaffen soll, hält die Fachfrau ebenfalls für Populismus – zumal es den Bundesländern zumeist schon lange freistehe, diese einzuführen. „Das wäre aber für die Kommunen unglaublich aufwändig und bewirkt somit genau das Gegenteil als die gewünschte Entlastung“, sagt Niederfranke. Dass Geld- statt Sachleistungen ein sogenannter Pull-Faktor seien, der Asylbewerber nach Deutschland lockt, sei zudem „höchst umstritten“. Eine viel stärkere Rolle spielten bereits vorhandene Familienstrukturen.

Die Migrationsdebatte in Deutschland kocht hoch: CDU-Chef Friedrich Merz (l.) und CDU-Chef Markus Söder.

Reform des EU-Asylsystems „bringt den Kommunen erstmal gar nichts“

Die SPD mit Innenministerin Nancy Faeser setzt derzeit stark auf eine Reform des europäischen Asylsystems zur Verringerung der Flüchtlingszahlen. Dies sieht die Expertin ebenfalls kritisch: Erstens dauere es noch Jahre, bis die EU-Reform in den Ländern wirklich umgesetzt werden müsste – „das bringt den deutschen Kommunen also erstmal gar nichts.“ Zweitens sei es fraglich, ob die Reform überhaupt etwas verbessere.

Migrationsexperte Thränhardt ist derselben Meinung: „Alle Beobachter, die sich einigermaßen mit der Materie auskennen, bezweifeln, dass die EU-Reform etwas verändern wird.“ Auch die Erwartungen, die derzeit in Migrationsabkommen mit anderen Ländern gesetzt werden, seien „völlig überhöht“, so Niederfranke.

Österreich und Dänemark als Vorbild für Asyl? Experten winken ab

Immer öfter richtet sich der Blick auf Österreich und Dänemark, die ihre Asylpolitik angeblich besser hinbekommen als Deutschland. Einen Tag nach der Landtagswahl in Bayern forderte Ministerpräsident Söder, die Bundesregierung müsse sich bei Asylstandards, Leistungen und Grenzschutz mehr an diesen Nachbarländern orientieren. Doch nach Ansicht von Niederfranke sind Österreich und Dänemark überhaupt nicht mit Deutschland vergleichbar – im Gegenteil, sie profitierten einfach davon, dass andere, größere Länder wie Deutschland viele Asylbewerber aufnehmen.

So sieht es auch Migrationsfachmann Thränhardt: „Dänemark ist ein kleines Land, das sich dadurch behilft, dass die Menschen in andere Länder gehen. Deutschland ist zu groß, als dass es diese Politik auf Kosten der Nachbarstaaten ebenfalls durchziehen könnte“, so der Experte. Der Erfolg der österreichischen Asylpolitik werden außerdem überbewertet: „Die Lage dort ist nicht viel besser als in Deutschland.“

Experte: Asyl-Entscheidungen müssten verkürzt werden, Flüchtlinge schneller arbeiten

Thränhardt vermisst in der Asyl-Diskussion „praktikable Lösungen“. Doch wie sähen diese aus? Es müsse viel schneller als derzeit darüber entschieden werden, ob Menschen in Deutschland Asyl gewährt wird oder nicht, so der Experte. Aktuell dauere das im Schnitt sieben Monate. Die Entscheidungen seien darüber hinaus oft fehlerhaft, sodass es im Anschluss zu Gerichtsverfahren komme, die noch viel länger dauerten. „Ist dann jemand zwei, drei Jahre im Land, kann man ihn nicht so leicht wieder zurückschicken.“ Ein Vorbild sieht er in der Schweiz, die es schaffe, Asylentscheidungen wesentlich effektiver zu treffen.

Umgekehrt müssten Menschen, die wirklich in ihren Ländern verfolgt werden und daher in Deutschland bleiben können, viel schneller die Möglichkeit bekommen, zu arbeiten und sich zu beteiligen. Auch hier dauerten die Entscheidungen viel zu lange. „Wenn jemand erstmal ein Jahr in einer Sammelunterkunft sitzt, hat er jede Energie, die er ursprünglich hatte, verloren“, warnt der Experte.

Asylbewerber stehen Schlange an der Essensausgabe der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt.

Mit „großen Stellschrauben“ bei Migrationspolitik „gewinnt man keine Wahlen“

In dieser Hinsicht sieht er die Aufnahme der 1,2 Millionen Ukraine-Flüchtlinge als großen Erfolg, der vielleicht als Vorbild für Veränderungen der Migrationspolitik insgesamt dienen könne. „Es ist faszinierend, wie gut das funktioniert hat“, so Thränhardt. „Man sieht daran, dass ein anderes System, an dem sich die Zivilgesellschaft mehr beteiligt, eventuell erfolgreicher ist als das jetzige.“

Auch Migrationsexpertin Niederfranke plädiert für dezentrale Unterbringungsmodelle anstatt riesiger Erstankunftszentren, eine bessere finanzielle Unterstützung der Kommunen sowie eine bessere Verteilung der Asylbewerber innerhalb Deutschlands.

Um tatsächlich längerfristig Ankunftszahlen in Deutschland zu reduzieren, müsse man „die ganz großen Stellschrauben“ verändern – zum Beispiel eine nachhaltigere Sicherheits-, Klima- und Handelspolitik verfolgen, damit weniger Menschen Grund haben, aus ihren Ländern zu fliehen. „Aber damit gewinnt man keine Wahlen.“ (smu)

Rubriklistenbild: © Frank Hoermann/Sven Simon/Imago