Nukleare Bedrohung
USA und China sprechen am Montag über Atomwaffen – während Russland Verbot für Nukleartests aufhebt
VonChristiane Kühlschließen
Die USA und China wollen am Montag laut einem Zeitungsbericht erstmals seit langem über die Risiken der atomaren Bewaffnung sprechen. Dabei soll es zunächst um die Vermeidung von Missverständnissen gehen.
Es ist eine überraschende Nachricht: Die USA und China wollen nach einem Bericht des Wall Street Journal erstmals seit vielen Jahren zu Gesprächen über ihre Atomwaffen zusammenkommen. Es gehe bei den für Montag angesetzten Gesprächen auf hochrangiger Ebene beider Außenministerien um Wege, das Risiko von Fehleinschätzungen – und damit versehentlichen Atomschlägen – zu senken, berichtete die US-Zeitung unter Berufung auf US-Beamte. Ziel der USA sei es, ein gefährliches Wettrüsten mit Peking und Moskau zu verhindern.
Die Ankündigung kommt zur rechten Zeit: Am Donnerstag vollzog Russland den zuvor angekündigten Rückzug aus dem den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty/CNTBN). Erstmals seit 33 Jahren dürfte Präsident Wladimir Putin nach der Ratifizierung des Ausstiegs nun wieder Atomwaffen testen. China hatte den Teststoppvertrag in den 1990-er Jahren unterschrieben. Vorschläge der Trump-Regierung, mit den USA und Russland formale Obergrenzen der Atomstreitkräfte auszuhandeln, lehnte die Volksrepublik aber ab. Chinas Atomwaffenarsenal sei viel kleiner sei als das von Washington und Moskau, so das Argument.
China hat in den vergangenen Jahren sein Atomarsenal allerdings massiv ausgebaut. Zum ersten Mal stehen die USA damit zwei großen Atommächten gegenüber, deren nationale Sicherheitsinteressen jenen Washingtons weitgehend widersprechen. Russland und China haben zwar keine Militärallianz geschlossen, sind aber geeint in gemeinsamer Ablehnung der USA. Zwar besitzen Russland und die USA zusammen mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen der Welt; die Doktrin der „gegenseitig gesicherten Zerstörung“ gilt zwischen ihnen noch immer. Doch ein Atomdreieck ist deutlich schwerer zu managen als das bislang gewohnte Duell – denn keiner kann sich sicher sein, ob die zwei anderen sich nicht zusammentun und eine nukleare Übermacht bilden.
China und die USA: Konsultationen zur Rüstungskontrolle
Die USA planen laut Wall Street Journal, China bei den Gesprächen zu seiner nuklearen Aufrüstung, seiner Atom-Doktrin und seinen Konzepten für die strategische Stabilität zu befragen. „Wir müssen mit ihnen diskutieren, um ihren Standpunkt zu diesen Themen besser zu verstehen“, zitierte das Blatt einen ungenannten US-Beamten. „Und hoffentlich könnte das zu einer Debatte über praktische Schritte führen, die wir unternehmen könnten, um strategische Risiken zu bewältigen.“ In der Zukunft könne es dann möglicherweise auch um konkrete Abrüstungsschritte gehen. Das ist zunächst nicht geplant.
Offzielle Bestätigungen gab es von beiden Seiten zunächst nicht. Chinas Außenamtssprecher Wang Wenbin hatte am Montag betont, dass Peking die „Beziehungen stabilisieren“ wolle. Dazu gehörten auch „Konsultationen zu Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung zwischen den USA und China.“
China baut nukleares Arsenal stark aus
Der Nationale Sicherheitsberater der USA Jake Sullivan schlug im Juni in einer Rede vor, China schrittweise in einen Rüstungskontrolldialog einzubeziehen. So könne man eine Vereinbarung entwickeln, nach der China und die anderen vier ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sich gegenseitig über Raketenteststarts informieren. Daruf könnten später Vereinbarungen zur Einrichtung von Kanälen für eine „Krisenkommunikation“ zwischen diesen Ländern und Diskussionen über die Atomdoktrin oder die Ausgaben für Atomwaffen folgen.
Jedes Gespräch ist hilfreich, denn nach Jahren der Abrüstung forcieren derzeit alle neun Atomwaffenstaaten angesichts der weltweit wachsenden geopolitischen Spannungen die Modernisierung und Einsatzfähigkeit ihrer Arsenale. China verfügte im Januar über gut 400 nukleare Sprengköpfe (siehe Grafik), inzwischen sind es nach Schätzungen des US-Verteidigungsministeriums mehr als 500. Bis 2030 wird ihre Zahl laut einem aktuellen Pentagon-Bericht wahrscheinlich auf über 1000 steigen. Russland und die USA selbst verfügen allerdings beide über mehr als 5000 nukleare Sprengköpfe.
USA und China: Tauwetter und Spannungen wechseln ab
Zwischen den USA und China oszillieren die Beziehungen derzeit in permanentem Wechsel zwischen Entspannung und Eskalation. Aktuell stehen die Zeichen wieder einmal auf Entspannung. Die USA und China arbeiten nach Angaben des Weißen Hauses an einem persönlichen Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping Mitte November in San Francisco. Zu den Vorgesprächen war Chinas Außenminister Wang Yi eigens nach Washington gereist. Eine offizielle Bestätigung des Gipfels steht allerdings noch aus.
Mehrere US-Minister sowie der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom reisten in den vergangenen Monaten nach China, manche trafen auch Xi. US-Vertreter nahmen vor wenigen Tagen am internationalen Xiangshan-Sicherheitsforum in Peking teil - obwohl Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu dort die Bühne bekam, gegen den Westen zu wettern. Auch haben zwei neue bilaterale Arbeitsgruppen zu Wirtschaft und Finanzen Ende Oktober die Arbeit aufgenommen. All das sind positive Signale. Dennoch sind die derzeitigen Beziehungen so fragil, dass jede Störung gefährlich ist. Minimalziel ist derzeit eine friedliche Koexistenz der beiden Supermächte.
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