Wirtschaft auf Kurs bringen

Top-Ökonom Hüther: Diese fünf Maßnahmen muss die Ampel jetzt beschließen

  • Amy Walker
    VonAmy Walker
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Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist miserabel. Die Ampel-Koalition trifft sich zur Kabinettsklausur – und sollte einem Ökonomen zufolge fünf Maßnahmen beschließen.

Berlin – Die Ampel-Koalition will sich diese Woche bei der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg zusammenraufen und konkrete Pläne schmieden. Das ist auch dringend notwendig: Angesichts der Konjunkturflaute muss die Regierung ein Wachstumspaket schnüren. Wie genau das aussehen soll, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Innerhalb der Koalition ringt man seit Wochen und Monaten um das Wachstumschancengesetz von Finanzminister Christian Lindner (FDP), die Einführung eines Industriestrompreises nach Vorschlag von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ein Hilfspaket speziell für die Baubranche unter Federführung der Bauministerin, Klara Geywitz (SPD).

Kurz vor Beginn der Kabinettsklausur hat sich der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, zu Wort gemeldet. Er fordert fünf Sofort-Maßnahmen.

Michael Hüther: Die fünf Maßnahmen im Überblick

„Die wirtschaftliche Lage ist ernst, die Konjunkturaussichten bleiben trüb. Wenn die Koalition ihre Zukunftsversprechen ernst meint, muss sie ihre Streitereien beiseitelegen und Wachstumspolitik betreiben“, sagt Hüther und schlägt folgende Maßnahmen vor:

  • Abschaffung/Senkung der Stromsteuer und Reform der Netzentgelte
  • Einführung eines Industriestrompreises
  • Solidaritätszuschlag endgültig streichen
  • Investitionsprämie, steuerliche Forschungsförderung, Ausweitung des steuerlichen Verlustabzugs
  • Wachstumschancengesetz beschließen

1. Abschaffung oder Senkung der Stromsteuer sowie Reform der Netzentgelte

Michael Hüther begründet seinen ersten Vorschlag damit, dass die Energiepreise im Kern der Grund für die Wirtschaftsflaute sind. „Hier muss der Staat zügig helfen, sonst droht die Deindustrialisierung. Ein Energie-Sofortpaket könnte die Lösung sein: Dafür muss die Bundesregierung die Stromsteuer senken oder abschaffen und die Netzentgelte reformieren – beides ginge auch kurzfristig.“

Letzteres hat bereits die Bundesnetzagentur vor wenigen Wochen angeregt. So sollten Regionen, die viel grünen Strom produzieren, von geringeren Netzentgelten profitieren können. Aktuell ist es nämlich eher umgekehrt der Fall: Dort, wo in den vergangenen Jahren viel in Wind- und Solarkraft investiert wurde, sind die Netzentgelte auch gestiegen. Bei einem Bürgerdialog in Potsdam kündigte auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Reform der Netzentgelte an.

Die Netzentgelte machen in Deutschland rund ein Viertel des Strompreises aus. Eine Reform der Netzentgelte würde sich vor allem in Ostdeutschland sehr deutlich bemerkbar machen und sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Firmen entlasten.

Seit Jahresbeginn haben sich die Streitigkeiten in der Koalition gehäuft.

Eine viel größere Entlastungsmöglichkeit würde allerdings auch die Senkung oder gar Abschaffung der Stromsteuer bieten. Die Stromsteuer liegt seit 2003 in Deutschland unverändert bei 2,05 Cent pro Kilowattstunde. Der europäische Mindestsatz beträgt 0,1 Cent, es bestünde also die Möglichkeit, die Stromsteuer in Deutschland deutlich abzusenken. Der gewerbliche Mindeststeuersatz liegt bei 0,05 Cent pro kWh. Dadurch könnte ein mittelständisches Unternehmen mit einem Jahresverbrauch von rund 200.000 kWh bis zu 4500 Euro sparen, wie die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade berechnet hat.

Steuern und Abgaben machen aktuell fast 40 Prozent der Stromkosten aus. Beide Maßnahmen zusammen würden also 75 Prozent des aktuellen Strompreises beeinflussen.

2. Einführung eines Industriestrompreises

Der zweite Vorschlag von Michael Hüther wird schon seit Monaten innerhalb der Koalition kontrovers diskutiert: Der Industriestrompreis. Finanzminister Lindner und Bundeskanzler Scholz sind dagegen, man könne sich keine Dauersubventionierung leisten. Stattdessen müssten die Energiepreise durch schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien dauerhaft sinken.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht das ganz anders. Er hat schon im Juni seine Forderung für einen Industriestrompreis von sechs Cent pro kWh für einen begrenzten Zeitraum auf den Tisch gelegt. Und die SPD hat da auch nachgelegt und fordert in einem neuen Beschlusspapier einen Industriestrompreis von fünf Cent für die nächsten fünf Jahre. Entsprechend sagt jetzt auch Hüther: „Nachdem nun auch aus der eigenen Fraktion Gegenwind kommt, sollte Olaf Scholz seinen Widerstand gegen den Industriestrompreis aufgeben. Das Modell des Wirtschaftsministers ist ein bedenkenswerter Vorschlag – durch die Bindung an den Börsenstrompreis würde die Politik Anreize für den Ausbau der Erneuerbaren Energien setzen.“

3. Solidaritätszuschlag endgültig streichen

„Um das Investitionsklima zu verbessern, sollte die Bundesregierung den Solidaritätszuschlag endgültig abschaffen – immerhin eine Entlastung von sieben Milliarden Euro für die Unternehmen“, so der IW-Direktor. Seit 2021 zahlen die allermeisten Privatpersonen keinen „Soli“ mehr, auch kleine Unternehmen sind häufig ausgeschlossen. Große und mittelständische Unternehmen hingegen zahlen noch immer 5,5 Prozent an Solidaritätszuschlag.

Die Abschaffung des Soli für Unternehmen hatte jüngst auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr gefordert. Allerdings spielte diese Idee in der Debatte um Entlastungen für die Wirtschaft bisher noch keine große Rolle.

4. Investitionsprämie einführen, Forschungsförderung aufbessern, Verlustabzug ausweiten

Das sind zentrale Bausteine des Wachstumschancengesetzes, das eigentlich schon Mitte August beschlossen werden sollte – aber durch eine Blockade der Familienministerin Lisa Paus (Grüne) verschoben werden musste. Nachdem dieser neuste Ampel-Streit beendet wurde, hoffen Wirtschaftsverbände und auch IW-Direktor Michael Hüther, dass das Gesetz in Meseberg beschlossen werden kann.

Kernelement des Pakets ist eine gewinnunabhängige Investitionsprämie in Höhe von 15 Prozent der Gesamtsumme. Sie soll einen Anreiz setzen, damit Unternehmen in mehr Energie- und Ressourceneffizienz investieren. Insgesamt ist eine maximale Förderung von 30 Millionen Euro vorgesehen, was entsprechend vor allem auf kleine und mittelständische Betriebe zielt.

Allerdings soll es nach Medienangaben ein dickes Problem bei der Auszahlung der Prämie geben: Laut einem aktuellen Entwurf des Gesetzes, über das die Welt in der vergangenen Woche berichtete, müsste erst das Antragsverfahren „neu aufgebaut und entwickelt werden“, wofür mindestens ein Jahr gebraucht werde. „Aus diesem Grund wird eine Antragstellung frühestens erst ab dem 1. Januar 2025 möglich sein“, zitierte die Zeitung aus dem Entwurf. Bisher gebe es keine Möglichkeit, die eingereichten Anträge elektronisch zu übermitteln. Das Finanzministerium wolle den Zeitplan aber noch ausbessern, hieß es weiter.

5. Wachstumschancengesetz beschließen

Wie aktuell alle Stimmen aus der Wirtschaft, fordert auch Michael Hüther zum Abschluss endlich den Beschluss des Gesetzes, um ein positives Signal zu senden. „Beim Wachstumschancengesetz darf sich die Koalition keine weiteren Verzögerungen erlauben. Das Gesetz ist sicher nicht so gut wie sein Name, wenngleich es das Steuerrecht an wichtigen Stellen reformiert. Ins Gesetzblatt muss es trotzdem so schnell wie möglich – schon allein um den Märkten zu zeigen, dass diese Regierung handlungsfähig ist und es ernst meint. Jetzt ist nicht die Zeit für Koalitionsstreit.“

Rubriklistenbild: © Michael Kappeler/dpa