Kleines Mädchen hat einen Wutanfall. Sie hält sich die Hände vor die Augen und schreit
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Gefühlsstarke Kinder bringen eine intensive Dynamik in den Familienalltag. (Symbolbild)

Erziehungstipps

Warum ist mein Kind so anstrengend? Vielleicht ist es gefühlsstark

Gefühlsstarke Kinder sind keine Problemkinder, sondern kleine Persönlichkeiten mit einer intensiven Wahrnehmung. Diese Intensität kann Eltern herausfordern, aber auch bereichern. Erfahren Sie, wie Sie mit dieser Herausforderung umgehen können.

Sie lieben Ihr Kind über alles, aber manchmal raubt es Ihnen den letzten Nerv. Während andere Kinder ruhig in der Ecke spielen, scheint Ihr Nachwuchs immer in Bewegung, immer auf hundert Prozent – ob vor Freude oder vor Wut. Jede Kleinigkeit wird zu einem Drama, jede Änderung im Plan zu einem Weltuntergang. „Warum ist mein Kind so anstrengend? Was mache ich falsch?“ Die Antwort ist simpel: Gar nichts! Vielleicht hast du einfach ein gefühlsstarkes Kind.

Gefühlsstarke Kinder werden oft missverstanden, dabei sind sie keine „Problemkinder“, sondern kleine Persönlichkeiten, die ihre Welt mit einer Intensität wahrnehmen, die andere Kinder nicht kennen. Dadurch bringen diese Kinder aber automatisch große Herausforderungen mit sich, die Eltern überfordern können. Wie man mit Geduld, Struktur und Verständnis an diese „Anstrengung“ herangehen kann, wenn das eigene Kind ein kreativer, starker und hochsensibler Mensch ist.

Test: Ist mein Kind hochsensibel?

Hochsensible Kinder nehmen ihre Umgebung intensiver wahr als andere. Dadurch gibt es ein paar typische Verhaltensweisen, die auf eine Hochsensibilität hindeuten können. Dieser Test hilft Eltern bei der Ersteinschätzung. Sie können sich ihn HIER kostenlos herunterladen.

Gefühlsstark: Was bedeutet das und wie äußert sich das im Kindesverhalten?

Gefühlsstarke Kinder, oft auch als „temperamentvolle“ oder im Englischen als „spirited children“ bezeichnet, bringen eine intensive Dynamik in den Familienalltag. Ihre Persönlichkeit ist geprägt von einer außergewöhnlich hohen Empfindsamkeit gegenüber äußeren Reizen und einer starken Emotionalität. Etwa zehn bis 20 Prozent aller Babys und Kinder zählen zu dieser Gruppe. Sie reagieren von Geburt an intensiver auf ihre Umwelt und haben Schwierigkeiten, ihre Emotionen und ihr Verhalten zu regulieren. Das zeigt sich schon früh: Ein gefühlsstarkes Baby kann auf neue Eindrücke mit lautem Weinen, Zappeln oder einem deutlich erhöhten Herzschlag reagieren. Es ist oft schwer zu beruhigen, tut sich mit Schlafrhythmen schwer und zeigt wechselhafte, intensive Gefühlsausbrüche.

Die deutsche Autorin Nora Imlau beschreibt gefühlsstarke Kinder aber als solche, die nicht nur herausfordern, sondern auch bereichern. Ihre Beschreibungen basieren auf den Definitionen von Mary Sheedy Kurcinka, einer erfolgreichen Erziehungstherapeutin, und betonen, dass es sich hierbei nicht um eine Störung oder Krankheit handelt. Vielmehr ist Gefühlsstärke laut Swissmom.ch eine angeborene Persönlichkeitsstruktur, die von einer besonders aktiven Amygdala und einem vergleichsweise schwach ausgeprägten Vagusnerv beeinflusst wird. Diese Hirnmechanismen führen dazu, dass die Kinder leichter „in Alarmbereitschaft“ geraten und es dann schwer haben können, um wieder zur Ruhe zu finden.

Hier gibt es laut ihrem Buch Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutze Überschneidungen zu Elaine Arons Forschung, Pionieren auf dem Gebiet der Hochsensibilität: Auch hochsensible Kinder und Erwachsene, insgesamt etwa 20 Prozent aller Menschen, reagieren stark auf Reize, nehmen ihre Umwelt intensiv wahr und können dadurch schnell überfordert sein. Gefühlsstarke Kinder sind jedoch nicht nur sensibel – sie sind oft auch besonders durchsetzungsfähig, motorisch aktiv und besitzen einen enormen Willen. Diese Eigenschaften, so herausfordernd sie im Alltag auch sein mögen, sind gleichzeitig ein Potenzial, das durch liebevolle Begleitung entfaltet werden kann.

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Zehn Anzeichen dafür, dass mein Kind gefühlsstark ist

Gefühlsstarke Kinder haben eine ganz besondere Persönlichkeit, die sich in verschiedenen Verhaltensweisen zeigt. Hier sind die häufigsten Merkmale, die darauf hinweisen, dass ein Kind zu dieser Gruppe gehört:

  • Intensive Gefühle: Gefühlsstarke oder hochsensible Kinder durchleben laut Elaine Arons Fachbuch Das hochsensible Kind Emotionen in extremer Intensität. Freude wird lautstark und überschwänglich gezeigt, Ärger hingegen mit voller Kraft ausgedrückt. Ein Mittelweg scheint oft nicht zu existieren.
  • Unbändiger Wille: Diese Kinder haben einen starken Durchsetzungswillen und einen ausgeprägten Sinn für Autonomie. Sie bleiben beharrlich bei ihrer Meinung und sind kaum von ihrer Sichtweise abzubringen.
  • Empfindliche Wahrnehmung: Sie reagieren auch besonders sensibel auf äußere Reize wie Geräusche, Gerüche oder grelles Licht. Schon ein kratzendes Etikett im Shirt kann laut Swissmom.ch eine große Herausforderung darstellen. Gefühlsstarke Kinder sind deshalb schnell reizüberflutet und reagieren dann mit heftigen Emotionen.
  • Probleme mit Selbstregulation: Es fällt ihnen laut Leben-und-erziehen.de schwer, ihre eigenen Emotionen zu kontrollieren oder zu regulieren. Wutausbrüche, lautes Weinen oder scheinbar endlose Diskussionen gehören oft zum Alltag.
  • Hohe Energie: Gefühlsstarke Kinder sind oft ständig in Bewegung und haben einen unermüdlichen Bewegungsdrang. Dabei schlafen sie oft weniger als Gleichaltrige und finden schwer zur Ruhe.
  • Mühe mit Veränderungen: Übergänge und Planänderungen sind für diese Kinder eine besondere Hürde. Überraschungen oder spontane Anpassungen lösen häufig Stress aus.
  • Ausgeprägte Wahrnehmung und Empathie: Selbst kleine Details in ihrer Umgebung entgehen ihnen nicht. Sie können sich intensiv in die Gefühle anderer hineinversetzen und besitzen ein starkes Gerechtigkeitsbewusstsein. Außerdem machen sie sich laut Babyartikel.de überdurchschnittlich viele Gedanken zu vielen, auch traurigen, Themen.
  • Analytisches Wesen: Gefühlsstarke Kinder hinterfragen vieles und wollen Dinge bis ins Detail verstehen. Fehler, die anderen nicht auffallen, werden von ihnen akribisch bemerkt.
  • Autonomie-Streben: Diese Kinder haben ein starkes Bedürfnis nach Eigenständigkeit und wollen Entscheidungen selbst treffen, auch wenn das nicht immer realistisch ist. Sie können mit Autorität oft weniger gut umgehen und wollen sprichwörtlich lieber „ihren eigenen Kopf durchsetzen“.
  • Beharrlichkeit: Haben sie sich ein Ziel gesetzt, bleiben sie eisern dabei – egal, wie herausfordernd oder unrealistisch es scheint. Wenn gefühlsstarke Kinder sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, ist es kaum möglich sie wieder davon abzubringen. Langwierige und emotionale Diskussionen sind vorprogrammiert.

Wenn mehrere dieser Merkmale auf ein Kind zutreffen, kann es gut sein, dass es gefühlsstark ist. Das bedeutet besondere Herausforderungen, aber auch ein enormes Potenzial, das es mit Geduld und Verständnis zu fördern gilt.

Gefühlsstarke Kinder unterstützen: So gehen Eltern mit temperamentvollem Nachwuchs um

Gefühlsstarke Kinder stellen Eltern oft vor große Herausforderungen, aber mit den richtigen Ansätzen können sie in ihrem Temperament unterstützt werden. Die amerikanische Erziehungswissenschaftlerin Mary Sheedy Kurcinka prägte den Begriff „spirited children“ und rät Eltern generell, nicht zu verzweifeln, sondern das Potenzial ihres Kindes zu erkennen. Ein wichtiger Schlüssel liegt in der Akzeptanz: Gefühlsstärke ist keine Schwäche, sondern eine besondere Fähigkeit, die Begleitung und Verständnis erfordert.

Die Ohrfeige war bis in die 80er verbreitet: Wie sich die Erziehung verändert hat

Schulklasse, die gemeinsam etwas erarbeitet.
Stillsitzen – das wurde früher noch regelmäßig in der Schule gefordert. Beim Kirchenbesuch oder den Großeltern lief es ähnlich ab. Hibbeln oder wippeln, immer etwas in den Händen zu haben war selten irgendwo gern gesehen. Heute ist das anders. Studien zeigen, dass Bewegung zwischendurch das Lernen unterstützt und auch insgesamt sind sich Experten einig: Mehr Bewegung, auch über die Schule hinaus, wäre wünschenswert. Das bedeutet aber nicht, dass Kinder in der Kirche oder einem feinen Restaurant umherrennen sollten – das wann und wo ist auch heute noch wichtig. (Symbolbild) © Wavebreak Media Ltd/Imago
Ein Kind balanciert auf einem Stamm am Meer.
Balancieren, auf einem Bein stehen, rückwärts gehen – bei Vorschuluntersuchungen fällt immer wieder auf, dass Fünfjährige immer öfter Probleme bei diesen Aufgaben haben. Besonders in größeren Städten sind bis zu 40 Prozent der Kinder motorisch etwas unterentwickelt. In der Grundschule selbst werden Seil- oder Stangenklettern im Sportunterricht seltener, weil immer weniger Kinder dies können. Aber das ist in der Regel kein Grund zur Besorgnis, denn in dem Alter kann viel aufgeholt werden. (Symbolbild) © Cavan Images/Imago
Ein Kind bindet seinen Schuh mit einer Schleife.
Wissen Sie noch, wie alt Sie waren, als Sie das Schleife binden lernten? Vor gut 20 Jahren wetteiferte man im Kindergarten darum, wer das noch vor der Einschulung fertigbringt. Heute kann sich gerade mal die Hälfte der Vier- bis Fünfjährigen ohne Hilfe anziehen, inklusive Schuhe binden. Einige Grundschulen haben darauf reagiert – und verbieten Schnürsenkel. Die Lehrenden haben einfach Besseres zu tun, als den ganzen Tag Schleifen an Kinderschuhen zu binden. (Symbolbild) © eyevisto/Imago
Ein Junge wäscht ab.
Wussten Sie, dass nur 23,5 Prozent der Haushalte 1983 Spülmaschinen besaßen? Heute sind es knapp 72 Prozent. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Kinder heute nicht mehr überall beim Abwasch helfen müssen. Auch beim Staubsaugen wird immer weniger Unterstützung gefordert, schließlich gibt es in immer mehr Familien Saugroboter. Trotzdem: Kinder können – und sollen – durchaus im Haushalt helfen. Das steht sogar im Gesetz (§ 1619 BGB). In welchem Maße bleibt natürlich den Eltern überlassen, aber häufig sind Hilfe beim Tischdecken/-abräumen oder das Einräumen der Spülmaschine üblich, auch für Kinder ab drei Jahren. (Symbolbild) © Valentina Barreto/Imago
Junge versteckt sich ängstlich unter einem Tisch.
Prügel, Schläge, Angst – früher war der Rohstock im Klassenzimmer weit verbreitet. In der DDR wurde er (und damit die Prügelstrafe) 1949 aus der Schule verbannt. Langsam folgte auch der Rest Deutschlands, in Teilen von Bayern wurde aber bis Anfang der 1980er Jahre immer noch auf diese Art durchgegriffen. Und erst seit 2000 gilt, laut Gesetz, endlich auch zu Hause: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ (§ 1631 BGB, Abs. 2) (Symbolbild) © Vasily Pindyurin/Imago
Ein Kind versteckt sich, es sind nur die Augen und die Mütze zu sehen.
„Gib‘ der Tante mal die Hand, Kind“ – der Spruch klingt nicht nur verstaubt, er ist es zum Glück auch. Da heute mehr auf die Kinder und ihre Bedürfnisse eingegangen wird, muss keiner mehr irgendwem die Hand oder ein Küsschen geben, wenn er oder sie das nicht möchte. Eine Wohltat, vor allem für schüchterne Sprösslinge. (Symbolbild) © Pawel Opaska/Imago
Junge allein im winterlichen Wald.
Mittagessen für die Geschwister machen, alleine zu Hause oder draußen sein: Viele Kinder mussten vor einigen Jahrzehnten diese Erfahrungen früh machen. Auch, wenn sie dafür vielleicht noch zu jung und von der Verantwortung überfordert waren. Heute haben Eltern mehr Zeit für ihre Kinder oder sorgen für entsprechende Betreuung und das Alleinsein kommt vergleichsweise spät. Das ist auf der einen Seite sehr löblich und gut, passierten doch früher auch oft Unfälle. Aber ein bisschen traurig ist es auf der anderen Seite auch, denn manchmal birgt ein kleiner Waldabschnitt viel mehr Möglichkeiten für Fantasie und Abenteuer als der moderne Spielplatz um die Ecke. (Symbolbild) © Frank van Delft/Imago

Feste Strukturen sind dabei essenziell. Regelmäßige Schlafenszeiten, klare Routinen und vorhersehbare Abläufe geben gefühlsstarken Kindern Sicherheit. Ebenso wie das wichtigste Detail in der Erziehung von gefühlsstarken oder hochsensiblen Kindern: Verständnis! Gerade in Momenten emotionaler Ausbrüche ist es wichtig, geduldig zu bleiben und die Gefühle des Kindes ernst zu nehmen. Das bedeutet nicht, dass Eltern alles hinnehmen müssen, sondern dass sie ruhig, aber konsequent reagieren sollten. Schimpfen oder das Abtun von Gefühlen verschärft meist die Situation.

Einfühlsame Begleitung zahlt sich langfristig aus: Kinder lernen durch Vorbilder. Eltern können gemeinsam mit ihrem Kind Strategien entwickeln, um Emotionen zu regulieren – etwa durch Atemübungen, das Aufmalen von Gefühlen oder das Benennen dessen, was sie gerade erleben. So erhält das Kind Werkzeuge, um auch später im Leben mit seiner Gefühlswelt umzugehen, selbst wenn die Eltern nicht direkt zur Seite stehen können.