„Sie wird extrem blutig“
Bodenoffensive im Israel-Krieg: Fachleute erwarten große Verluste unter Geiseln und Soldaten
VonPatrick Mayerschließen
Kann die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen gelingen, ohne die Geiseln der Hamas und die eigenen Soldaten zu gefährden? Daran glaubt kaum jemand.
Gaza-Stadt - Der Angriff der Hamas auf Israel beherrscht nun neben dem Ukraine-Krieg das Weltgeschehen. Das Land rüstet sich für die große Schlacht im Gazastreifen.
Krieg zwischen Hamas und Israel: Israelische Armee plant Bodenoffensive in Gaza
Für eine Bodenoffensive, bei der es nach vorherigen Luftangriffen nur Verlierer geben kann? Gleich mehrere Fachleute haben große Bedenken hinsichtlich der Pläne der israelischen Streitkräfte gegen die radikalislamistische Terrormiliz Hamas in Gaza geäußert.
Ihre These: Es wird für beide Seiten sowie für die Zivilbevölkerung im Palästinensischen Autonomiegebiet sehr blutig werden. Und die israelische Armee dürfte in den Städten in einen extrem schwierigen Häuserkampf verwickelt werden.
„Das gehört mit zu den schwierigsten und kompliziertesten Operationsarten“, sagte etwa Militärexperte Carlo Masala den Funke-Zeitungen. Die Situation für die verschleppten Geiseln sei generell hochgefährlich. „Bei einer laufenden Bodenoffensive wird sie noch gefährlicher“, meinte er. Der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München rechnet mit einer „langen und sehr gefährlichen Intervention. Die israelische Regierung hat die Marschroute ausgegeben, der Hamas politisch und militärisch das Rückgrat zu brechen“.
Israel gegen die Hamas: 2009 endete Bodenoffensive mit einem Waffenstillstand
Und das trotz einer leidvollen Erfahrung: Bei der „Operation Gegossenes Blei“ (27. Dezember 2008 bis 21. Januar 2009) rückten bis zu 20.000 israelische Soldaten mit hunderten Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in den Gazastreifen ein. In Gaza kam es zu heftigen Straßengefechten mit Hamas, die auch jetzt erwartet werden. Am Ende hatten laut ZDF 13 israelische Soldaten und mehr als 1400 Palästinenser ihr Leben verloren. Die Kämpfe endeten mit einem Waffenstillstand.
Gazastreifen
Der Gazastreifen ist ein Küstengebiet am östlichen Mittelmeer zwischen Israel und Ägypten mit Gaza-Stadt als Zentrum. Im gesamten Gebiet leben rund 2,2 Millionen Menschen, davon geschätzt 550.000 in Gaza-Stadt. Neben dem Westjordanland ist der Gazastreifen Teil der Palästinensischen Autonomiegebiete. Der Gazastreifen hat bei einer Länge von 40 Kilometern sowie einer Breite von wechselnd sechs bis 14 Kilometer eine Fläche von 360 Quadratkilometern. Das ist etwas größer als München (310 Quadratkilometer). Nach dem Sechstagekrieg 1967 hatte die israelische Armee das Gebiet bis 2005 besetzt. Seit 2007 herrscht die radikalislamistische Hamas in Gaza diktatorisch.
Der Krieg in Israel könnte nun ganz andere, größere Ausmaße annehmen. „Wir sehen den Versuch der Hisbollah, einen Zwei-Fronten-Krieg zu eröffnen“, erklärte Masala. Die Frage sei, ob die Entsendung des Flugzeugträgers „USS Ford“ durch die USA ins östliche Mittelmeer abschreckend auf die Hisbollah und deren Unterstützer Iran wirke. Die islamistisch-schiitische Miliz greift aus dem Süden des politisch instabilen Libanon immer wieder Ziele im Norden Israels an.
Israelische Bodenoffensive in Gaza: Vier Panzer-Divisionen mit bis zu 50.000 Mann
„Wir haben bei unseren Erkundungsfahrten rund um den Gazastreifen große Truppenansammlungen gesehen. Panzer, die ihre Aufmarschräume eingenommen haben. Heute Morgen sagte ein Armeesprecher, dass vier Divisionen in Stellung gebracht wurden. Das sind wahrscheinlich gepanzerte Divisionen, geschätzt 40.000 bis 50.000 Mann. Die sind hier alle im Umfeld von Gaza aufgestellt“, erzählte ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge in der Sendung „heute live“ vor Ort zu den Vorbereitungen der israelischen Bodenoffensive im Süden.
Bilder zeigen, wie der Krieg in Israel das Land verändert




Für diese wurden kurzerhand 300.000 Reservisten einberufen. „Die Rhetorik der Regierung und der Armeeführung lässt keinen Zweifel: Man will die Hamas und den Dschihad komplett zerschlagen. Man will sie aus Gaza vertreiben“, erklärte Bewerunge, der in der Vergangenheit für seine Recherchen selbst im Gazastreifen war und die militärisch kniffligen Örtlichkeiten kennengelernt hat.
Die israelische Regierung hat die Marschroute ausgegeben, der Hamas politisch und militärisch das Rückgrat zu brechen.
Bodenoffensive Israels im Gazastreifen: Experte erwartet blutigen Häuserkampf
„Die Bodenoffensive wird extrem blutig und schwierig. Das wird ein extrem schwieriger Häuserkampf von Haus zu Haus werden. Gaza ist quasi komplett untertunnelt. Manchmal stürzen nach einem Bombenangriff auch in der nächsten Entfernung Häuser ein, weil der Boden durch die Tunnel so löchrig ist. Der Boden gibt nach“, erzählte Bewerunge und meinte: „Da gibt es extrem viele Möglichkeiten (für die Hamas, d. Red.), sich zu verteidigen und Sprengfallen zu legen. Und natürlich ist es sehr schwierig mit einer Zivilbevölkerung, die nicht einfach weg kann. Sie kommt ja nicht einfach nach Israel rein. Israel wird weiter abriegeln.“
Bodenoffensive Israels im Gazastreifen: Lebensgefahr für verschleppte Geiseln
Nach Angaben der israelischen Armee wurden, Stand Mittwochmorgen (11. Oktober), bereits 169 israelische Soldaten in den Kämpfen mit der Hamas seit Samstag getötet. Auch die geschätzt 130 verschleppten Geiseln - zum Beispiel vom „Nature Party Festival“ beim israelischen Kibbutz Re‘im - werden jetzt einer großen Lebensgefahr ausgesetzt. Gerhard Conrad, ehemaliger Mitarbeiter beim Bundesnachrichtendienst (BND) und Hamas-Kenner, erklärte im „heute journal“ des ZDF: „Eine Bodenoperation nie dagewesenen Umfangs – wenn sie (die Israelis, d. Red.) nicht zufällig den Aufenthaltsort der Geiseln in Erfahrung gebracht haben, dann können sie die (die vielen Geiseln) auch nicht retten.“ (pm)
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