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Mehr Macht für die AfD – so könnte sich der Bundestag verändern
VonAnne-Christine Merholz
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Stephanie Eva Fritzsche
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Die AfD gewinnt Macht im Deutschen Bundestag, die Atmosphäre verändert sich – und die nächsten ostdeutschen Wahlen stehen bevor. Experten analysieren.
Der Osten wählt blau: Die Bundesländer jenseits der früheren innerdeutschen Grenze sind auf den Grafiken zum Wahlergebnis ein durchgehend blauer Teppich. Den Erfolg der AfD im Osten erklärt der Politikwissenschaftler der Universität Trier Uwe Jun so: „Es gibt zwei Haupt-Wählergruppen der AfD: Diejenigen, die mit den Werten der AfD sympathisieren und diejenigen, die sich subjektiv benachteiligt fühlen. Bei Letzteren spielen Enttäuschung und Wut eine größere Rolle. Beide Wählergruppen sind prozentual größer in Ost- als in Westdeutschland.“
Sein Berufskollege Jürgen Falter attestiert der AfD eine „relativ gefestigte Wählerschaft“.Auch zeige sich, „dass sie als Protestpartei am rechten Rand mit rechtsextremen Auswüchsen einen Nerv vieler Wähler trifft“, sagt der renommierte Politologe.
„Sie spricht vor allem Wähler an, die sagen, ‚die anderen haben versagt, sie reden immer nur, machen aber nichts. Sie tun betroffen, wenn das nächste Messerattentat von einem Migranten stattfindet.‘ Das aber sei alles leeres Geschwätz. Wir wählen jetzt diejenigen, die vielleicht das nicht ändern werden, die aber den anderen zeigen, dass sie etwas ändern, dass sie sich ändern müssen“, erklärt der Experte den Erfolg der in Teilen rechtsextremen Partei.
Linke und radikale Rechte bei der Bundestagswahl stärkste Kraft bei jungen Wählern
Insbesondere bei jungen Wählern konnte die extreme Rechte ebenso wie die Linke punkten. Die AfD kommt bei den Unter-30-Jährigen auf 21, die Linke sogar auf 24 Prozent. Einen Grund dafür sehen die Experten in Sozialen Medien, auf denen sich junge Menschen stärker informieren. AfD und die Linke sind hier überdurchschnittlich aktiv.
Mit der neuen Sitzverteilung haben beide gemeinsam nun sogar eine Sperrminorität im Deutschen Bundestag und können damit wichtige Entscheidungen verhindern – beispielsweise ein Sondervermögen zur Finanzierung der Bundeswehr und Ukraine-Hilfe, eine Modifizierung der Schuldenbremse und die Wahl neuer Richter fürs Bundesverfassungsgericht. Das stellt die Regierung vor Herausforderungen. Bundeskanzler in spe Friedrich Merz kündigte daher bereits an, mit der Ampel noch in der Übergangsphase über mögliche kurzfristige Lösungen in diesen Bereichen sprechen zu wollen.
Debattenkultur im Bundestag wird sich verändern
Aber auch das Debattenverhalten im Bundestag wird sich verändern. Die AfD ist als zweitstärkste Kraft künftig mit 152 statt wie zuletzt mit 77 Abgeordneten vertreten. Das verändert die Atmosphäre. „Die AfD hat sich in den letzten Jahren radikalisiert und ist mit dieser Wahl dafür belohnt worden. Darum ist zu erwarten, dass sie diesen Kurs beibehalten wird“, glaubt Politikwissenschaftler Uwe Jun. „Es wird heftige Auseinandersetzungen geben, und die AfD wird als größte Oppositionsfraktion im Bundestag die Bundesregierung gewaltig unter Druck setzen sowie ihre Forderungen pointiert in den Vordergrund stellen“, glaubt er.
Posten des Vizepräsidenten des Bundestags an die AfD?
Jeder fünfte Wahlberechtigte hat die AfD gewählt. Diesen Wählerwillen muss der Bundestag stärker als bisher repräsentieren, glaubt der Parteienforscher der Universität Leipzig, Hendrik Träger - auch das gehört zu einer Demokratie. „Die Union kann zwar gut erklären, warum sie nicht mit der AfD koalieren will. Aber es wird schwierig zu erklären, warum die anderen Parteien der zweitstärksten Fraktion den Vizepräsidentenposten verwehren würden“, sagt Träger. „Das wäre Wasser auf die Mühlen der AfD hinsichtlich ihres Narrativs einer Opferrolle und der Repräsentation der ostdeutschen Wähler nicht angemessen.“
In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern stehen 2025 Landtagswahlen an und es ist derzeit nicht unwahrscheinlich, dass die AfD dann auch im Bundesrat mehr Macht bekommt. Das erhöht den Druck auf die neue Regierung. „Die AfD würde am stärksten profitieren, wenn sich die Parteien nicht auf überzeugende Lösungen einigen könnten“, glaubt Jun. „Die Bürger erwarten jetzt problemorientierte Lösungen und keine faulen Kompromisse etwa bei den Themen Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaft, Migration, Infrastruktur und Energiepolitik. Beide Seiten sind jetzt aufgefordert, tragfähige Kompromisse und nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.“
Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel
Merz ist sich der Herausforderung bewusst. „Wir müssen sehen, dass wir gemeinsam die Probleme lösen und dieser Partei gemeinsam den Nährboden entziehen“, sagte er in der Bundespressekonferenz. „Frau Weidel und Co sind ja nicht an Lösungen interessiert, sondern das ist eine Partei, die von der Übertreibung von Problemen medial lebt. Es ist unsere Aufgabe, das abzubauen.“ Das sei in dieser Wahlperiode womöglich „die letzte Chance“, so Merz weiter.