Regierungskreise
Nächster Ampel-Krach: SPD fordert FDP zu Ja zu EU-Lieferkettengesetz auf
VonMarcel Reichschließen
Das Bundesjustizministerium und das Bundesfinanzministerium tragen das EU-Lieferkettengesetz nicht mit. Ein Leuchtturmprojekt der EU-Handelspolitik wackelt. Die SPD fordert ein Umdenken der FDP.
Update vom Donnerstag, 1. Februar, 16.21 Uhr: Im Ringen um das geplante neue EU-Lieferkettengesetz hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) neue Vorschläge vorgelegt. Mit den neuen Vorschlägen will Heil die deutsche Lieferkettenregulierung ändern. So sollen die jährlichen Berichtspflichten der Unternehmen durch das deutsche Lieferkettengesetz ausgesetzt werden. Betroffenen sind laut Heils Eckpunkten rund 3000 Unternehmen.
Stärker berücksichtigt werden soll zudem, wenn es in einem Land, in dem etwa Produkte für den deutschen Markt hergestellt werden, ein niedrigeres Niveau von Rechtsdurchsetzung herrscht. Mehr Raum soll es für Initiativen ganzer Branchen geben, die einzelne Unternehmen entlasten können. An die Adresse des Koalitionspartners FDP sagte Heil am Donnerstag (1. Februar) in Berlin: „Ich werbe um Zustimmung.“
SPD fordert FDP zu Ja zu EU-Lieferkettengesetz auf
Update vom Donnerstag, 1. Februar, 13.34 Uhr: Die SPD im Bundestag hat die FDP aufgefordert, ihr Nein zum geplanten europäischen Lieferkettengesetz doch noch zurückzunehmen. „Die FDP erteilt mit ihrer Absage an das europäische Lieferkettengesetz gleichzeitig eine Absage an faire Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirtschaft“, sagte SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt am Donnerstag in Berlin.
Zuvor hatte es aus Regierungskreisen geheißen, dass die FDP-geführten Ministerin für Justiz und für Finanzen nicht mittrügen. Damit droht das geplante Gesetz zu scheitern. Schmidt sagte: „Damit verspielen wir auch unser Vertrauen auf europäischer Ebene.“ Im Koalitionsvertrag habe sich die Ampel auf eine Unterstützung eines wirksamen EU-Lieferkettengesetzes geeinigt, sofern es kleine und mittlere Unternehmen nicht überfordere. „Viele Unternehmen haben sich bereits darauf eingestellt und begrüßen das Gesetz“, sagte Schmidt. „Ich fordere die zuständigen FDP-Minister auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben, Menschenrechte zu schützen und den Weg für einen fairen Wettbewerb in der gesamten EU freizumachen.“
Erstmeldung vom Donnerstag, 1. Februar, 10.15 Uhr: München – Das geplante neue EU-Lieferkettengesetz droht an Deutschland zu scheitern. Das Bundesjustizministerium und das Bundesfinanzministerium könnten die Pläne nicht mittragen, verlautete am Donnerstag aus Regierungskreisen. „Im Rat der Europäischen Union hat dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, die im Ergebnis wie eine „nein“-Stimme wirkt“, heißt es in einem Schreiben von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner (beide FDP), das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Im EU-Rat steht noch eine finale Abstimmung im Kreis der EU-Staaten an. Zuerst hatte „The Pioneer“ über die Haltung der FDP-Ministerien berichtet.
Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbart sind.
Deutschlands Enthaltung bringt gesamtes Vorhaben ins Wanken
Unterhändlerinnen und Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten hatten sich Mitte Dezember auf einen Kompromiss zu dem Vorhaben geeinigt. Noch gibt es aber lediglich einen politischen Deal. Ein genauer Rechtstext wird derzeit von Beamten ausgearbeitet - dieser könnte in den kommenden Wochen fertiggestellt werden. Danach muss dieser noch endgültig von den EU-Staaten und dem Europaparlament angenommen werden.
Ein EU-Diplomat sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass mit einer Enthaltung Deutschlands unklar sei, ob es unter den EU-Ländern jetzt noch eine ausreichende Mehrheit für das Vorhaben geben wird. Es gibt etwa Spekulationen, dass sich andere Länder an der Entscheidung Deutschlands orientieren und dem Vorhaben nun ebenfalls nicht zustimmen. Damit steht eines der Leuchtturmprojekte der EU-Handelspolitik auf der Kippe.
Nach Angaben eines weiteren EU-Diplomaten wird die belgische Ratspräsidentschaft das Vorhaben weiter vorantreiben. Es werde an einer Einigung gearbeitet, hieß es.
Kritik am EU-Gesetz von Lindner und Buschmann
In Deutschland gibt es bereits ein Lieferkettengesetz, die EU-Variante geht aber über die Vorgaben des deutschen Gesetzes hinaus. Das deutsche Gesetz gilt für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Diese Grenze dürfte durch die EU-Version herabgesetzt werden. Außerdem ist vorgesehen, dass Unternehmen zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen und beispielsweise Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können. Das ist im deutschen Lieferkettengesetz bislang ausgeschlossen.
Buschmann und Lindner kritisierten, das EU-Gesetz werde dazu führen, dass Unternehmen für Pflichtverletzungen in der Lieferkette in erheblicher Weise zivilrechtlich haften. Außerdem wären deutlich mehr Unternehmen betroffen als nach aktueller deutscher Rechtslage. Auch der Bausektor solle als sogenannter Risikosektor eingestuft werden. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen in diesem bereits durch gestiegene Bauzinsen gebeutelten Bereich könne das existenzbedrohend sein. „Viele Betriebe verfügen unserem Eindruck nach schlichtweg nicht über die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen“, argumentieren die Minister. „Es ist zu befürchten, dass künftig noch weniger gebaut würde in Deutschland.“
Mehrere Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft forderten jüngst in einem Brief an Kanzler Olaf Scholz (SPD), die Zustimmung zum neuen EU-Lieferkettengesetz zu verweigern. Sie warnten vor „Rechtsunsicherheit, Bürokratie und unkalkulierbaren Risiken“.
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