Israelischer Armeesprecher

Israel droht Fünf-Fronten-Krieg: „Existenzkampf der jetzigen israelischen Generation“

  • Max Müller
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Hamas, Hisbollah, Syrien, Westjordanland und der Iran: Israel hat viele Feinde – und schlägt zurück. Was ein möglicher Mehrfrontenkrieg bedeutet, erklärt ein Armeesprecher.

Über 300.000 Reservisten hat Israel für den Kampf gegen die Hamas mobilisiert. „Ich bin einer von ihnen“, sagt Arye Sharuz Shalicar IppenMedia am Telefon. Er ist Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Im Zentrum des israelischen Interesses steht momentan der Gazastreifen – zumindest noch. Denn Shalicars Blick und der des Militärs geht bereits in den Norden des Landes. „Dort gab es mehrere Zwischenfälle, wobei Terroristen aus der Luft und am Boden angegriffen haben. Mindestens drei israelische Soldaten sind dabei getötet worden“, sagt Shalicar. Alarmzeichen für einen drohenden Mehrfrontenkrieg? „Wenn die Hisbollah im Norden aufspringt, befinden wir uns in einer Zwei-Fronten-Situation.“

Doch nicht nur aus dem Norden wird Israel bedroht. „Für Israel ist die gegenwärtige Lage ein sicherheitspolitischer Albtraum“, sagt Ulrich Schlie, Experte für internationale Politik unserer Redaktion. „Neben dem Terror der Hamas haben wir in den letzten Tagen Raketenangriffe auf israelische Stellungen aus dem benachbarten Syrien und von der Hisbollah im Libanon gesehen.“ Eine weitere Eskalation der Auseinandersetzungen sei leider nicht auszuschließen, da die terroristischen Netzwerke aufs engste miteinander verflochten sind. Dazu komme eine weitere, übergeordnete Gefahr. „Vieles deutet darauf hindeutet, dass der Iran die Terroraktivitäten begünstigt und ermuntert“, so Schlie.

Zu den Personen

Arye Sharuz Shalicar, Jahrgang 1977, ist Sprecher der israelischen Armee. Aufgewachsen ist er in Deutschland. In Berlin hat er Politikwissenschaften studiert – ein Studium, dass Shalicar in Jerusalem abschloss. Eigentlich legte er seine Tätigkeit als Sprecher des Militärs 2017 nieder, doch im Zuge des Hamas-Angriffs wurde er reaktiviert.

Ulrich Schlie, Jahrgang 1965, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik (englisch: Academy of International Affairs NRW, Geschäftsführende Direktorin: Dr. Mayssoun Zein Al Din), Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn sowie Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS).

Israels Krieg gegen den Hamas-Terror: Eskalation durch Mehrfrontenkrieg

Von der Gefahr eines Fünf-Fronten-Krieges möchte der Professor für Sicherheits- und Strategieforschung trotzdem noch nicht sprechen. Und dennoch: „Es genügt schon, dass Israel an drei Fronten Ungemach droht und die Lage unübersichtlich ist, weil auch Russland ein großes Interesse an einer weiteren Eskalation im Nahen Osten hat.“ Dazu würden Querverbindungen zwischen Hamas und Hisbollah die Gefahr einer zusätzlichen Eskalation erhöhen.

Eine israelische Haubitze feuert vom Süden Israels aus auf den Gazastreifen.

Aufgrund der vielfältigen Bedrohung ist deswegen auch für Armeesprecher Shalicar klar: „Wir reden jetzt schon von einem Existenzkampf der jetzigen israelischen Generation, so wie es vor 50 Jahren mal im Jom-Kippur-Krieg und 1948 im Unabhängigkeitskrieg war“, sagt Shalicar.

Leid im Gazastreifen: Wie stabil ist die Solidarität?

Dabei sei noch nicht einmal in Israel selbst sei die Gefahr gebannt, erklärt Shalicar. „Es gab gestern wieder Feuergefechte mit Terroristen, die aus dem Gazastreifen am Samstag nach Israel eingedrungen sind und sich seitdem hier verschanzt haben. Weiterhin werden dutzende Raketen auf Israel abgefeuert, die auch Häuser getroffen und Menschen verletzt haben.“

Angriffe fliegt auch das israelische Militär. „Die Ziele sind die Hamas oder dem islamischen Dschihad zugeordnet“, erklärt Shalicar. „Dazu zählen Waffendepots und Terrorzellen – aber auch zivile Infrastruktur, die für terroristische Zwecke genutzt werden.“ Genau an diesem Punkt wird vielen Beobachtern, auch deutschen Politikern, Angst und Bange. Wie stabil ist die Solidarität mit Israel, wenn ununterbrochen schreckliche Bilder aus dem Gazastreifen in den sozialen Medien zu sehen sind?

„Israel tut alles, um Zivilisten zu schützen“

Shalicar hat dazu eine klare Meinung: „Die allerschlimmsten Bilder gab es am letzten Samstag. Wir haben Terroristen gesehen, die teilweise barbarischer vorgegangen sind als der Islamische Staat. Statt die eigene Bevölkerung zu schützen, indem man sie beispielsweise nach Ägypten bringt, benutzt die Hamas sie als menschliche Schutzschilder. Israel tut alles, um Zivilisten nicht zu schädigen.“ Auf mehreren Wegen versuche man, sie zu schützen: „Eine Möglichkeit sind direkte Anrufe bei den Familien. Dazu verteilen wir Flyer aus der Luft. Die dritte Möglichkeit nennt sich ‚Knocking on the roof‘, dabei wird nicht explodierende Munition abgeworfen, um zu warnen.“

Und dennoch wird all das nicht verhindern, dass Zivilisten sterben, darin sind sich Militärexperten einig. „Wenn die Hamas die Menschen schützen wollte, dann könnten sie die Zivilbevölkerung an einen bestimmten Ort bringen, den wir nicht angreifen würden“, sagt Shalicar. „Das wäre eine Art inoffizieller Deal, doch genau das will die Hamas nicht.“

Rubriklistenbild: © Ohad Zwigenberg/dpa