Mutmaßliche Saboteure aus Russland

Mutmaßliche Putin-Spione verhaftet: Spur führt nach Donezk – zeigt Bayreuth ein neues Terror-Problem?

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
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Saboteure sollen in Diensten Russlands Attacken in Deutschland geplant haben. Davor warnen Sicherheitsexperten seit Wochen – und vor einer weiteren Gefahr.

Berlin – Erneut zeig sich: Die Sorge vor russischen Angriffen in Deutschland ist nicht abstrakt. Im nordbayerischen Bayreuth hat die Polizei am Donnerstag (18. April) zwei Männer unter dem Verdacht der Anschlags-Vorbereitung festgenommen. Die beiden Russlanddeutschen sollen US-Stützpunkte ausgespäht und Anschläge auf militärische Transportwege geplant haben – laut Innenministerin Nancy Faeser (SPD), um Ukraine-Hilfen zu untergraben.

Verdächtiger Russlanddeutscher soll in der „Volksrepublik Donezk“ gegen die Ukraine gekämpft haben

Inzwischen zeichne sich ab, dass es nicht nur um klassische Spionage, sondern auch um ein neues Terror-Phänomen geht, sagt der Terrorismus-Experte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Berichten zufolge wird zumindest einer der beiden Verhafteten auch der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtigt: Er soll in der Miliz der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ gekämpft haben, die die Bundesregierung als Terrororganisation einstuft. Zu Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs 2014 war die Scheinrepublik auf ukrainischem Boden ausgerufen und später von Russland annektiert worden.

„Also ist dies sowohl ein Spionage- als auch ein Terrorismusthema und beleuchtet jetzt öffentlich das Problem, dass wir viele deutsche Staatsangehörige haben, welche aufseiten Russlands und der Separatisten kämpfen“, so Schindler. Sicherheitsexperten warnen seit Wochen vor solchen Attacken und machen klar: Die Zahl von Sabotageakten wird bald deutlich steigen. Deutschland solle sich vorbereiten.

Saboteure in Bayreuth festgenommen: Aktionen, die verunsichern sollen

Erst Ende März hatte das Geheimdienstgremium des Bundestages die Regierung aufgefordert, das Land besser gegen russische Einflussoperationen zu wappnen. Auch die CDU-Innenexpertin Serap Güler hatte im Interview mit IPPEN.MEDIA vor Angriffen in Deutschland gewarnt.

Gemeint sind konzertierte Aktionen, die die Gesellschaft spalten und verunsichern sollen, sowie Ausspähungen und auch physische Attacken. „Die gezielte Nutzung von Desinformationskampagnen ist schon seit längerem Teil der russischen Strategie, welche darauf zielt, soziale Spannungen in Europa und Deutschland zu erkennen und auszuweiten“, so Terror-Experte Schindler.

Sicherheitsexperten: Zahl von Desinformationskampagnen aus Russland wird deutlich zunehmen

Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Der „Fall Lisa“ von 2016. Damals war über Teile der russischsprachigen Community in Deutschland eine Falschmeldung über eine angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens durch einen „Südländer“ verbreitet worden. In Russland hatte das für ein gewaltiges Medienecho gesorgt. Später hatten sich die Vorwürfe als Fake-News herausgestellt. Solche Kampagnen werde es wohl sehr bald wieder zuhauf geben, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Nawalny verlängert die Liste der Opfer Putins – ein Überblick

Alexej Nawalny
Alexej Nawalny war über Jahre der markanteste Kopf der russischen Opposition. Schon früh prangerte der Rechtsanwalt das Machtlager von Präsident Wladimir Putin offen als „Partei der Gauner und Diebe“ an.  © Andrei Zhilin/afp
Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garry Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin.
Wahlen 2012 in Russland: Nawalny protestiert gemeinsam mit Schach-Großmeister Garry Kasparow (l.) für faire Wahlen in Russland – am Ende gewann Wladimir Putin. © Anatoly Maltsev / dpa
Alexej Nawalny
2013 trat er als Bürgermeisterkandidat in Moskau an und erreichte mit 27 Prozent der Stimmen den zweiten Platz. Später organisierte er Massenproteste im ganzen Land, besonders aber in Moskau. 2018 wollte Nawalny selbst Präsident werden, doch die Justiz schob ihm einen Riegel vor. Wiederholt wurde er wegen Betrugs- und Diebstahlsvorwürfen vor Gericht gestellt und verurteilt. © Kirill Kudryavtsev/afp
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei.
Nawalny – damals bereits sozusagen der Superstar der Protestbewegung in Russland – mit seiner Ehefrau Julija, vor Gericht. Nach seinen Protesten kam er damals vorerst frei. © Valentina Svistunova / dpa
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro.
Kreml-Kritiker Nawalny 2017 nach einer Farbattacke vor seinem Büro. © Evgeny Feldman / dpa
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden.
Nawalny vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2018. Dort war Russland zuvor wegen Festnahmen des Kreml-Kritikers verurteilt worden. © Jean-Francois Badias / dpa
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen.
Ein großes Portrait von Alexej Nawalny mitten in St. Petersburg. Nach nur wenigen Minuten ließ man es wieder überstreichen. © Alexander Demianchuk / Imago
Alexej Nawalny
Im August 2020 brach Nawalny bei einer Reise zusammen und fiel ins Koma. Grund war eine Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok, wie Untersuchungen an der Charité in Berlin bewiesen. © Instagram account @navalny/afp
Alexej Nawalny
Im Januar 2021 kehrte Nawalny nach Russland zurück, wo er erneut vor Gericht gestellt und unter anderem wegen angeblichem „Extremismus“ zu 19 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Im Dezember 2023 folgte die Verlegung in ein Lager hinter dem Polarkreis. Am 16. Februar 2024 starb Nawalny nach Justizangaben in dem Straflager. Er sei nach einem Hofgang zusammengebrochen, teilte die Gefängnisverwaltung mit.  © Vera Savina/afp
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben
Am 16. Februar 2024 kommt überraschend dann die Info aus Russland, Nawalny sei im Strafgefangenenlager gestorben. Weltweit wird um den Kreml-Kritiker getrauert. © IMAGO/Vuk Valcic / ZUMA Wire
Jewgeni Prigoschin
Jewgeni Prigoschin war in Russland als skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit bekannt. Er und Putin kannten sich lange. Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb war Prigoschin, der mehrere Jahre wegen Raubs in Haft saß, auch als „Putins Koch“ bekannt. Niemand sonst in Russland traute sich solche Kritik wie Prigoschin © ITAR-TASS/Imago
Jewgeni Prigoschin
Über Monate hinweg legte sich Jewgeni Prigoschin mit der Militärführung in Moskau an. Immer wieder warf der Chef der russischen Privatarmee Wagner dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab der Armee vor, Präsident Wladimir Putin zu belügen. Mit einem bewaffneten Aufstand seiner Privatarmee forderte Prigoschin aber auch Putin selbst heraus. © Sergey Pivovarov/Imago
Jewgeni Prigoschin
Nach seinem gescheiterten Aufstand sahen Fachleute den Söldnerchef aber dem Tode geweiht. Kremlchef Putin hatte die Kämpfer um seinen Ex-Vertrauten als Verräter bezeichnet. Tatsächlich starb Prigoschin zwei Monate nach seiner Meuterei gegen die russische Staatsmacht im August 2023 bei einem Flugzeugabsturz in Russland. © Imago
Boris Nemzow
Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow galt als einer der schillerndsten und mutigsten Politiker Russlands. Feinde machte er sich vor allem mit seiner Kritik an der Ukraine-Politik von Kremlchef Wladimir Putin. Er wurde zur Galionsfigur der zersplitterten Opposition und galt als Unterstützer der Richtung Westen strebenden Ukraine. © Oxana Onipko/afp
Boris Nemzow
Nemzow wurde im Februar 2015 durch mehrere Schüsse in den Rücken aus einem Auto heraus erschossen. Der Mord wirft noch immer viele Fragen auf. Die EU drängte Russland wiederholt dazu, den Fall weiter aufzuklären. Ein Gericht in Moskau verurteilte 2017 den mutmaßlichen Mörder und vier Komplizen aus dem Nordkaukasus zu langen Haftstrafen. Nemzows Familie beklagte, dass nach den Drahtziehern nie wirklich gesucht worden sei. © afp
Boris Nemzow
In den 1990er Jahren hatte sich Nemzow als liberaler Reformer in Russland einen Namen gemacht. Präsident Boris Jelzin (rechts im Bild) holte ihn einst in die Regierung nach Moskau. Nemzow war zeitweilig auch als Präsidentenanwärter gehandelt worden. „Ich bin liberal, was Wirtschaftsfragen angeht, aber für eine starke Staatsmacht in der Politik“, sagte er einmal. © TASS/afp
Alexander Litwinenko
Der Putin-Kritiker Alexander Litwinenko starb im November 2006 in London nach einem Anschlag mit dem radioaktiven Gift Polonium 210. Einem Untersuchungsbericht zufolge soll ihm das Strahlengift in einem Londoner Hotel in den Tee gemischt worden sein. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit siechte Litwinenko tagelang dahin. Vom Krankenhausbett beschuldigte er Putin, hinter dem Anschlag zu stecken. Die britische Justiz sieht es ebenfalls als bewiesen an, dass die Spur in hohe politische Kreise in Moskau führt. Russland weist dies zurück. © Sergei Kaptilkin/dpa
Anna Politkowskaja
Die Journalistin Anna Politkowskaja machte sich als Kritikerin der Kriege in Tschetschenien einen Namen. Die Mitarbeiterin Oppositionszeitung Nowaja Gaseta berichtete über Kriegsverbrechen der russischen Armee und der verbündeten tschetschenischen Gruppen und sprach von einem „schmutzigen Krieg“. Häufig musste sie sich gegen Drohungen wehren. Am 7. Oktober 2006 wurde sie vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen. Politkowskajas Familie vermutet ein politisches Motiv für die Tat.  © Imago
Boris Beresowski
Die Serie von mitunter rätselhaften Todesfällen, hinter denen russische staatliche Stellen vermutet werden, ist noch sehr viel länger. Der Oligarch Boris Beresowski (Mitte) fiel nach dem Machtantritt Putins in Ungnade und floh nach Großbritannien. Am 23. März 2013 wurde Beresowski tot im Bad seines Hauses in Ascot gefunden.  © Shaun Curry/afp
Pawel Scheremet
Im Juli 2016 kam der russische Exil-Journalist Pawel Scheremet in Kiew durch eine Autobombe ums Leben. Scheremet engagierte sich während der Maidan-Proteste 2013/2014 in Kiew aufseiten der prowestlichen Kräfte und wurde später Redakteur beim renommierten Internetportal Ukrainskaja Prawda. © Dmytro Larin/afp
Denis Woronenkow
2017 wurde der abtrünnige russische Abgeordnete Denis Woronenkow auf offener Straße in Kiew erschossen. Auch sein Fall wurde nie aufgeklärt. © ITAR-TASS/Imago
Sergej Magnizki
Sergej Magnizki starb 2009 unter ungeklärten Umständen in einem Moskauer Gefängnis. Angeblich wurde der Anwalt, der nach eigenen Angaben einen Steuerbetrug aufgedeckt hatte, zu Tode geprügelt. Medizinische Hilfe wurde im verweigert.  © HO/Hermitage Capital Management/afp
Baburowa/Markelow
Die Journalistin Anastassija Baburowa und der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow wurden 2009 auf der Straße in Moskau erschossen. Für die Tat wurden ein Rechtsextremist und eine Komplizin zu langen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten ihre Schuld bestritten. © ITAR-TASS/Imago
Natalia Estemirowa
Die Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa wurde 2009 in der Konfliktregion Nordkaukasus erschossen aufgefunden. Mit Berichten über das Verschwinden von Zivilpersonen in dem Gebiet hatte sie sich wiederholt den Zorn der Machthaber zugezogen. © Memorial/afp
Sergej Juschenkow
Eines der ersten Todesopfer war Sergej Juschenkow. Der Duma-Abgeordnete wurde im April 2003 in Moskau erschossen. Juschenkow war der Staatsführung ein Dorn im Auge, wenngleich der Politiker über wenig Macht und Einfluss verfügte.  © Roman Mukhamedzanov/Vremya Novos/afp

In Bayern festgenommene Saboteure wollten wohl Hilfe für Kiew im Ukraine-Krieg stören

Und jetzt also offenbar konkrete Pläne für Anschläge. Das Ziel der mutmaßlichen Saboteure soll es gewesen sein, die Hilfe aus dem Westen für Kiew im Ukraine-Krieg zu stören. In Bund und Ländern ist man bereits seit einiger Zeit in Alarmbereitschaft. Eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums etwa hatte jüngst auf Nachfrage erklärt: „Militärische und politische Eskalationen erhöhen den Druck auf Nachrichtendienste autoritärer Staaten, Informationen zu beschaffen und Interessen durchzusetzen. Gleichzeitig senken sie die Hemmschwelle für staatsterroristische Aktivitäten oder Sabotage, da die Eskalationsgrenzen durch den Krieg bereits verschoben sind.“

Innenministerium: „Deutschland eines der Hauptziele“

Und aus dem Bundesinnenministerium hieß es gegenüber IPPEN.MEDIA, Deutschland sei eines der Hauptziele für russische Kampagnen und Attacken. „Die Sicherheitsbehörden haben alle illegitimen Aktivitäten ausländischer Mächte in Deutschland – Spionage, Desinformation, Cyberaktivitäten – im Blick.“ Zu einzelnen Erkenntnissen könne man sich aber nicht öffentlich äußern.

Unterdessen mahnen Experten, dass Deutschland nicht hinreichend gegen Cyberattacken oder Angriffe auf die kritische Infrastruktur gerüstet sei. Der Informatiker Klaus Schilling etwa erklärte im Gespräch mit IPPEN.MEDIA, die Regierung müsse dringend in ein eigenes Satellitennetzwerk investieren. Er ist Experte für Telematik beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Schilling geht es um sogenannte Satellitenkonstellationen, also Gruppen von Kleinsatelliten, die in einem niedrigen Orbit um die Erde kreisen.

Experte fordert Investitionen in modernes Satellitensystem: „Ukraine-Krieg zeigt, wie wichtig das ist“

Mit Starlink hat US-Unternehmer Elon Musk ein solches Netzwerk bereits seit Jahren im All. Deutschland hinke ebenso wie ganz Europa indes deutlich hinterher, warnte Schilling: „Wenn bei Angriffen auf die kritische Infrastruktur Kommunikationssysteme am Boden zerstört sind, dann geht es nur noch über Satelliten.“

Wie wichtig solche Kommunikationsnetzwerke seien, habe man zu Beginn des Ukraine-Kriegs gesehen. Dort hatten russische Attacken die Infrastruktur in Teilen des Landes lahmgelegt. In Deutschland war das seinerzeit aufgefallen, weil es – gewissermaßen als Kollateralschaden – Störungen in der Steuerung von Windparkanlagen gegeben hatte. Ohne ein modernes Kommunikationssystem mithilfe von Satelliten gebe es mittelfristig ernste Sicherheitslücken, so Schilling.

Rubriklistenbild: © Celestino Arce Lavin/dpa