„Schlimmer als Hartz IV“
„Sozialrecht wird zu Strafrecht“: Harte Kritik an verschärften Bürgergeld-Regeln
- VonMax Schäferschließen
Durch die Verschärfungen beim Bürgergeld wandelt sich das „Sozialrecht zum Strafrecht“, gibt Helena Steinhaus zu bedenken. Sie hinterfragt zudem den Nutzen, den die Ampelregierung erhofft.
Berlin – Menschen im Bürgergeld stehen immer mehr unter Druck. Das Bundeskabinett hat Anfang Oktober eine Formulierungshilfe des Bundesarbeitsministeriums verabschiedet. Diese sieht härtere Sanktionen und höhere Anforderungen für Beziehende der Grundsicherung vor. Für Helena Steinhaus, Sozialaktivistin und Gründerin des Vereins „Sanktionsfrei“, sind gerade die härteren Sanktionen unverhältnismäßig: „Mit dieser Verschärfung verschiebt sich das Sozialrecht zum Strafrecht und ist hier sogar schlimmer, als Hartz IV es war.“
Mit den Änderungen sind Leistungskürzungen von 30 Prozent für drei Monate möglich, wenn Bürgergeld-Beziehende einen Job oder eine Ausbildung ohne triftigen Grund ausschlagen. Wer einen Termin im Jobcenter verpasst, die künftig monatlich möglich sein sollen, muss ebenfalls mit einer 30 Prozent weniger Geld rechnen, allerdings für einen Monat.
Härtere Sanktionen für Bürgergeld-Beziehende „fatal“: Vertrauensverhältnis zum Jobcenter in Gefahr
„Sanktionen von 30 Prozent beim ersten verpassten Termin sind fatal“, erklärte Steinhaus IPPEN.MEDIA. Es ist der stärkste Eingriff, den das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2019 für zulässig hielt. „Das bereits für ein simples Terminversäumnis anzuwenden, ist völlig unverhältnismäßig und wird das Vertrauensverhältnis zwischen Kund*innen und Sachbearbeiter*innen in vielen Fällen weiter schwächen.“
Steinhaus verwies darauf, dass Bürgergeld-Beziehende, die Termine bei Jobcenter verpassten, multiple Probleme hätten. „Sie können zum Beispiel ihre Post nicht öffnen, weil sie Angststörungen oder Depressionen haben“, sagte die Sozialaktivistin. Oder der Termin passe nicht, sie könnten ihn aber nicht verschieben, „weil die Behörde das nicht unbedingt zulässt“.
Bürgergeld-Beziehende in „Arbeit zu zwingen, wird nicht zu nachhaltiger Beschäftigung führen“
Steinhaus sieht auch weitere Änderungen der Ampel-Koalition kritisch. Dass nun ein Arbeitsweg von insgesamt drei Stunden am Tag bei einer Arbeitszeit von mindestens sechs Stunden als „zumutbar“ gilt, nannte Steinhaus eine „Blendgranate“. Zudem zweifelte sie an der Wirkung. „Die Menschen dazu zu zwingen, Arbeit mit diesen Wegen anzunehmen, wird nicht zu nachhaltiger Beschäftigung führen“, sagte Steinhaus. „Vor allem, wenn die Menschen an Orten mit schlechter Infrastruktur leben, stundenlang im Stau stehen oder gar kein Auto haben, sie aber in ländlichen Regionen leben“. Es lasse sich zudem nicht belegen, dass Menschen Arbeit ablehnten, weil es zu weit sei.
Sanktionen führten laut Steinhaus nur zu kurzzeitig erhöhter Arbeitsaufnahme, die Menschen würden schnell wieder im Jobcenter landen. „Arbeit, die unter Zwang angenommen wird, wird nicht gern gemacht und hat damit keine Zukunft“, erklärte Steinhaus IPPEN.MEDIA. „Genauso verhält es sich mit extrem langen Arbeitswegen“. Menschen könnten früh ausbrennen und würden den Job nach kurzer Zeit wieder aufgeben. Wenn die Betroffenen dagegen die Arbeit gern machen können, würden sie bereits jetzt lange Anfahrtswege in Kauf nehmen.
Menschen im Bürgergeld fehlt es nicht am Willen, Arbeit zu finden
Es mangelt laut Steinhaus allgemein bei den meisten Menschen im Bürgergeld nicht am Willen, Arbeit zu finden. „Aber sie befinden sich schlicht in Situationen, die das nicht zulassen“, sagte Steinhaus. Deshalb zweifelt sie auch an der 1000 Euro-Prämie für frühere Langzeitarbeitslose, die mehr als ein Jahr lang arbeiten. Mehr Geld für Menschen, die wenig haben und wenig verdienen, sei zwar gut, aber sie befürchtet, dass die Prämie ein weiterer Grund sei, Faulheit zu unterstellen.
Steinhaus kritisierte, dass Mittel und Instrumente, mit welchen Menschen in Arbeit vermittelt werden könnten, „im Jobcenter sukzessive zusammengekürzt“ werden. Darin zeige sich die Doppelmoral der Politik.
Bundestag muss laut Helena Steinhaus verhindern, dass Bürgergeld-Reform „komplett ad Absurdum geführt wird“
Die vom Bundeskabinett beschlossenen Maßnahmen werden nun im Bundestag beraten. Dabei sind auch noch Änderungen möglich. Ähnlich sieht es mit dem Haushaltsentwurf und den darin gekürzten Mitteln bei der Arbeitsintegration der Jobcenter aus. „Der Bundestag muss mit aller Kraft gegen die Verschärfungen halten und damit verhindern, dass die Bürgergeld-Reform komplett ad Absurdum geführt wird“, sagte Steinhaus.
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