Nach Aschaffenburg

„Wir brauchen Migration“ – Verbandsvorsitzender kritisiert Migrationsdebatte

  • Amy Walker
    VonAmy Walker
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Nach dem tragischen Ereignis in Aschaffenburg gewinnt die Debatte um Migration an Schärfe. Ein zu rigider Ansatz wird von der Wirtschaft abgelehnt.

München – Erst Solingen, dann Magdeburg und nun Aschaffenburg: Diese drei Städte stehen mittlerweile als Symbol für die neu entflammte Debatte um das Thema Migration. Die blutigen Taten haben das Land – und die Politik – aufgerüttelt. Gefordert wird ein härterer Kurs gegen die irreguläre Migration, die Union will diese Woche im Bundestag dazu Anträge einbringen. Neben Grenzkontrollen und Zurückweisungen solle es nach dem Willen von Unionschef Friedrich Merz mehr Abschiebungen aus Deutschland geben.

Debatte um Migration nach Deutschland könnte auch nach hinten losgehen

Doch die hart geführte Debatte hat auch eine Kehrseite. Denn Deutschland ist auf Migranten angewiesen, es gibt ganze Wirtschaftszweige, die ohne Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland mittlerweile kaum noch funktionieren würden. In diesen Branchen sorgt die aktuelle Stimmung für Sorge: Was, wenn die neue Politik und die Debatten um potenzielle Gefährder ausländische Arbeiter abschreckt?

Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht Baupräsident Peter Hübner die Thematik an. „Jeder vierte Beschäftigte im Bauhauptgewerbe besitzt einen ausländischen Pass, Tendenz steigend.“ Es müsse daher in der aktuellen Debatte unbedingt eine Abgrenzung zwischen illegaler Migration und Migration im Allgemeinen geben. „Wer straffällig geworden ist und seinen Aufenthaltsstatus verloren hat, muss zurück in sein Heimatland, das ist doch gar keine Frage. Aber wir brauchen Migration. Flüchtlingen das Arbeiten zu verbieten – geht’s noch?“

Zahlreiche Berufe sind auf Ausländer angewiesen: Handwerk, Reinigung und Logistik

In der Bauindustrie fehlen nach Hübners Angaben 150.000 Arbeitskräfte, die in den nächsten Jahren besetzt werden müssten. Nach aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind fast 30 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Baubranche Ausländer. Berufe, in denen der Ausländeranteil ähnlich hoch oder gar noch höher ist, sind:

  • Land, - Tier- und Forstwirtschaft (35 Prozent)
  • Gartenbau und Floristik (67 Prozent)
  • Lebensmittelherstellung und -verarbeitung (69 Prozent)
  • Handwerkliche Berufe wie z.B. Maler, Fliesenleger, Zimmerer (39 Prozent)
  • Logistik und Verkehr (41 Prozent)
  • Fahrzeugführer (40 Prozent)
  • Reinigungsberufe (80 Prozent)
  • Tourismus, Gaststättenberufe (53 Prozent)

Schon jetzt sind also weite Teile der deutschen Wirtschaft davon abhängig, dass Menschen ohne deutschen Pass bestimmte Berufe ausüben. Und in den kommenden Jahren gehen immer mehr der Babyboomer-Generation in den Ruhestand, was den Bedarf nach Fach- und Arbeitskräften weiter erhöhen wird.

Ökonomen plädieren für mehr kontrollierte Migration – sonst gibt es kein Wachstum in Deutschland

Aus diesem Grund warnen Wirtschaftswissenschaftler schon lange davor, einen zu harten Migrationskurs zu fahren. Eine neue Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat unterschiedliche Szenarien untersucht. Demnach wachsen sozialversicherungspflichtige Berufe schon seit 2023 nur noch durch ausländische Staatsangehörige. Das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft könnte den Forschern zufolge nur wieder auf den Durchschnitt von 2004 bis 2023 zurückkehren, wenn jährlich 1,5 Millionen Erwerbstätige aus dem Ausland einwandern.

Ein Azubi arbeitet an einer Anlage: Der Fachkräftemangel belastet die deutsche Wirtschaft sehr.

„Aufgrund der Relevanz der Migration für den deutschen Arbeitsmarkt wurden in der Vergangenheit bereits einige Politikmaßnahmen zur Stützung der Erwerbsmigration verabschiedet. Hierunter fällt zuvorderst das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. In erster Form verabschiedet im Jahr 2019, wurde es im Jahr 2023 noch einmal grundlegend erweitert, mit dem Ziel, qualifizierten Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten den Arbeitsmarktzugang zu erleichtern“, heißt es im Fazit des DIW-Berichts. Es müsse aber noch mehr passieren, um diese Menschen sicher zu integrieren, so die Forschenden.

„Neben bürokratischen Hürden wie die Visaerteilung und Probleme bei der Anerkennung des Abschlusses geben Befragte vor allem fehlende Unterstützung bei der Arbeitssuche aus dem Ausland und dem Erlernen der deutschen Sprache als Hinderungsgrund für die Erwerbsaufnahme in Deutschland an“. Es müsse aber auch mehr getan werden, um Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das Asylverfahren dauere aktuell im Schnitt 8,7 Monate – eine Beschleunigung würde eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt bewirken.

Migrationsdebatte wird in Deutschland aktuell anders geführt: Jobs sind „Grundlage jeder Integration“

Das ist auch etwas, das Peter Hübner im FAZ-Interview unterstützt. „Ich bin überzeugt: Sichere Jobs sind Grundlage jeder Integration.“ Das aktuelle Arbeitsverbot für Geflüchtete macht es dieser Gruppe aber besonders schwer, in Deutschland wirklich Fuß zu fassen. Geflüchtete dürfen in der Regel erst nach sechs Monaten im Land einer Arbeit nachgehen.

Auch Thomas Reimann, Baupräsident in Hessen und Thüringen, hat gegenüber IPPEN.MEDIA die Bedeutung der Migration betont. „Die letzten Jahrzehnte zeigen, dass gelungene Migration wesentlich dazu beigetragen hat, dem Fachkräftemangel erfolgreich zu begegnen. Mit den anstehenden Herausforderungen bei der Energiewende, bei Infrastrukturmaßnahmen und Wohnungsbau werden wir ohne Fachkräfte, aus dem Inland mit unserem Nachwuchs, aber auch aus dem Ausland nicht handlungsfähig bleiben.“

Die momentane Debatte geht aber eher nicht in diese Richtung. Der Fokus liegt darauf, den Eintritt nach Deutschland zu erschweren und das Land eher abzuschotten. Die CDU hat zwar das Fachkräfteeinwanderungsgesetz immer unterstützt; doch darüber wird aktuell wenig gesprochen.

Rubriklistenbild: © Monika Skolimowska / dpa