Versorgung von Diabetikern bedroht

Lieferengpass beim Medikament Ozempic: Arzt spricht von „ziemlicher Katastrophe“ für Diabetes-Patienten

  • Fabian Hartmann
    VonFabian Hartmann
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Ärzte warnen vor den Auswirkungen von Ozempic-Lieferengpässen für Diabetiker. Diesem ging ein Hype um das Medikament voraus – weil viele es zum Abnehmen benutzen.

München - Ozempic wurde eigentlich speziell zur Behandlung von Diabetes-Patienten entwickelt. Sein Wirkstoff Semaglutid gilt als hochwirksam für Menschen mit Diabetes Typ 2, die zudem unter koronaren Erkrankungen leiden. Denn Semaglutid, das einmal wöchentlich ins Unterhautfettgewebe von Oberarm, Bauch oder Oberschenkel injiziert werden muss, senkt nicht nur den Blutzuckerspiegel, sondern schützt auch die Gefäße.

Ozempic ist aber auch dafür bekannt, den Appetit zu hemmen – und kann so beim Abnehmen helfen. Denn Semaglutid ahmt das Hormon GLP-1 nach, das im Zwölffingerdarm produziert wird. Dadurch verlangsamt es die Entleerung des Magens und sorgt für ein Sättigungsgefühl im Hypothalamus. Zugelassen ist es als solches Medikament auch für Menschen, die als krankhaft übergewichtig gelten – also einen Body Mass Index (BMI) über 30 beziehungsweise über 27 haben, wenn Begleiterkrankungen bestehen. 

Als Präparat zur Gewichtsabnahme erfährt Ozempic einen Hype

Seitdem bekannt ist, dass Ozempic beim Abnehmen helfen kann, hat sich ein wahrer Hype um das Medikament entwickelt. Dieser wird auch durch seine zunehmende Präsenz in sozialen Medien verstärkt. Viele Menschen besorgen sich Ozempic zum Abnehmen auf eigene Kosten – mit einem Privatrezept. Denn die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels zur Behandlung einer Erkrankung, für die es nicht zugelassen ist, sogenannter Off-Label-Use, ist für Ärzte legal.

Der Hype um Ozempic hat aber auch eine Kehrseite: Er sorgt immer wieder für Lieferengpässe. Diabetes-Patienten droht dadurch, sich nicht mehr mit dem Medikament versorgen zu können – obwohl sie auf Ozempic angewiesen sind. „Die Patienten reisen manchmal 50 oder 60 Kilometer, weil sie nur dort eine Apotheke gefunden haben, die das vorrätig hat. Und das ist ehrlich gesagt eine ziemliche Katastrophe“, betont Stefan Martin, Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf, im Gespräch mit dem WDR.

Online-Handel mit Ozempic – Viele Fälschungen im Umlauf

Der aktuelle Lieferengpass von Ozempic könnte für Diabetiker allerdings gefährlich werden: Denn Ozempic muss dauerhaft genommen werden. Wird es abgesetzt, kann dies erneut zu einer schnellen Gewichtszunahme führen. Das Medikament unter ärztlicher Aufsicht einzunehmen, ist auch ratsam, weil Semaglutid stark in die Körperfunktionen eingreift. Und, weil es nach der Einnahme zu Nebenwirkungen kommen kann. Hierzu zählen unter anderem

  • Kopfschmerzen
  • Erbrechen
  • Durchfall
  • Verstopfungen
  • Entzündung der Bauchspeicheldrüse

Doch es gibt noch einen weiteren Grund, eine Therapie mit Ozempic vor der Einnahme besser mit einem Arzt zu besprechen: Im Online-Handel sind nämlich immer wieder Fälschungen des Präparats im Umlauf. Erst vor wenigen Wochen (08.12.23) sorgte ein Fall für Aufsehen, bei dem eine Britin beinahe an den Folgen der Einnahme eines fälschlicherweise als Ozempic betitelten Präparates starb. Dabei handelte es sich allerdings um eine Fälschung. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnt vor Fälschungen von Ozempic, die online zum Verkauf angeboten werden.

Lieferengpass von Ozempic besteht schon länger

Von ärztlicher Seite wird immer wieder darauf hingewiesen, Ozempic nicht als Lifestyle-Medikament zum Abnehmen zu gebrauchen. „Ich kann davor nur dringend warnen, weil es ein Medikament ist, das auch zu Nebenwirkungen führen kann. Es muss unter ärztlicher Betreuung eingenommen werden“, betont Stefan Martin gegenüber dem WDR.

Auch der Deutsche Apothekerverband weist darauf hin, dass die Versorgung von Menschen mit Diabetes bei Lieferengpässen des Präparats gefährdet ist. Bereits im Oktober vergangenen Jahres rief der Ozempic-Hersteller Novo Nordisk einen Lieferengpass für Ozempic aus. Dieser wird nach Angaben des Unternehmens „voraussichtlich über das Jahr 2023 andauern“. Laut dem Pharma-Unternehmen werden die Lieferkapazitäten zwar weiter zunehmen, jedoch sei nicht absehbar, wann sie ausreichen werden, um die Nachfrage vollständig zu decken. Betroffene Patienten sollten daher auf die Liefersituation aufmerksam gemacht und gegebenenfalls auf geeignete alternative Behandlungen umgestellt werden.

Bundesinstitut erwägt Exportverbot von Ozempic, um Lieferengpass zu beenden

Die Lieferengpässe von Ozempic werden aber auch dadurch verstärkt, dass der Großhandel in der jüngsten Vergangenheit zu viele Rationen des Präparats ins Ausland verkaufte statt an deutsche Apotheken. Denn in vielen anderen Ländern ist der Handel mit Ozempic lukrativer, weil es dort teurer verkauft wird als in Deutschland.

Das BfArM erwog deshalb bereits sogar ein Exportverbot für Ozempic, wie unter anderem die Pharmazeutische Zeitung berichtete. Auch, weil die Engpässe des Präparats schon zu lange bestehen. Mitte November teilte das BfArM mit, Gespräche zum Exportverbot zu beginnen – bisher ist dies aber noch nicht abschließend geklärt. Das Exportverbot könnte dann aber für Ozempic-Dosen greifen, die nach Deutschland geliefert wurden und von hier nicht weiter ins Ausland verkauft werden dürften.

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