Verschwundene Regierungsmitglieder
Chinas Verteidigungsminister Li Shangfu entlassen: Säuberungskampagne im Regierungsapparat geht weiter
VonChristiane Kühlschließen
Seit Monaten verschwinden in China Minister und Militärs von der Bildfläche. Offenbar läuft eine größere Säuberungskampagne im Apparat. Nun wurde Verteidigungsminister Li Shangfu entlassen.
Nun ist es also so weit. Chinas seit rund zwei Monaten verschwundene Verteidigungsminister General Li Shangfu ist offiziell des Amtes enthoben worden. Das berichtete der Staatssender CCTV ohne Angabe von Details. Beobachter erwarteten diese Nachricht, seit Li im August ebenso abrupt aus der Öffentlichkeit verschwunden war wie kurz zuvor der damalige Außenminister Qin Gang. Beide Minister waren von Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich ausgewählt worden – und sind nun offenbar in die Mühlen einer groß angelegten Säuberungskampagne geraten.
Spekulationen ranken sich seit dem Verschwinden von General Li um Korruption bei der Beschaffung von Militärausrüstung. Von 2017 bis 2022 leitete Li die Abteilung für Waffenentwicklung der Zentralen Militärkommission, die auch für den Einkauf von Waffen und Militärtechnik aus dem Ausland zuständig ist. Wegen Waffengeschäften mit Russland aus jener Zeit steht Li Shangfu seit 2018 auf einer Sanktionsliste der USA.
Doch nicht nur Li verschwand im August im Zusammenhang mit Bestechung bei den Streitkräften. Seit einiger Zeit läuft eine groß angelegte Kampagne gegen Korruption in der Volksbefreiungsarmee. So verschwanden fast zeitgleich mit Li zwei Spitzen-Kommandeure von Chinas elitärer Raketentruppe; gegen weitere Führungskräfte sollen Ermittlungen laufen. Welche Verbindungen es zu Li gibt, ist noch unklar.
China: Entlassung des Verteidigungsministers lässt sich nicht verbergen
In sozialen Medien fanden sich vorübergehend einzelne bissige Kommentare. „Die Alten hatten recht: Je weniger Worte, desto größer die Geschichte“, schrieb etwa ein User ob der dürren Meldung zu Li auf einer Nachrichten-Plattform der Beijing Daily Newspaper Group. Der Beitrag wurde allerdings wenig später gelöscht. Stattdessen füllte sich das Forum mit Aufforderungen, keine Gerüchte zu verbreiten.
China hält politische Ränkespiele und Säuberungen gern im Verborgenen. Doch das funktioniert im Falle Li Shangfu ebenso wenig wie bei der Affäre um Ex-Außenminister Qin Gang. Sie sind die Gesichter der chinesischen Außenpolitik gewesen; ihr Sturz ist somit nicht vor der Welt zu verstecken. Zum Beispiel war Li Shangfu im Juni am Rande des Shangri-La-Dialogs – Asiens wichtigster Sicherheitskonferenz in Singapur – mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zusammengetroffen. Pistorius hatte Li in dem Gespräch aufgefordert, die Anwerbung ehemaliger Bundeswehrpiloten für die Ausbildung chinesischer Kampfpiloten zu stoppen. Qin Gang war kurz vor seinem Verschwinden zweimal mit Außenministerin Annalena Baerbock zusammengekommen, erst in China und dann in Berlin.
China vorübergehend ohne Verteidigungsminister: Noch kein Nachfolger des gestürzten Li benannt
Anders als zuvor bei Qin Gang – der direkt von seinem Vorgänger Wang Yi ersetzt wurde – ernannte Peking nun zunächst keinen neuen Verteidigungsminister. Die wichtige Position bleibt also erst einmal vakant. Und anders als bei Qin spielte politische Unzuverlässigkeit wohl keine Rolle. Dafür gebe es keinerlei Anzeichen, meint Bo Zhiyue, Experte für die chinesische KP-Elite an der National University of Singapore. Lis Vater habe mit Mao Zedong an dessen revolutionärem Langen Marsch teilgenommen, und Li „war einer der Generäle, dem Xi am meisten vertraute. Daher stieg er schnell in der Hierarchie auf.“
Und nun? Die Tatsache, dass man keinen Nachfolger benennen konnte, weise auf tiefere Probleme hin, meint Bo. Xi habe sich mit Loyalisten umgeben. „Doch wendet er sich gegen einige von ihnen wegen Vorwürfen der Korruption.“ Wie sich zeige, ist es „äußerst schwierig, im chinesischen Militär und in der Beamtenschaft jemanden zu finden, der sowohl loyal als auch sauber ist.“
Die Nachrichtenagentur Reuters nannte kürzlich unter Berufung auf fünf informierte Quellen Chinas Stabschef General Liu Zhenli als wahrscheinlichsten Nachfolger. Auch die Hongkonger Zeitung South China Morning Post berichtete damals unter Berufung auf anonyme Quellen, General Liu werde als eine zentrale Figur bei dem internationalen Xiangshan-Sicherheitsforum Ende Oktober in Peking teilnehmen, einer Art chinesischem Shangri-La-Dialog. Das Blatt wertete dies als Hinweis, dass Liu möglicher Nachfolger für den damals ja schon abgetauchten Li sein könnte.
Auf dem Xiangshan-Forum wird eine US-Delegation erwartet, es ist der erste militärische Austausch, seitdem Peking den Militärdialog mit den USA im August 2022 gestoppt hatte – als Reaktion auf die Taiwan-Reise der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Wenn nun General Liu Zhenli statt des sanktionierten Ex-Ministers der zentrale Ansprechpartner für die US-Delegation wäre, dürfte das den bilateralen Austausch vereinfachen. Die Sanktionen gegen Li waren einer der Gründe gewesen, warum die chinesische Seite auf dem Shangri-La-Dialog im Juni ein Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin verweigert hatte.
Wen die USA zum Xiangshan-Sicherheitsforum schicken, ist noch unklar. Laut Berichten könnte es aber Austin selbst oder der neue Generalstabschef Charles Brown sein. Ein offizieller Counterpart wäre da schon nützlich.
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