Eltern-Burnout

Sind Sie als Eltern dauergestresst? Das „Zweite-Wahl“-Modell könnte Ihre Lösung sein

  • Jasmina Deshmeh
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Eltern sind oft unter enormem Druck und bemühen sich, alles richtigzumachen. Dabei kann es helfen, gelegentlich von der gewohnten Erziehungsmethode abzuweichen.

Elternschaft ist eine Challenge: Zeitdruck, die Gesundheit und Sicherheit des Kindes, ein verantwortungsvoller Medienkonsum sowie gesunde Ernährung sind nur einige der vielen Aspekte auf der langen Mental-Load-Liste. Hinzu kommen Haushalt und vielleicht der eigene Beruf. Kein Wunder, dass viele Eltern erschöpft und ausgebrannt sind. Bei einigen gipfelt der Zustand sogar im sogenannten Eltern-Burnout. Unabhängig davon, welchen Erziehungsstil Eltern pflegen – das Konzept des „Second Best Parenting“ (auf Deutsch: zweitbeste Elternschaft) der amerikanischen Autorin und Ökonomin Emily Oster könnte die Lösung sein.

Was steckt hinter Second Best Parenting?

Neben langen To-do-Listen im Alltag können auch Perfektionismus und ständiger Vergleich mit anderen, Eltern in die Stressspirale treiben. Verstärkt wird diese oft noch durch die sozialen Medien. Denn diese sorgen häufig für unrealistische Erwartungen. Der damit verbundene Druck beeinträchtigt nicht nur das Wohlbefinden der Eltern, sondern auch das der Kinder.

Sind Eltern vom Alltag mit Kindern gestresst, kann es helfen, seine Ansprüche herunterzuschrauben.

Das Konzept der zweitbesten Elternschaft, eine Art „Zweite-Wahl-Modell“, soll einen ausgewogenen Umgang mit den alltäglichen Belastungen des Lebens ermöglichen, wie das amerikanische Elternmagazin parents.com berichtet. Denn niemandem ist geholfen, wenn bestimmte Erziehungsprinzipien konsequent eingehalten werden, Eltern dafür durch Perfektionismus und Erschöpfung aber kurz vorm Eltern-Burnout stehen. Das Zweite-Wahl-Modell soll helfen, den Perfektionismus abzulegen und praktischere Lösungen bei der Kindererziehung zu finden. Für Eltern bedeutet das konkret: Regeln und Routinen dürfen auch mal gelockert werden, wenn es sich in dem Moment richtig anfühlt.

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Folgende Gedanken sollen dabei verinnerlicht werden:

  • Fehler: Sie gehören dazu und sind kein Misserfolg, sondern eine Chance, zu lernen. Für Kinder und für Eltern.
  • Anpassungsfähigkeit: Im Leben verändern sich die Umstände und auch Bedürfnisse. Familien, die flexibel sind, können damit besser umgehen.
  • Selbstfürsorge: Eltern dürfen auch nach sich schauen. Seelisch und körperlich gesunde Eltern sind besser in der Lage, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen.
  • Stress und Ängste reduzieren: Perfektionismus ist nichts Positives, er erzeugt Druck und kann zu Versagensängsten führen. Das Zweite-Wahl-Modell soll ein entspanntes Familienumfeld schaffen.
  • Selbstständigkeit fördern: Kinder sollten die Möglichkeit haben, ihre Umwelt zu erkunden, Probleme selbst zu lösen und daran zu wachsen. Das entlastet langfristig auch die Eltern.

Was Kinder unselbstständig macht: Sieben Angewohnheiten der Eltern bremsen ihren Nachwuchs aus

Junge klettert auf dem Spielplatz und Vater kommt zu Hilfe
Mit dem Kind auf den Spielplatz gehen, wo es sich richtig schön austoben kann. Wenn dann auch noch ein tolles Klettergerüst dabei ist, noch besser. Doch für manche Eltern ist es schwer, beim Klettern ihres Kindes ruhig zu bleiben, denn es könnte ja etwas passieren, das Kind könnte herunterfallen. Natürlich ist die Fürsorge der Eltern für das Kind wichtig und unerlässlich, doch in Situationen wie diesen sollten Sie versuchen, Ihrem Kind seinen Freiraum zu lassen, ohne es zu ermahnen oder gleich zu verbieten. So kann sich das Kind ausprobieren und entdecken, was für die persönliche Entwicklung wichtig ist. Das Schönste daran: Kinder sind dann häufig so stolz auf sich selbst, wenn es ihnen gelungen ist, ohne Hilfe hochzuklettern. (Symbolbild) © Mareen Fischinger/Imago
Mutter und Vater kochen in der Küche, Sohn schaut zu
Aus Angst, es könnte sich beim Schnippeln verletzen oder es „nicht richtig“ machen, lassen Eltern dann lieber ihr Kind außen vor, anstatt es beim Kochen helfen zu lassen. Dabei ist es klug, den Nachwuchs in jungen Jahren ans Essen zubereiten heranzuführen und es wie selbstverständlich einzubinden. Zwar sollte man dann mehr Zeit einplanen, doch je früher ein Kind sich ausprobieren kann, desto eher lernt es, wird selbstständiger und ist gut vorbereitet fürs spätere Leben. (Symbolbild) © Philippe Degroote/Imago
Geschwister-Kinder streiten sich vor Mutter
Kinder, die einen Konflikt haben und sich streiten, sollten dies auch mal tun können, ohne dass die Eltern oder Erwachsene sich umgehend einschalten. In vielen Fällen löst sich die Schwierigkeit tatsächlich von alleine und von außen ist keine Hilfe vonnöten. Für die Entwicklung von Kindern ist es sinnvoll, eine gewisse Streitkultur zu erleben, sei es mit den Geschwisterkindern, mit dem Kind im Kindergarten oder auf dem Spielplatz. Und dann auch zu erfahren, wie es ist und sich anfühlt, wenn der Streit selbst gelöst werden konnte, ganz ohne die Eltern. (Symbolbild) © Angel Santamaria/Imago
Vater bindet Sohn die Schuhe
Häufig muss es in der Früh auf dem Weg in den Kindergarten oder die Schule schnell gehen. Weil Kinder noch kein richtiges Zeitgefühl haben, ist es für sie nicht so einfach, rechtzeitig fertig zu sein. Dann nimmt Mama oder Papa durchaus mal dem Sprössling das Schuhe-Anziehen ab. Einfach mal versuchen, ca. zehn Minuten eher aufzustehen und mehr Zeit in der Früh einzuplanen, sodass Ihr Kind sich im Anziehen der Kleidung und Schuhe selbst probieren kann – nur so lernt es selbstständig zu werden. (Symbolbild) © Wavebreak Media LTD/Imago
Junge bekommt Zähne von Mutter geputzt.
Beim Thema Zähneputzen möchten so manche Eltern auch lieber auf Nummer Sicher gehen und es ihrem Kind abnehmen. Schlechtes oder zu wenig Zähneputzen birgt schließlich Kariesgefahr. Doch für die Selbstständigkeit des Kindes ist es wichtig, dass es sich mit der Zahnbürste auch so früh wie möglich selbst versucht. Die Eltern können es zuvor ausgiebig zeigen und bei Bedarf helfen, indem sie noch etwas nachputzen. (Symbolbild) © Kryzhov/Imago
Mutter räumt im Kinderzimmer auf
Aufräumen ist in den meisten Familien kein leichtes Unterfangen. Das übernehmen dann nicht selten die Eltern. Dabei gilt auch hier: Je früher Sie Ihr Kind einbinden – am besten bereits im Kleinkindalter –, desto eher und selbstverständlicher wird es damit umgehen. Was nicht heißt, dass es immer wieder Phasen gibt, in denen Ihr Kind nicht aufräumen möchte – schon gar nicht die geliebten Bauklötze im eigenen Zimmer. Wichtig ist auch hier, das Kind immer wieder anzusprechen, freundlich aufzufordern, einzubinden, durchaus auch spielerisch, mit Musik, und dem Kind auch zu erklären, warum Aufräumen und Ordnung wichtig sind. So wird Ihr Kind später besser und selbstständig an die Sache herangehen. (Symbolbild) © Westend61/Imago
Mutter und Kind packen Schulranzen
Beim Schulranzen packen oder Hausaufgaben machen helfen Eltern in der Regel auch gerne – oder sie erledigen es komplett für Ihr Kind. Um ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, ist es zwar wichtig, Ihr Kind mit den Hausaufgaben zu unterstützen und bei Fragen und Nöten da zu sein. Doch wenn Eltern die Aufgaben selbst lösen, ist dem Kind nicht wirklich geholfen. Für einen Lerneffekt muss es eingebunden werden oder es selbst probieren dürfen. Das Schuldranzen-Packen ist für die persönliche Entwicklung und das „Großwerden“ auch ein wichtiges Ritual – es kann ebenfalls gemeinsam mit Hilfe der Eltern erfolgen, das gibt Ihrem Kind Sicherheit. Mit Musik dazu macht es sogar noch mehr Spaß. (Symbolbild) © Monkey Business 2/Imago

Situationen, in denen das Zweite-Wahl-Modell Entlastung bringen kann

In welchen Situationen Second Best Parenting eine Möglichkeit zur Entlastung ist, ist von Familie zu Familie verschieden. Natürlich gibt es Dinge, bei denen wissenschaftlich unumstritten ist, welche Regeln gelten sollten. Etwa bei der Schlafumgebung des Babys zur Vermeidung der Plötzlichen Kindstods. Oder Vorsichtsmaßnahmen in Wassernähe zur Vermeidung von Ertrinkungsunfällen. Manchmal ist die vermeintlich zweitbeste Option sogar die beste, etwa wenn beim Stillen die Probleme so groß werden, dass die Mutter enorm leidet. Dann können Abstillen und die Flasche geben eine enorme Erleichterung sein.

Und dann gibt es noch Momente, in denen die zweitbeste Elternschaft völlig Ordnung ist. Etwa, wenn (ältere) Kinder mal fernsehen dürfen, damit die Eltern den Haushalt machen oder sich ausruhen können, wenn sie krank sind. Oder statt dem gesunden, selbstgekochten Mittagessen etwas beim Lieferservice bestellt wird. Oder wenn Eltern abends einfach zu erschöpft sind, um ihr Kind zu baden und der Badetag verschieben – oder auch die Schlafenszeit mal etwas hinten ausgedehnt wird.

Zweitbeste Erziehung bedeutet Ausnahmen, wenn sie nötig sind

Nicht immer sind alle Bedürfnisse innerhalb einer Familie vorhersehbar, sodass feste Zeitpläne und Routinen eingehalten werden können. Dr. Chanelle Batiste, Beraterin für psychische Gesundheit und klinische Psychologin aus New Orleans, erklärt gegenüber parents.com zudem, dass es nicht „den einen richtigen Erziehungsstil“ gebe. Vielmehr könnten „gute Erziehungspraktiken viele Formen annehmen.“

Bei der zweitbesten Erziehungsmethode geht es nicht darum, alles richtig zu machen, sondern gemeinsam mit dem Kind zu lernen und Lösungen zu finden. Das soll die emotionale Belastbarkeit fördern und Kinder mit den nötigen Fähigkeiten ausstatten, mit Rückschlägen umzugehen. Deutlich wird das am Beispiel der Selbstfürsorge. Wenn Eltern seelisch gut für sich sorgen, kommt das nicht nur ihnen zugute. Auch die Kinder übernehmen langfristig diese gesunde Gewohnheiten und werden resilienter.

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