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Container am Hamburger Hafen (Symbolbild)

Analyse

Neue EU-Vorgaben für Lieferketten: Gravierende Folgen für Exporteure aus Drittstaaten nach Europa

Lieferkettengesetz, Konfliktmineralienverordnung, Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit: Auf EU-Ebene entstehen neue Vorgaben für unternehmerische Sorgfaltspflichten – mit Folgen für Exportländer

Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 5. Mai 2023.

Die Ziele der EU-Nachhaltigkeitsagenda bedeuten nicht nur neue Vorgaben für europäische Unternehmen, die ihre Lieferketten überprüfen müssen – sondern auch neue Anforderungen für Länder, die in den EU-Markt exportieren. Diese sehen sich mit neuen Standards und Normen konfrontiert und müssen außerdem mit vermehrten Kontrollen der Produktionsbedingungen und eigenständigem Aufwand rechnen, etwa um Sorgfaltsberichte zu erstellen. 

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Eine ganze Reihe an neuen Gesetzen im Bereich der unternehmerischen Sorgfaltspflichten entsteht derzeit in Brüssel:

  • Die Trilog-Verhandlungen (zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament, Anm. d. Red.) über die Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten dürften bald beginnen; das Parlament wird Anfang Juni über seine Position abstimmen.
  • Die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten muss noch der EU-Rat als letzte EU-Institution annehmen, dann tritt sie in Kraft.
  • Die Konfliktmineralienverordnung ist seit Anfang 2021 in Kraft und wird in diesem Jahr geprüft.
  • Das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit hat die EU-Kommission im September vorgestellt.
  • Die Batterieverordnung, die EU-Parlament und EU-Rat noch annehmen müssen, sieht Sorgfaltspflichten für Batterierohstoffe vor.

Besonders das EU-Sorgfaltspflichtengesetz wird einen großen Einfluss auf Drittländer haben: Rund 62 Prozent der afrikanischen Wertschöpfungsexporte sind beispielsweise in EU-Exporte eingebunden. Will heißen: Reguliert Brüssel seine Lieferketten, so gelten die Regeln auch für einen Großteil der afrikanischen Exporte in die EU

„Potenzial, globale Wertschöpfungsketten aufzuwerten“

Allerdings sind die betroffenen Wirtschaften in vielen Fällen nicht auf die damit einhergehenden Anforderungen vorbereitet. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wertet die Due-Diligence-Gesetzgebung vor diesem Hintergrund als zweischneidiges Schwert.

Laut einem SWP-Arbeitspapier hat das Gesetz einerseits das Potenzial, globale Wertschöpfungsketten sozial wie wirtschaftlich aufzuwerten, etwa durch bessere Arbeitsbedingungen und Haushaltseinkünfte im globalen Süden. Die höheren Anforderungen durch das europäische Gesetz könnten dazu führen, dass Drittstaaten einheitliche Regeln in Bezug auf Arbeitsnormen, Produktionsstandards usw. einführen und die lokalen Unternehmen bei der Umsetzung unterstützen. Gleichzeitig können die EU-Regeln Zulieferer und Produzenten dazu anregen, ihre eigenen Prozesse zu überdenken und auf saubere, sichere Technologien zu setzen.  

Große Player könnten profitieren

Andererseits besteht laut dem Papier das Risiko, dass strengere Due-Diligence-Auflagen insbesondere den großen Playern zugutekommen: Jene, die über ausreichend Personal und Mittel verfügen, um die strengeren Anforderungen zu erfüllen. Kleinbauern und kleinere Produzenten und Zwischenhändler, die die Anforderungen nicht stemmen können, drohe hingegen der wirtschaftliche Abstieg. 

So geschehen ist das im Falle der EU-Konfliktmineralienverordnung, durch die beispielsweise in Kolumbien immer mehr Goldminenkooperativen in die Illegalität rutschen. „Diese Gesetze werden für große Unternehmen entworfen, die über Arbeitskräfte und Ressourcen verfügen. Nicht aber für kleine Minenarbeiter und Kooperativen“, berichtet ein kolumbianischer Goldgräber.

Ähnliche Folgen hat auch die Gesetzgebung für entwaldungsfreie Lieferketten auf die Menschen vor Ort. Die  EU erschwere mit der Verordnung Kleinbauern den Zugang zum europäischen Markt, sagte der Kleinbauernvertreter Kambale Malembe aus der DR Kongo zu Table.Media.

EU-Pläne konkurrieren zum Teil mit nationaler Gesetzgebung

Die Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten hat das EU-Parlament kürzlich final angenommen. Bevor sie in Kraft tritt, muss auch der EU-Rat sie noch formell bestätigen. Nach den neuen Vorschriften dürfen Unternehmen Einfuhren bestimmter Produkte und Rohstoffe (etwa Rinder, Kakao, Kaffee und Soja) aus bestimmten Ländern nur in der EU verkaufen, wenn die Lieferanten eine Sorgfaltserklärung eingereicht haben. Diese muss bestätigen, dass ein Produkt nicht von einer nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzten Fläche stammt und nach diesem Datum auch nicht zur Schädigung von Wäldern geführt hat.

Die EU-Kommission plant ein Benchmarking-System, mit dem sie Länder oder Teile von Ländern nach deren Risiko für Entwaldung und Waldschädigung (hohes, normales oder geringes Risiko) bewerten will. Die Verpflichtungen für Unternehmen werden dann vom Niveau dieses Risikos abhängen. 

Die Unternehmen müssen zudem nachweisen, dass die Produkte den Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes entsprechen, damit die Menschenrechte und die Rechte indigener Völker geachtet werden. Laut einer Analyse von Karina Marzano vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit am Helmholtz-Zentrum Potsdam nimmt die EU-Verordnung auch Entwaldung in Angriff, die vor Ort legal ist – und konkurriert deshalb potenziell mit nationaler Gesetzgebung.

Unterschiedliche Reaktionen in den Drittländern

In Brasilien etwa, einem wichtigen Sojaexporteur, müssen private Landbesitzer im Amazonasgebiet nach dem nationalen Forstgesetz auf 80 Prozent ihrer Fläche die einheimische Vegetation erhalten, dürfen also 20 Prozent ihres Landes abholzen. Die EU-Verordnung hingegen sieht ein 100-prozentiges Abholzungsverbot vor.

Die EU-Kommission argumentiere, der Gesetzesvorschlag verhänge gegen kein Land bzw. keine Ware ein Verbot, sagt Marzano. „Dennoch werden Unternehmen ihre Tätigkeit wahrscheinlich von den Hochrisikoproduzenten weg verlagern, wenn es alternative, risikoarme Rohstoffproduktionsländer gibt.“ Genau dies sei das von der EU angestrebte Ergebnis: Indem die EU nachhaltige Maßnahmen der Exportländer fördere, wolle sie einen Kaskadeneffekt erzielen, der von den ländlichen Erzeugern bis hin zu den nationalen Regierungen reiche.

Die Reaktionen in Brasilien seien sehr unterschiedlich, selbst in der Industrie: Einige Verbände begrüßten die EU-Initiative, andere sehen darin „als Umweltschutz getarnten Protektionismus“. Auch das brasilianische Umweltministerium erklärte 2021 (damals noch unter Ex-Präsident Jair Bolsonaro), es wolle die EU-Pläne anfechten. Ein NGO-Bündnis forderte hingegen eine Schärfung und Schließung von Lücken des EU-Gesetzes.

Risiko des Disengagement

Risiken in ihrer Wertschöpfungskette zu beheben oder einzudämmen, ist für Unternehmen kostspielig. So entsteht das Risiko, dass sich Unternehmen aus problematischen Gebieten zurückziehen. Für die Betroffenen bedeutet das womöglich eine Verschlimmerung statt einer Verbesserung der Lage vor Ort.

Unklar bleibt, wie die Behörden im globalen Süden kontrollieren, ob ihre Unternehmen die europäischen Vorschriften einhalten. Die SWP spricht in diesem Zusammenhang von einem „Governance overload“, bei dem private Zertifizierungsstellen die Arbeit der Aufsichtsbehörden übernehmen. Doch um die Zustände im Sinne der EU-Anforderungen zu verändern, sind auch institutionelle Maßnahmen nötig, wie zum Beispiel die Ratifizierung von ILO-Arbeitsnormen, die Anpassung von Arbeits- und Sozialnormen sowie etwaige Kursänderungen in der Industriepolitik.

„Vorgaben entsprechen internationalen Konventionen“

Markus Löning, der deutsche Unternehmen bei der Due Diligence berät, sieht die Regierungen der Drittländer hier in der Verantwortung: Die meisten Länder hätten die fundamentalen Menschenrechte in der Verfassung verankert und die entsprechenden internationalen Konventionen ratifiziert. „Diese zu implementieren, ist ihre staatliche Aufgabe.“ 

In der Zwischenbilanz zum französischen Lieferkettengesetz wird unterdessen das Risiko einer Verschiebung des Handels beschrieben – insbesondere, wenn nicht der Endabnehmer, sondern der Zwischenhändler eine Machtposition innehat. Im Fall der Aluminiumbranche weigerten sich Zulieferer, die Auflagen der französischen Konzerne zu erfüllen. Sie konnten es sich leisten, da sie das Marktmonopol auf ihr Produkt haben: das zur Aluminiumherstellung benötigte Bauxit. Die Nachfrage an Bauxit ist so groß, dass sich die Zwischenhändler auf Kunden mit weniger strengen Sorgfaltspflichten konzentrieren und die amerikanischen, asiatischen und nahöstlichen Märkte bevorzugen.

Zielländer wurden kaum gefragt

„Das ist auch eine Preisfrage“, bemerkt hingegen Markus Loening und warnt vor Pauschalisierungen. Das Risiko einer Marktverschiebung bestehe zwar in einzelnen Fällen, das sei aber von Markt zu Markt und Sektor zu Sektor unterschiedlich. „Man sollte nicht vergessen, dass Europa und die USA ein gewaltiger Handelsblock sind. Diese Märkte gibt man nicht einfach so auf.“ 

Das SWP empfiehlt, dass Gesetze zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen mit Begleitmaßnahmen zur finanziellen und technischen Unterstützung von Produzenten und Zwischenhändlern im Globalen Süden einhergehen. Auf EU-Ebene beispielsweise über den Weg des Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung EFSD+. 

Dabei gibt es allerdings ein Kernproblem: Die für Entwicklungszusammenarbeit zuständige Generaldirektion INTPA war kaum in die Ausarbeitung des Sorgfaltspflichtengesetzes eingebunden. Auch die EU-Delegationen in den Ländern, auf die das Due-Diligence-Gesetz einwirkt, wurden kaum zurate gezogen. In anderen Worten: Die Länder, in denen das EU-Gesetz für bessere Zustände in puncto Menschenrechte und Umwelt sorgen soll, wurden bisher außen vor gelassen. Heißt auch: Die Kommission verfügt dem Vernehmen nach kaum über Wissen darüber, welche Unterstützungsmaßnahmen zur erfolgreichen Implementierung in Zielländern nötig sind. (Von Leonie Düngefeld und Charlotte Wirth)

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