Prüfer machen Klarstellung
„Keine Hinweise auf Zwangsarbeit“: VW-Bericht zu Xinjiang wirft Fragen auf – und schürt Zorn
VonErkan Pehlivanschließen
Eine Untersuchung über das VW-Werk, was von einem Partner in der chinesischen Region Xinjiang betrieben wird, wird zum Problem. Uiguren-Vertreter und Experten sind empört.
Urumqi – China ist für Deutschland Handelspartner, aber auch ein wichtiger Produktionsstandort. Mehrere deutsche Unternehmen, darunter auch Volkswagen (VW), haben in dem Riesenreich Fabriken. Auch in der Uiguren-Provinz Xinjiang, die die muslimische Volksgruppe als Ostturkestan bezeichnet. In der Region sind Millionen Uiguren und andere muslimische Volksgruppen in Umerziehungslagern interniert.
„Die Lagerinsassen werden auf unbestimmte Zeit und ohne Anklage oder Rechtsvertretung festgehalten und werden politischer Indoktrinierung unterzogen. Sie sind in unhygienischen und überfüllten Zellen untergebracht; Berichte von Folter, Nahrungsmangel, sexuellem Missbrauch und Todesfällen in den Lagern sind weitverbreitet“, schreibt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in einem ihrer Berichte.
Der Wolfsburger Autobauer Volkswagen ist mit einem Werk in Urumqi in Xinjiang aktiv. Der Konzern teilt mit, dass dieses von einer Tochtergesellschaft des nicht kontrollierten Joint-Ventures von Volkswagen mit dem chinesischen Partner SAIC Motor Corporation Ltd. in China betrieben wird. „Das Netzwerk von Werken, an denen Volkswagen in China beteiligt ist, bzw. die Volkswagen selbst betreibt, umfasst 39 Komponenten- und Fahrzeug-Werke“, erklärte der Konzern auf Anfrage von FR.de von IPPEN.MEDIA. Insgesamt sollen in diesen Werken 90.000 Personen beschäftigt sein.
Keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit in Urumqi? Prüfer schieben Klarstellung nach
Volkswagen hatte zuletzt in dem Werk in Urumqi mögliche Menschenrechtsverstöße untersuchen lassen. Die Untersuchung (Audit) führte das Berliner Beratungsunternehmen Löning durch, das auf Menschenrechtsfragen spezialisiert ist. „Wir konnten keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit bei den Mitarbeitenden finden“, teilte Firmenchef Markus Löning unserer Redaktion mit.
Dieses Audit wirft allerdings Fragen auf – auch, wéil es offenbar innerhalb der eigenen Belegschaft für Unruhe gesorgt hat. Löning musste in einer Stellungnahme auf LinkedIn klarstellen: „Das Projekt wurde von Markus Löning und Christian Ewert geleitet und unterstützt. Das technische Audit in der Anlage wurde von zwei chinesischen Anwälten durchgeführt und vor Ort von Christian Ewert überwacht. Kein anderes Teammitglied von Löning hat an diesem Projekt teilgenommen, es unterstützt oder begleitet“, heißt es darin.
Die Lage der Uiguren – und die Rolle deutscher Unternehmen
Die Menschenrechtsorganisation IGFM warf deutschen Unternehmen bereits 2022 vor, von der Ausbeutung und Zwangsarbeit der Uiguren profitieren. „Die Konzerne haben Werke und Produktionsstätten in Xinjiang, wo die chinesische Regierung seit Jahren einen Völkermord an den Uiguren und anderen ethnischen Minderheiten verübt“ urteilte die IGFM. Die Menschenrechtsorganisation fordert daher, dass diese Praxis – Profit vor Menschenrechte zu stellen – ein Ende hat.
Auch zahlreiche andere Menschenrechtsorganisation bescheinigen China schwerste Verbrechen an den Uiguren. „Die chinesische Regierung begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Uiguren und anderen turkstämmigen Muslimen in der nordwestlichen Region Xinjiang“, schreibt Human Rights Watch (HRW) auf seiner Internetseite.
Volkswagen selbst will ebenfalls nichts von Menschenrechtsverstößen oder Zwangsarbeit in ihren chiensischen Werken wissen. „Es gibt keine Hinweise auf Zwangsarbeit oder Zwangsarbeiter bei unseren chinesischen Joint Venture Partnern“, heißt es.
Uiguren stellen VW-Bericht zu Xinjiang in Frage – korrekte Prüfung „kaum durchführbar“
Uiguren hingegen halten sowohl das Audit als auch die Aussagen von Volkswagen für nicht haltbar. Eine Überprüfung der Menschenrechtslage in den chinesischen Werken sei nicht möglich. „In einer Region, in der Uiguren massiv überwacht werden und schon geringste Abweichungen von den Vorgaben der Kommunistischen Partei zu unbefristeter Internierung, Folter und schweren Misshandlungen führen, erscheint ein glaubwürdiges und unabhängiges Audit kaum durchführbar“, sagte der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa, FR.de.
Die Untersuchung der Berliner Unternehmensberaters der Menschenrechtslage in dem Werk in Urumqi entspreche offenbar nicht der Realität. „Die offenkundige Distanzierung einiger verantwortungsbewusster Mitarbeiter von der Firma Löning ist alarmierend. Sie deutet auf interne Differenzen hin, die die Glaubwürdigkeit des gesamten Audits infrage stellen“.
Isa fürchtet Missbrauch des Papiers: „Die chinesische Regierung könnte das Audit nutzen, um die wahren Zustände zu verschleiern. Das neue chinesische Spionageabwehrgesetz, das die Überprüfung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht kriminalisiert, stellt die Unabhängigkeit internationaler Auditfirmen weiter infrage, wie die Verhaftung von Mitarbeitenden der Mintz Group und Anweisungen an Staatsunternehmen, sich von großen internationalen Audit-Unternehmen zu trennen, verdeutlichen“.
China kann Audit missbrauchen – Xinjiang-Forscher stellt Volkswagen-Expertise in Frage
Auch einer der führenden Xinjiang-Forscher, der Ethnologe Adrian Zenz, berichtet von massiven Menschenrechtsverstößen und Zwangsarbeit in der Uiguren-Provinz. „Neue Akten der Polizei von Xinjiang belegen, dass Uiguren aus Umerziehungslagern direkt in Berufsbildungseinrichtungen geschickt wurden, die Jobmessen mit Volkswagen organisierten und für Abschlüsse mit Volkswagen als typischem Arbeitsziel warben“, schreibt Zenz auf X.
New Xinjiang Police Files evidence shows that Uyghurs were sent from re-education camps directly to vocational institutions that organized job fairs with Volkswagen & advertise degrees with Volkswagen as a typical work destination. One victim: the Uyghur Adiljan Hashim. /1 pic.twitter.com/ultPlL3l1C
— Adrian Zenz (@adrianzenz) December 6, 2023
Die Konsequenz sei, dass aus Umerziehungslagern entlassene Uiguren „wahrscheinlich für größere Unternehmen wie FAW-Volkswagen in Xinjiang arbeiten werden“. Auch Zenz hat der Zweifel an dem von Volkswagen in Auftrag gegebenen Audit, „da Uiguren nicht frei über ihre Erfahrungen in den Lagern/Umerziehungsmaßnahmen sprechen können“.
Ein Sprecher von Volkswagen sieht den Kommentar von Zenz als nicht nachvollziehbar an. FAW-Volkswagen sei nicht in Xinjiang tätig. Schließlich werde das Werk, wie oben bereits klargestellt, von einer Tochtergesellschaft des Joint-Ventures von Volkswagen mit dem chinesischen Partner SAIC Motor Corporation Ltd. betrieben. Es gebe dabei keine Verbindung zu FAW-Volkswagen. Erkan Pehlivan
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