„Asylkompromiss“ gesucht
Krempeln die Wahlen die Migrations-Politik um? Söder tänzelt ums „Undenkbare“ - Ampel blickt auf FDP
VonFlorian Naumannschließen
Die AfD legt bei den Landtagswahlen zu - nun nehmen fast alle großen Parteien die Migration ins Visier. Markus Söder geht in die Vollen. Wenn auch rhetorisch vorsichtig.
Berlin/München - Die AfD hat am Sonntag (8. Oktober) sowohl in Hessen als auch in Bayern kräftig zugelegt. Der Zuwachs bei den Rechtspopulisten scheint schon jetzt die Debatte über das Großthema Migration zu beeinflussen: Bayerns alter und wohl auch neuer Regierungschef Markus Söder (CSU) forderte eine „Umkehr“ - aber auch die drei Ampel-Parteien deuteten neue Forderungen an. Allen voran die wieder einmal schwer angeschlagene FDP.
AfD gewinnt dazu, Söder fordert Umkehr: Union ruft nach neuem Asylkompromiss
Söder stellte seinen Ruf nach einer „Umkehr der bisherigen Asylpolitik in Deutschland“ als Schlüssellehre aus der Landtagswahl dar. Darin sei er sich einig mit CDU-Chef Friedrich Merz, erklärte Söder bei seiner Pressekonferenz am Nachwahltag in München: „Die Deutschen, die Bayern wollen eine Wende in der Migrationspolitik.“ Dem habe sich die Ampel-Koalition bisher verweigert. Die AfD müsse auch dadurch bekämpft werden, dass Probleme gelöst würden, die die Bürger beschäftigten. Söder forderte „einen Deutschlandpakt zur kontrollierten Migration“ - das allerdings ist keine Neuigkeit.
Dafür erinnerte der CSU-Vorsitzende nun an die 90er und ihren schwer umkämpften Asylkompromiss. „Wir müssen ähnlich wie in den 90er Jahren einen großen deutschen Kompromiss finden, um das Thema Migration und Flüchtlingsfrage sinnvoll zu lösen. Ansonsten werden rechtsextreme, nationalistische Kräfte weiter erfolgreich sein“, betonte er. Das spalte am Ende nur die Demokratie. Ein Großteil der AfD-Wähler gehöre ins Lager der „Protestwähler“: „Der Auftrag ist, dass wir diese Migrationspolitik ändern in Deutschland.“
Söder forderte eine Ausrichtung an Ländern wie Dänemark oder Österreich. Und konkret Grenzschutz, mehr Abschiebungen, Änderungen etwa beim Bürgergeld. „Ja, man muss am Ende vielleicht auch das Undenkbare nochmal diskutieren, ob die einzige Chance vielleicht sogar die Rechtsänderung bei der Verfassungsfrage des Grundrechts auf Asyl ist“, fügte der CSU-Chef hinzu - und deutete damit einen tiefen Eingriff an. Wenn auch doppelt verklausuliert: Es müsse „zumindest einmal erörtert werden“, ob es „auch Diskussionsbedarf“ gebe, sagte Söder.
Merz stimmte von Berlin aus in den CSU-Tenor ein: Die Ampel-Koalition müsse „aus diesem totalen Desaster“ für sich „die richtigen Schlussfolgerungen“ ziehen, sagte er. Er habe Scholz schon Anfang September die Zusammenarbeit angeboten. Bis heute habe er „keinerlei Hinweise“ von Scholz, „dass er beabsichtigt, dieses Gesprächsangebot anzunehmen“. Er werde aber „keinem faulen Kompromiss zustimmen“ und nur Wege unterstützen, die mit einer hinreichend großen Wahrscheinlichkeit auch zu Lösungen führten, betonte Merz.
Grüne wollen Spurwechsel für Geflüchtete, SPD setzt auf „Tempo“ - was macht die FDP bei der Migration?
Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang forderte vor allem schnelle Entscheidungen in der Migrations-Politik. „Wir müssen vor allem die Kommunen finanziell besser unterstützen“, sagt sie in der ARD. Die vom Bund zugesagte eine Milliarde Euro reiche nicht. Auf EU-Ebene müsse man mit der Verteilung der Flüchtlinge vorankommen. Außerdem plädierte Lang für einen raschen Spurwechsel für Geflüchtete. „Wer hier ankommt, soll ab dem ersten Tag arbeiten können“, forderte die Grüne.
Die FDP schloss einen politischen Kurswechsel nicht aus: Die Ampel müsse „ihre Arbeit kritisch reflektieren“, sagte Parteichef Christian Lindner. Das gelte unter anderem für die Eindämmung von Migration. Lang hatte die Liberalen schon in ihrem Interview vor neuer Konfrontation gewarnt. Sie würde „der FDP nicht empfehlen, jetzt einfach immer mehr vom Selben nochmal zu machen“, sagte das Grünen-Oberhaupt. Es sei schon zu viel Konflikt in der Öffentlichkeit ausgetragen worden. Der Politologe Jürgen Falter hatte am Wahlabend bei IPPEN.MEDIA neuen Ärger zwischen Grünen, SPD und FDP nicht ausgeschlossen - bis hin zum „Äußersten“.
Die SPD drängte zur Eile: Es sei nun ein „Deutschland-Tempo“ bei Entscheidungen auch zum Thema Migration nötig, sagte Co-Chefin Saskia Esken. Doch die größere Frage als die nach dem Tempo könnte die nach den Maßnahmen sein. Es geht um Geld für die Kommunen, um Arbeit für Geflüchtete, um Sachleistungen, um neue Regeln auf EU-Ebene - und nicht zum ersten Mal eben auch um Umgestaltungen beim Grundrecht auf Asyl. Die ganzen dicken Bretter bearbeiteten Deutschlands Politiker am Tag nach den Landtagswahlen aber nicht.
Arbeit für Geflüchtete - oder Arbeitszwang? Heiße Debatten drohen
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, einer der Gewinner des Bayern-Wahlabends, sprach sich für eine „Sachleistungskarte“ aus. „Wir brauchen die Möglichkeit, dass ein Asylbewerber eine Karte in der Hand hält, mit der er nur in gewissen Geschäften einkaufen kann“, sagte er. Außerdem sollten Asylbewerber künftig nach spätestens drei Monaten für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Mit dem Ruf nach Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete könnte Aiwanger unter anderem in der SPD Zustimmung finden: Eskens Co-Chef Lars Klingbeil hatte sich schon am Samstag in der Rheinischen Post positiv geäußert. „Das entlastet Behörden und Kommunen, wenn die Menschen selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können.“ Allerdings könnte auch eine Arbeitspflicht-Debatte wie in Österreich die Parteien spalten.
Komplex im Details ist die Lage bei den Sachleistungen. In Gemeinschaftsunterkünften seien sie schon jetzt der gesetzliche Regelfall - es sollte überlegt werden, ob man dieses Prinzip nicht in allen Fällen zur Regel mache, sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP). „Die Bezahlkarte ist dazu ein unbürokratischer Weg, bei dem niemand Waren austeilen oder Wertmarken ausgeben muss.“ Das sieht gleichwohl der Deutsche Städtetag in der Praxis etwas anders. Auch eine Kartenlösung sei „nicht ohne zusätzlichen Aufwand“ umzusetzen, warnte Hauptgeschäftsführerin Verena Göppert zuletzt.
Wieder viele Asylanträge - Forscher warnt Parteien vor Hoffnungen auf Einschnitte
Der Migrationsexperte Herbert Brücker warnte die Parteien in der Rheinischen Post indes davor, zu hohe Erwartungen an mögliche Einschnitte für Asylbewerber zu wecken. „Wir wissen aus Befragungen, dass Menschen in erster Linie wegen der Rechtssicherheit, der Aussicht auf ein faires Asylverfahren und der Achtung der Menschenrechte zu uns kommen“, sagte der Forscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.
Von der Unzufriedenheit mit den Ampel-Parteien und der nicht wirklich überzeugenden Performance der CDU im Bund habe vor allem die AfD profitieren können, hatte die Forschungsgruppe Wahlen am Sonntag analysiert. Dabei werde der AfD lediglich beim Thema Flüchtlinge und Asyl nennenswerte Kompetenz zugeschrieben.
Nach neuen Daten des Bundesamts für Migration wurden bis einschließlich September in diesem Jahr mehr als 250.000 Asylanträge gestellt - und damit schon jetzt mehr als 2022 insgesamt. Im September stellten 29.570 Menschen einen Asylantrag. Die Zahl lag damit auf dem Niveau des Vormonats. Die Stadt Ulm will unterdessen in dieser Woche keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen. „Es gibt derzeit einfach keinen einzigen freien Platz mehr in den bestehenden Unterkünften“, teilte Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch mit. (fn mit Material von dpa, AFP und Reuters)
Rubriklistenbild: © IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON
