„Keine Ausnahme“

„Unglaublich starker Rechtsruck“: Lehrerinnen berichten von wachsendem Extremismus an deutschen Schulen

  • Sophia Sichtermann
    VonSophia Sichtermann
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  • Jana Stäbener
    Jana Stäbener
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Der Rechtsextremismus an deutschen Schulen nimmt zu. Lehrkräfte und Experten berichten von Hakenkreuzen, Beleidigungen und erschreckenden Zuständen.

Vier Jugendliche in Jeans, schwarzen Jacken und Sneakern stehen nebeneinander. Die Spitzen ihrer rechten Daumen und Zeigefinger berühren sich, während sie die restlichen Finger strecken. Vor dem Eingang zur KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau formen sie den in der Neonazi-Szene häufig verwendeten White-Power-Gruß. Mitte April verbreitete sich ein Foto davon im Netz.

Das Bild von den Neuntklässlern aus Görlitz sorgte für viel Empörung und steht für ein zunehmendes Problem an deutschen Schulen. Eine Recherche von BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA zeigt, wie heftig Schulen in Deutschland von Rechtsextremismus betroffen sind. Lehrkräfte sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland berichten gegenüber unserer Redaktion von rechtsextremen Parolen im Klassenzimmer und Droh-E-Mails.

Lehrerin aus Ostdeutschland: „Rassistische Beschimpfungen von Schülern und von Lehrern“

Eine Lehrerin aus Ostdeutschland, die anonym bleiben möchte, erzählt BuzzFeed News Deutschland von eindeutigen Schmierereien und Aufklebern mit Symbolen der rechtsextremen Szene. Es komme zu „rassistischen, homophoben, antisemitischen, sexistischen Beschimpfungen von Schülern, teilweise sogar von Lehrern“.

Die Lehrerin sagt: „Zu öffentlichen Schulveranstaltungen werden Freunde der rechten Schülerschaft geladen, die dann durch einheitliche Kleidung und Auftreten Präsenz zeigen“. Insgesamt nehme die offene Zurschaustellung rechtsextremer Einstellungen „trotz aller Bemühungen“ zu, gleichzeitig finde allerdings eine zunehmende Sensibilisierung der Lehrerinnen und Lehrer statt. Vorfälle würden gemeldet, zudem gebe es Initiativen zu Geschichtsbewusstsein und Demokratie.

Die Schule in Görlitz, auf die die Neuntklässler von dem Foto gehen, lässt eine Anfrage unserer Redaktion unbeantwortet.

Immer mehr Lehrer und Lehrerinnen beobachten Rechtsextremismus an deutschen Schulen. (Symbolbild)

Auch in Westdeutschland sind „Hakenkreuze an den Wänden keine Ausnahme“ in Schulen

Auch in Westdeutschland nehmen rechtsextreme und demokratiefeindliche Einstellungen zu. Das zeigt unter anderem die Leipziger Autoritarismus-Studie. Die Zahl rechtsextremer Vorfälle an Schulen steigt an. In Sachsen-Anhalt etwa gab es 2024 doppelt so viele Vorfälle wie 2023. In Hessen gab es 2023 36 und 2024 120 rechtsextrem motivierte Fälle.

Gina Waibel, eine Lehrerin aus Baden-Württemberg, engagiert sich seit zwei Jahren rassismuskritisch. Die 35-Jährige berichtet von einer Verschiebung des Klimas an Schulen: „Wir erleben einen unglaublich starken Rechtsruck. Hakenkreuze an Wänden, rechtsextreme Parolen im Klassenzimmer – das ist leider keine Ausnahme“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland. Sie kritisiert auch ihre Kollegen: „Leider habe ich das Gefühl, dass viele Lehrkräfte immer noch an den Mythos der Neutralität glauben und deshalb nicht handeln“.

Waibel fordert, dass Lehrkräfte im digitalen Raum aktiv werden: „Social Media hat heute einen enormen Einfluss auf die Jugendlichen. Wenn wir als Lehrkräfte nicht mitbekommen, was dort passiert, und nicht darauf reagieren, dann überlassen wir diesen Raum den radikalen Stimmen“.

Lehrerverbandspräsident sieht Verantwortung nicht nur bei den Schulen

Der Lehrerverbands-Präsident Stefan Düll berichtet von Momenten im Schulalltag, in denen ungeplant Gesprächsbedarf bei Kindern und Jugendlichen entstehe. „Teilweise provozieren Jugendliche auch mit extremistischen Äußerungen zu politischen und gesellschaftspolitischen Themen, zum Beispiel in rassistischer oder sexistischer oder anderer diskriminierender Form.“

Lehrkräfte bräuchten daher im Studium, Vorbereitungsdienst und in der Fort- und Weiterbildung Angebote und Unterstützung, die sie darauf vorbereiteten, „gelassen und deeskalierend zu reagieren und mit schwierigen und umstrittenen Themen“ umzugehen. Projekttage, Exkursionen oder die Einladung von Experten etwa. Doch Düll sieht die Verantwortung nicht alleine bei den Lehrenden. „Schulen können nicht alleine alles leisten“, sagt er.

@frau__wolf Sorry für die schlechten Übersetzungen, der Wille zählt ✨🩷 #elternabend #schulalltag #lehrerin #lehrerleben #gesamtschule #fyp ♬ Here Comes the Sun - Relaxing Instrumental Music

Theresa Wolf ist Lehrerin in Nordrhein-Westfalen und berichtet gegenüber BuzzFeed News Deutschland ebenfalls von einem Anstieg rechter Gewalt – und warnt vor der Normalisierung rechten Gedankenguts: „Warum sollten sich Kinder und Jugendliche anders verhalten, als viele Erwachsene es ihnen vorleben?“ Das würde kein undemokratisches Handeln legitimieren, aber den zunehmenden Rechtsruck erklären. In Duisburg mussten einen Tag nach dem 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwalds aufgrund rechter Droh-E-Mails 14 Schulen geschlossen werden. „Kein medialer Aufschrei. Kein politisches Handeln“, kritisiert Wolf.

Rechtsextremismus an Schulen ist ein „gesamtdeutsches und gesamtgesellschaftliches Problem“

Dass rechtes Denken unter teils sehr jungen Menschen zunehme, deute sich seit geraumer Zeit an, sagt Peter Anhalt, Leiter des Fachbereichs Rechtsextremismus beim Violence Prevention Network. Das Netzwerk, das Workshops zu Demokratiebildung und gegen Extremismus an Schulen anbietet, bemerkt diesen Anstieg daran, dass „präventive, aber auch intervenierende Maßnahmen mehr nachgefragt“ würden, sagt Anhalt BuzzFeed News Deutschland. Für ihn ist der zunehmende Rechtsextremismus an Schulen „ein gesamtdeutsches und gesamtgesellschaftliches Problem“.

Lehr- und sozialpädagogische Fachkräfte würden sich oft überfordert fühlen. „Es gibt aber leider zu wenige Angebote, weil Projekte, die auf öffentliche Gelder angewiesen sind, gekürzt oder gestrichen werden. Wir müssen priorisieren, weil wir nicht mehr alle Anfragen bearbeiten können.“

Momentan sei oft von einer „Krise der Jugend“ die Rede. Er habe nicht das Gefühl, dass die Politik und Gesellschaft diese Krise ernst nehmen würden. „Stattdessen werden Gelder gekürzt und Angebote für jungen Menschen gestrichen. Und eben diese jungen Menschen werden von rechtsextremen Strukturen angelockt, die ihnen ein – wenn auch sehr destruktives – Angebot unterbreiten.“

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