Stärkste Kraft
So wird die AfD von der stärksten Kraft zur bedeutungslosen Mini-Partei
VonSophia Sichtermannschließen
Die Union verliert Rückhalt, die AfD legt zu. Grund ist laut Experten vor allem das gebrochene Schuldenversprechen. Der Vertrauensverlust wirkt tief.
Update vom 10. April 2025, 16:18 Uhr: Die AfD liegt in einer aktuellen Umfrage erstmals vor der Union und ist gleichzeitig zum ersten Mal stärkste Kraft in einer Sonntagsfrage. Laut der Erhebung des Marktforschungsunternehmen Ipsos kommt die AfD in der Zustimmung der Befragten auf 25 Prozent und die Union auf 24 Prozent. Die SPD erreicht unverändert zum Vormonat 15 Prozent, Grüne und Linke kommen jeweils auf 11 Prozent.
Originalmeldung vom 8. April 2025, 19.43 Uhr: Eine neue Umfrage des Insa-Meinungsforschungsinstituts zeigt: Die Union und die AfD liegen in der Zustimmung der Befragten mit je 24,5 Prozent gleichauf. Für die AfD ist dies ein Erfolg, der Zustimmungswert ist ein Allzeithoch. Für die Union ist es das schlechteste Ergebnis seit drei Jahren. Bei der Bundestagswahl Ende Februar erreichten CDU/CSU 28,5 Prozent der Stimmen, während die AfD auf 20,8 Prozent kam. Nun haben sich die Parteien in der Wählerzustimmung angenähert – wie kommt es dazu?
Die Union befinde sich zunehmend in einer Vertrauenskrise: „Die AfD profitiert am meisten vom Narrativ der Wählertäuschung, das an der Union klebt und von dem sie sich nicht so einfach befreien kann“, sagt der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. „Wenn man im Wahlkampf eine harte Linie gegen die Grünen fährt, gestützt von einer CSU-Kampagne, und nur zwei Tage später die Fortsetzung der Schuldenpolitik übernimmt, für die man die Grünen immer wieder scharf angegriffen hat, dann sorgt das für massive Irritationen“, erklärt der Experte.
Vertrauenskrise in der Union, AfD im Aufwind: Experte sieht Kehrtwende bei Schuldenpolitik als Hauptgrund
Die AfD würde sich vom Vertrauensverlust der anderen Parteien nähren, wie der Experte erläutert: „Jetzt bekommt sie auch noch frei Haus ein Anschauungsbeispiel dafür, dass man der Union nicht trauen kann.“ Lange hat die Union Investitionen in Infrastruktur oder den Klima- und Transformationsfonds abgelehnt und stattdessen an der Schuldenbremse festgehalten. Der gemeinsame Beschluss der designierten Regierungsparteien SPD und CDU, ein Sondervermögen einzurichten, ist eine Abkehr vom bisherigen Kurs der Union. „Diese abrupte Kehrtwende ist Wasser auf die Mühlen der AfD“, sagt Lembcke.
Die Erzählung der Union, dass die internationale Lage eine schnelle Kehrtwende beim Schuldenkurs erfordere, sei wenig überzeugend. Die Sorge, dass Europa die Unterstützung der Ukraine nach einem möglichen Rückzug der USA ausgleichen müsse, sei nicht neu: Seit Trumps Wahlkampf sei das bekannt. Die AfD würde seit jeher behaupten, dass alle anderen Parteien lügen würde. „Jetzt kann sie glaubwürdig den Vorwurf der Verlogenheit der deutschen Politik vorbringen“, sagt Lembcke BuzzFeed News Deutschland.
Wählertäuschung durch die CDU? Politikwissenschaftler erkennt Strategieversagen der Union
Die AfD würde die Enttäuschung der Wähler auffangen, denen von der Union ein Politikwechsel versprochen wurde – doch die diesen offenbar nicht liefern könne. „Wenn sich dieser Eindruck verstärkt, dann ist der aktuelle Einbruch um drei Prozentpunkte nur ein Anfang“, sagt der Experte. Die CDU sei eine der letzten Volksparteien Europas, doch auch als solche „nicht vor Schwindsucht geschützt. Wählerverlust, Mitgliederverlust, Vertrauensverlust – das hängt alles zusammen.“ Die SPD könne davon ein Lied singen, erklärt Lembcke. „Die strudelte jahrelang nach unten, bis sie auf ihrem jetzigen Tiefpunkt angekommen war. Vor einem ähnlichen Schicksal ist die Union nicht gefeit.“
CDU im Abwärtssog: Experte warnt vor Absturz wie bei der SPD – „nicht vor Schwindsucht geschützt“
Was müsste passieren, um die erfolgreiche Entwicklung der AfD zu stoppen? Die Antwort könnte unter anderem in einer Mentalitätsänderung liegen. „Um der AfD das Wasser abzugraben, müsste man erstens die Migrationsfrage stabil lösen, sodass dieser Nährboden verschwindet. Und zweitens müsste es einen Mentalitätswandel geben“, sagt Lembcke. Der Populismus, von dem die AfD lebe, würde sich vor allen Dingen aus dem allgemeinen Gefühl in Deutschland speisen, „dass alles den Bach runtergeht“, und dass „der Staat nicht handlungsfähig ist. Wehrunfähig, überreguliert, ineffizient.“
Es gehe um „kleine Erfolge, die zeigen: Es geht doch. Wir kommen langsam und mühsam wieder raus aus dem Schlamassel.“ Selbst ein Sport- oder Massenereignis könne eine Rolle spielen, „bei dem man sieht: Es geht auch anders.“ Der Gereiztheit und schlechten Laune müsse etwas entgegengesetzt werden. Die AfD sei gut darin, das „Dunkle, Graue und Schlechte“ zu sehen. Viele kleine Puzzlestücke könnten dazu beitragen, den „Nährboden für den Populismus auszutrocknen.“ Denn dieser lebe stark vom Gejammer und Genöle, erklärt der Politikwissenschaftler.
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