Einigung auf Koalitionsvertrag

Reaktionen zum Koalitionsvertrag: „Verantwortungslos für Deutschland“, „Merzession“, „Valium“ für Europa

  • Nils Thomas Hinsberger
    VonNils Thomas Hinsberger
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Die Vorsitzenden von Union und SPD feiern ihren Durchbruch bei den Koalitionsverhandlungen. Aus anderen Parteien kommt heftiger Gegenwind.

Update, 20.15 Uhr: AfD-Chefin Alice Weidel hat den Koalitionsvertrag von Union und SPD im ZDF erneut kritisiert. Zudem sprach sie sich gegen eine Zusammenarbeit mit der Union unter einem Kanzler Friedrich Merz aus.

Update, 19.32 Uhr: Mehrere Umweltverbände befürchten mit dem neuen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD Rückschritte im Kampf gegen den Klimawandel. „Union und SPD haben einen Hochrisiko-Vertrag für das Klima und den Naturschutz abgeschlossen. In vielen Bereichen ist ein Rückschlag zu befürchten“, urteilt etwa der Vorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND).

Neubauer kritisiert Koalitionsvertrag von Union und SPD scharf

Update, 19.21 Uhr: Die Klimaaktivistin und Grünen-Politikerin Luisa Neubauer kritisiert einen mangelnden Bezug zum Klimaschutz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags von Friedrich Merz. „Merz stellt den Koalitionsvertrag vor und spricht von jungen Menschen & ihren Zukunftsängsten - um dann exakt kein Wort zum Klima zu sagen“, so Neubauer in einem Beitrag auf X. Die kommende Legislaturperiode werde „die heißeste“ in der deutschen Geschichte. „Aber das ist offensichtlich noch nicht bei allen angekommen.“

Update, 18.55 Uhr: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hält den Koalitionsvertrag von Union und SPD für eine „gute Basis, um Deutschland in den nächsten vier Jahren wieder nach vorne zu führen“. Die möglichen Regierungspartner würden ein „Zeichen für ein souveränes, sicheres und soziales Deutschland“ setzen.

Erstmeldung: Berlin – Markus Söder hat den Koalitionsvertrag zwischen den Unionsparteien CDU/CSU und der SPD als „Antwort auf die Probleme unserer Zeit“ bezeichnet. Diesen Optimismus über das 146 Seiten lange Dokument teilen bei Weitem nicht alle. Vor allem von den künftigen Oppositionsparteien hagelt es Kritik an dem Koalitionsvertrag der möglichen schwarz-roten Regierung.

Als „komplett mutlos“ hat Linken-Chefin Ines Schwerdtner den Koalitionsvertrag des wahrscheinlichen Bundeskanzlers Friedrich Merz genannt. Das Dokument präsentiere nach wochenlangen Verhandlungen eine „Koalition der Ignoranz und Hoffnungslosigkeit“. In den sozialen Medien zeigten Schwerdtner und die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek ein alternatives Deckblatt des Vertrags. Statt „Verantwortung für Deutschland“ steht auf einem von Schwerdtner auf X geteilten Bild nun „Verantwortungslos für Deutschland“.

Reichinnek übte ebenfalls scharfe Kritik an dem Koalitionsvertrag. „Das ist nichts anderes als eine Fortschreibung von Altersarmut“, sagte sie mit Blick auf das Vorhaben von Union und SPD, das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren. „Anstatt dieses Elend zu zementieren, muss das Rentenniveau endlich wieder auf 53 Prozent erhöht werden.“

Diese bekannten Politiker sitzen jetzt nicht mehr im Bundestag

Christian Lindner
Die FDP ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und scheidet damit aus dem Bundestag aus. Noch 2017 hatte Parteichef Christian Lindner sie mit neuem Image und einem zweistelligen Ergebnis nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition wieder ins Parlament geführt – doch die Rechnung ging dieses Mal nach Ampel-Bruch und Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit der Partei nicht auf.  © imago
Johannes Vogel, Fraktionsgeschäftsführer der FDP
Dem Wahlergebnis fiel damit auch Johannes Vogel zum Opfer. Er war zuletzt Fraktionsgeschäftsführer der FDP im Bundestag sowie stellvertretender Bundesvorsitzender. Durch das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zieht auch er nicht wieder in den Bundestag ein.  © Rabea Gruber/dpa
FDP-Politikerin und frühere JuLi-Chefin Ria Schröder
Ria Schröder gilt als eine der personellen Hoffnungen der Freien Demokraten. Die Juristin war Vorsitzende der Jugendbewegung Junge Liberale und ist Mitglied des FDP-Bundesvorstands.  © Hannes P. Albert/dpa
Früherer FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
Bijan Djir-Sarai saß ebenfalls für die FDP im Bundestag und war bis November 2024 ihr Generalsekretär. Nach dem Ampel-Bruch trat er von der Position zurück.  © Sebastian Gollnow/dpa
Linda Teuteberg, FDP-Spitzenkandidatin in Brandenburg
Linda Teuteberg hatte viel vor mit der FDP, als sie 2019 Generalsekretärin wurde. Von diesem Amt entfernte Christian Lindner sie jedoch zugunsten Volker Wissings schon vor dem Ende ihrer Amtszeit wegen Streitigkeiten. Auch sie ist durch das schlechte Abschneiden der FDP bei der Bundestagswahl 2025 nicht mehr im Bundestag vertreten. © Bernd von Jutrczenka/dpa
Wolfgang Kubicki (FDP)
Auch den stellvertretenden Bundesvorsitzenden und FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki werden wir in dieser Legislaturperiode wegen des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde nicht im Deutschen Bundestag sehen.  © Michael Kappeler/dpa
Christian Dürr, Fraktionschef der FDP im Bundestag
Christian Dürr ist Mitglied im Bundesvorstand der FDP und war zuletzt Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Bundestag. Auch er scheidet mit seiner Partei wegen ihres schlechten Wahlergebnisses aus dem Bundestag aus.  © imago
Marco Buschmann, FDP
Marco Buschmann war in der Ampel-Koalition als Bundesjustizminister tätig. Mit dem Bruch der Ampel gab er das Amt jedoch an Volker Wissing ab, der nach dem Zerwürfnis der Koalition aus der Partei austrat.  © Michael Kappeler/dpa
Volker Wissing, ehemals FDP und mittlerweile parteilos
Volker Wissing, in der Ampel-Koalition Verkehrsminister und später zusätzlich Justizminister, ließ zwar nach dem Scheitern der Ampel seine Partei hinter sich. In den neuen Bundestag zieht der jetzt parteilose Rechtsanwalt aber trotzdem nicht ein. Er möchte sich aus der Politik zurückziehen und in seiner Kanzlei arbeiten. © Hannes P Albert/dpa
Jens Teutrine, früherer Chef der Jungen Liberalen
Jens Teutrine war wie Ria Schröder auch Chef der Jungen Liberalen, bevor er in den Bundestag einzog. Mit dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag endet auch sein Mandat. © Serhat Kocak/dpa
Bettina Stark-Watzinger, ehemalige FDP-Bundesbildungsministerin
Ein weiteres prominentes Gesicht der Ampel-Koalition verlässt den Bundestag: Bettina Stark-Watzinger, die während der letzten Legislaturperiode Bundesbildungsministerin war.  © Christine Schultze/dpa
Sahra Wagenknecht, BSW-Gründerin und frühere Linken-Chefin
Politisch eklatant unterschiedlich, eint sie doch dasselbe Schicksal: Wie die FDP scheiterte auch das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde – und zwar äußerst knapp. Einst Linken-Chefin, gründete Sahra Wagenknecht Anfang 2024 das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Trotz des aus dem Stand starken Abschneidens bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zieht das Bündnis nach der Bundestagswahl knapp nicht ins Parlament ein.  © Frank Ossenbrink/imago
Amira Mohamed Ali, frühere Linken-Politikerin, zum BSW gewechselt
Amira Mohamed Ali war einst Abgeordnete der Linken, gründete jedoch zusammen mit Sahra Wagenknecht das BSW. Sie ist Parteivorsitzende – und nicht mehr im Bundestag. © Christoph Hardt/imago
Sevim Dagdelen, frühere Linken-Politikerin, zum BSW gewechselt
Auch Sevim Dagdelen entschied sich zum Parteiaustritt aus der Linken und zum Eintritt ins BSW, das bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und somit nicht im Bundestag vertreten ist.  © imago
Grünen-Politiker Cem Özdemir
Die Grünen verlieren nach der Bundestagswahl 2025 sogar ein Ministergesicht: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wird nicht mehr im Parlament vertreten sein. Jedoch entschied er das bereits selbst lange vor der Wahl. Er will der Bundespolitik den Rücken kehren und strebt in seiner Heimat Baden-Württemberg das Amt des Ministerpräsidenten an. © Hannes P Albert/dpa
Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar
Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar dürfte über die Grenzen Berlins hinaus nicht besonders bekannt gewesen sein – bis Ende 2024 Vorwürfe der Belästigung gegen ihn laut wurden. Eigentlich wollte er in seinem Wahlkreis Berlin-Pankow wieder zur Bundestagswahl antreten, jedoch entschied sich der Kreisverband bei einer erneuten Abstimmung stattdessen für Julia Schneider, die nun in den Bundestag einzieht. Die Vorwürfe hatten sich im Übrigen als falsch erwiesen.  © imago
Grünen-Politikerin Tessa Ganserer
Tessa Ganserer ist eine der bekanntesten Trans*-Politikerinnen Deutschlands. Im Bundestag setzte sich die Grüne vor allem für die Rechte queerer Menschen ein. Dass sie in der 21. Wahlperiode nicht mehr im Parlament sitzt, war ihre eigene Entscheidung. Sie trat nicht mehr als Kandidatin an. Wegen des „menschenverachtenden Hasses“, der ihrer Person entgegengebracht worden sei, wolle sie ihrem Leben noch einmal eine andere Richtung geben. © Dwi Anoraganingrum/imago
Grünen-Politikerin Renate Künast
Auch die prominente Grünen-Politikerin Renate Künast wird nicht mehr im neuen Bundestag vertreten sein – ebenfalls aus freien Stücken. Sie wollte nicht mehr antreten, „um Platz für Jüngere zu machen“, hatte Künast im Sommer 2024 erklärt. Vorher war sie bereits Landwirtschaftsministerin, Grünen-Fraktionschefin und Parteivorsitzende gewesen.  © Christoph Soeder/dpa
SPD-Politikerin Michelle Müntefering
Auch bei der SPD verlassen bekannte Gesichter den Bundestag. Michelle Müntefering (SPD), Ehefrau von Franz Müntefering, sitzt ebenfalls nicht mehr im Parlament. Das war jedoch schon vor der Bundestagswahl klar: Die SPD hatte nicht mehr sie, sondern Hendrik Bollmann für ihren Wahlkreis Herne - Bochum II nominiert. © M. Popow/imago
SPD-Politiker und ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, Michael Müller
Michael Müller (SPD) war einst Regierender Bürgermeister von Berlin und zog 2021 in den Bundestag ein. Damals hatte er in seinem Wahlkreis Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf die meisten Stimmen bekommen, diesmal landete er hinter Lukas Krieger (CDU) und Lisa Paus (Grüne) nur auf dem dritten Platz und verpasste damit sein Ticket ins Parlament.  © Bernd von Jutrczenka/dpa
Der frühere SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
SPD-Promi Kevin Kühnert hatte eine steile politische Karriere hingelegt. Er war Vorsitzender der SPD-Jugendorganisation Jusos, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD und seit 2021 Generalsekretär. Von dem Amt trat er 2024 zurück und kündigte an, sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückzuziehen und nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen.  © Michael Kappeler/dpa
SPD-Politiker Michael Roth
Der hessische SPD-Politiker Michael Roth entschied sich ebenfalls weit vor der Wahl, nicht mehr für den Bundestag anzutreten. In seinem Fall spielte auch sein Einsatz für die Ukraine eine Rolle, der nicht allen in der Partei gefallen habe, und er habe sich mit der Zeit von den Sozialdemokraten und dem Politikbetrieb entfremdet. © imago
CDU-Politiker Helge Braun
Trotz ihres Wahlsiegs verliert auch die Union ein bekanntes Gesicht: Helge Braun war unter Angela Merkel Kanzleramtschef. Ende 2024 kündigte der Arzt aus Gießen an, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen.  © Kay Nietfeld/dpa
CSU-Politiker Peter Ramsauer
Auch aus der Schwesterpartei CSU verschwindet eine bekannte Persönlichkeit: Der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer scheidet aus dem Bundestag aus – auf eigenen Wunsch war er nicht mehr angetreten. © Michael Kappeler/dpa
Susanne Hennig-Wellsow, Die Linke
Auch die Linke verbüßt trotz überraschend starkem Wahlergebnis Abgänge: unter anderem Susanne Hennig-Wellsow. Die frühere Bundesparteivorsitzende ist nicht mehr zur Bundestagswahl angetreten. Sie wollte sich beruflich etwas Neuem widmen. © Frederic Kern/imago

Ein vernichtendes Urteil treffen auch die Grünen-Parteichefs Felix Banaszak und Franziska Brantner. „Dieser Klamauk, den wir da gerade gesehen haben, der wird der Lage nicht gerecht“, erklärte Banaszak, nachdem die Parteichefs von Union und SPD – Friedrich Merz, Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken – ihren ausgehandelten Koalitionsvertrag am Mittwoch (9. April) vorgestellt hatten. Auf keine der aktuellen Krisen biete das Papier „auch nur den Hauch einer Antwort“, so der Grünen-Chef.

Brantner zeigte sich ebenfalls enttäuscht von dem Vertrag für eine künftige Regierung. Dieser sei „Valium“ für Europa. Es finde sich nichts in dem Schreiben, „wie wir europäisch bei der Verteidigung vorankommen wollen, wie wir bei den Technologien an der Spitze dabei sein wollen, wie wir unseren Binnenmarkt stärken.“ Union und SPD warf sie Feigheit vor dem amtierenden US-Präsidenten Donald Trump vor. Der sorgt gerade mit seiner aggressiven Zollpolitik für ein weltweites wirtschaftliches Chaos.

Nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag hagelt es Kritik an Union und SPD.

Zudem kritisierte Brantner, dass junge Menschen bei den Themen Rente und soziale Sicherung im Stich gelassen werden würden. Diese Themen seien in Kommissionen vertagt worden. Und statt den von der Union angekündigten Bürokratieabbau durchzuführen, soll nun ein neues Ministerium entstehen. „Diese Koalition hat Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh – und junge Menschen bleiben auf der Strecke“, urteilte die Grünen-Politikerin.

Weidel bemängelt angeblich fehlende Migrationswende – AfD poltert gegen Koalitionsvertrag

Für AfD-Chefin Alice Weidel zeige der Koalitionsvertrag, dass eine Bundesregierung unter Friedrich Merz keine grundlegenden Änderungen umsetzen werde. Die Vorsitzende der in Teilen rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten Partei bemängelte in einer Pressekonferenz vor allem, dass Union und SPD keine „Migrationswende“ vollziehen würden. Im Koalitionsvertrag werden beispielsweise der Stopp des Familiennachzugs, die Begrenzung der Migration, die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer und eine „Rückführungsoffensive“ als Maßnahmen für einen „konsequenteren Kurs in der Migrationspolitik“ genannt.

Ebenso kritisierte Weidel, dass Union und SPD „kein Ende der grünen Deindustrialisierung“ anstreben würden. Die hohen Energiepreise würden nicht angegangen, so die AfD-Chefin. Sie verwies zudem darauf, dass ihre Partei derzeit in Umfragen erstmals mit der CDU gleichauf liegt.

Wagenknecht spricht von „Merzession“ – FDP glaubt nicht an versprochenen „Politikwechsel“

Kritik kam auch von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht. „Der Koalitionsvertrag gibt keine Antwort auf Wirtschaftskrise und Handelskrieg“, erklärte die ehemalige Linkenpolitikerin am Mittwoch. „So droht ein drittes und viertes Rezessionsjahr unter Schwarz-Rot: die Merzession.“ Sie forderte „vernünftige Abgeordnete“ der möglichen Koalitionsparteien auf, den Koalitionsvertrag noch zu stoppen.

FDP-Politiker Christian Dürr sieht in dem Koalitionsvertrag die Grundlage für eine mutlose Regierung. „Mit dem Koalitionsvertrag steht es schwarz auf weiß: Mit Friedrich Merz und seiner schwarz-roten Koalition bleibt der versprochene Politikwechsel aus“, sagte er gegenüber der Deutschen-Presseagentur. (nhi mit Agenturen)

Rubriklistenbild: © Michael Kappeler/dpa