„Größte Gefahr für Demokratie“
„Größte Gefahr für Demokratie“: Rechtsextreme ködern immer mehr Jugendliche
VonPeter Siebenschließen
„Lagebild Rechtsextremismus“ in NRW zeigt Trends für ganz Deutschland auf: Die Szene wird immer jünger und vernetzt sich.
Bibi Blocksberg für Nachwuchs-Nazis: „Lara, die blonde Rebellin“, so heißt die Instagram-Figur, die Propaganda für Rechtsextremisten macht. Das blonde Mädchen posiert in Videos, gibt Tipps, wie man die „BRD jeden Tag ein bisschen rechter machen“ kann, während sie das „White Power“-Zeichen mit der Hand zeigt. In einem Posting warnt sie vor „Ramadan-Kontrolle an Schulen“ oder klärt über angeblich „wahre Zahlen des Feuersturms von Dresden“ auf.
Lara entstammt einer KI, sie ist nicht echt. Ihre Geschichten sind auch als Taschenbuch erhältlich, etwa bei Amazon: „Mit schneeweißer Haut, blonden Haaren und rebellischer Natur versucht sie ihren Platz in der bunten Republik zu finden“, heißt es dort in der Inhaltsangabe. Und weiter: „Die Schule birgt weitere Gefahren, als sich der charmante Ali als aufdringlicher Verehrer mit rückständigem Frauenbild entpuppt.“ Lara steht für ein neues Phänomen: Die rechtsextreme Szene wird immer jünger und rekrutiert mit perfiden Mitteln ganz gezielt Jugendliche.
Rechtsextremismus in Deutschland und NRW: Deutlicher Anstieg von Straftaten
Zu dem Schluss kommt auch das Lagebild Rechtsextremismus, das das NRW-Innenministerium zusammen mit dem Landes-Verfassungsschutz vorgelegt hat. Die Tendenzen, die die Behörden beobachten, zeigen sich in der ganzen Bundesrepublik. So ist das rechtsextremistische Personenpotenzial bundesweit von 20.000 im Jahr 2014 auf aktuell über 40.000 angestiegen. Vor allem über soziale Medien wie Tiktok erreichten die Neurechten innerhalb von Sekunden Tausende Jugendliche, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellung des Lagebildes in Düsseldorf.
„Bei Rechtsextremen denken viele noch an Männer mittleren Alters mit Glatze und Springerstiefeln. Aber die rechtsextreme Szene ist jung, modern und digital“, so Reul. Auch in sogenannten Active Clubs, einem Trend aus den USA, würden die Rechten vor allem junge Menschen an sich binden. „Man trifft sich zum gemeinsamen Sportmachen, zum Paintball-Spielen, und kommt so immer mehr in Kontakt mit den rechtsextremen Ideologien.“
Derweil ist auch die Zahl der Straftaten aus dem rechtsextremen Bereich in NRW deutlich gestiegen: um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut dem Bericht hatte es 2023 noch 3549 Straftaten gegeben, 2024 waren es 5641. In vielen Fällen ging es dabei um Propagandadelikte, aber auch die Zahl der Gewaltdelikte ist gestiegen (154 gegenüber 116 im Vorjahr). Dabei werden insgesamt die Tatverdächtigen immer jünger: 2024 waren 287 von ihnen zwischen 14 und 17 Jahre alt, 2023 waren es noch 100.
Rechtsextreme Vereinigungen gründen sich im Netz und treffen sich bei „Liedern und Balladen“
Die Behörden beobachten auch die Gründung neuer Vereinigungen in den letzten Jahren, etwa den „Störtrupp“ oder „Jung und stark“. Während sich etabliertere rechtsextreme Gruppen wie „Der dritte Weg“ als elitäre Bewegung verstünden, würden sich die neuen Vereinigungen in losen Netzwerken mit Szene-Gruppen wie etwa der „Rheinlandbande“ oder „Inferno Aachen“ verknüpfen. Ähnliche Entwicklungen beobachten Expertinnen und Experten deutschlandweit.
Häufig schließen sich die Mitglieder erst in Online-Gruppen oder in Computerspiele-Chats zusammen und treffen sich dann auch im analogen Raum. Etwa bei sogenannten „Lieder und Balladen“-Abenden, die es in ganz Deutschland gibt. In NRW hatten die Behörden im letzten Jahr 28 solcher Musikveranstaltungen, auf denen rechte Propaganda verbreitet wird, auf dem Schirm.
AfD-Ergebnis alarmierend: Rechtsextremismus „größte Gefahr für Demokratie“
Der neue Rechtsextremismus sei die „größte Gefahr für unsere Demokratie“, machte der Innenminister klar. Die Szene gehe heute sehr viel strategischer vor und präsentiere Rechtsextremismus als eine „Erlebniswelt“. Ein Grund für die Behörden, das Lagebild Rechtsextremismus zu erstellen, lag auch in den letzten Ergebnissen der Bundestagswahl. „20 Prozent haben die AfD gewählt, eine Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet wird. Das muss uns zu denken geben“, so Reul.
Über Türöffnerthemen wie die Migrationsdebatte würden die Rechtsextremen ihre Themen in die Mitte der Gesellschaft tragen. „Unsere Geschichte in Deutschland sollte uns ein Lehrmeister sein, dass wir das nicht zulassen“, sagte der NRW-Innenminister.
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