Li Shangfu Mitte August in Russland
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Li Shangfu Mitte August in Russland: Chinas Verteidigungsminister wurde seit Wochen nicht gesehen.

Verteidigungsminister abgetaucht

Nach Außenminister und zwei Generälen: Schon wieder verschwindet ein chinesischer Minister

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Erst verschwand Chinas Außenminister, dann zwei hochrangige Generäle – und nun der Chef des Verteidigungsressorts. Seit mehr als zwei Wochen wurde Li Shangfu nicht mehr gesehen.

Rahm Emanuel war einer der ersten, dem auffiel, dass schon wieder etwas faul ist im Staate China. Am vergangenen Freitag teilte der US-amerikanische Botschafter in Japan auf X (früher Twitter) seine Beobachtung, dass Chinas Verteidigungsminister Li Shangfu seit zwei Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen wurde. Er fühle sich an Agatha Christies Kriminalroman „Und dann gabs keines mehr“ erinnert, schrieb Emanuel. In dem Buch der britischen Autorin kommen nacheinander zehn Menschen ums Leben – alle von ihnen waren zuvor in ungeklärte Todesfälle verwickelt.

Der grüne EU-Abgeordnete und China-Experte Reinhard Bütikofer stellte auf X – wohl augenzwinkernd – einen historischen Vergleich an. „Vielleicht sollte jemand nachprüfen, ob Li Shangfu möglicherweise auf mysteriöse Weise bei einem Flugzeugabsturz in der Mongolei ums Leben gekommen ist“, schrieb Bütikofer – eine Anspielung auf den noch immer nicht vollständig aufgeklärten Tod von Lin Biao, zuvor jahrelang als Nachfolger von Staatsgründer Mao Zedong gehandelt, im Jahr 1971.

Ganz so dramatisch wie im Roman oder wie einst bei Lin Biao dürfte die Wirklichkeit kaum sein. Spektakulär ist der Fall dennoch – sollte Li denn tatsächlich verschwunden sein.

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago

Gerüchte um Staatspräsident Xi Jinping

Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Verteidigungsminister Li Shangfu offenbar am 29. August in Peking, auf dem „Chinesisch-afrikanischen Forum für Frieden und Sicherheit“. Die Welt trete in eine neue Phase der Turbulenzen und des Wandels ein, sagte Li in einer Rede, die Menschheit sei mit noch nie dagewesenen Risiken und Herausforderungen konfrontiert.

Nun sind zwei, drei Wochen Abwesenheit keine allzu lange Zeit. Noch könnte es einfach eine schwerere Krankheit sein, die Li außer Gefecht gesetzt hat. Tatsächlich erklärten zwei vietnamesische Regierungsbeamte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass Li in der vergangenen Woche ein Treffen in Vietnam aus „gesundheitlichen Gründen“ hatte absagen müssen. Doch China-Beobachter weltweit sind derzeit stets besonders alarmiert, wenn Pekinger Spitzenpersonal abtaucht. Denn die Fälle häufen sich.

Da waren zuletzt die Spekulationen über das überraschende Fernbleiben von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vom G20-Gipfel in Neu-Delhi. Blieb Xi zu Hause, um den G20-Gastgeber und China-Rivalen, Indiens Ministerpräsidenten Narendra Modi, zu demütigen? Konnte Xi aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Indien reisen? Oder stecken innenpolitische Schwierigkeiten dahinter?

Seit Wochen nicht gesehen: Chinas Außenminister Qin Gang

Vor allem aber ist es der Fall von Chinas Außenminister Qin Gang, der nun die Alarmglocken schrillen lässt. Qin, der sein Amt erst Anfang des Jahres angetreten hatte, nahm ab Ende Juni plötzlich keine Termine mehr wahr. Zunächst sprach Chinas Außenamt von „gesundheitlichen Gründen“, schließlich aber vermeldeten Staatsmedien, Qin sei aus seinem Amt entfernt worden. Gründe wurden nicht genannt, China-Experten vermuten aber, dass eine Anklage gegen Qin vorliegt, etwa wegen Bestechlichkeit oder Geheimnisverrats. Wo sich Qin derzeit aufhält, ist unbekannt. Gut möglich, dass sein nächster öffentlicher Auftritt in einem Gerichtssaal stattfindet.

Was das Abtauchen von Verteidigungsminister und General Li Shangfu zusätzlich heikel macht, sind die jüngsten Vorgänge innerhalb von Chinas Raketenstreitkräften. Im August wurden zwei Spitzenkommandeure der Elitetruppe, der unter anderem Chinas Atomwaffen unterstehen, ausgetauscht. Eine offizielle Begründung gibt es bislang nicht, dafür reichlich Spekulation. Wie beim Verschwinden von Außenminister Qin reichen die Gerüchte von Korruption bis hin zum Verrat von Staatsgeheimnissen.

Eine groß angelegte Antikorruptionskampagne ist in Chinas Streitkräften bereits seit einiger Zeit im Gange. Ob ihr nun auch Verteidigungsminister Li Shangfu zum Opfer gefallen ist?

Li Shangfu: USA haben Chinas Verteidigungsminister mit Sanktionen belegt

Weltweite Schlagzeilen hatte Li im vergangenen Mai gemacht. Als US-Verteidigungsminister Lloyd Austin um ein Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen bat, zeigte der ihm demonstrativ die kalte Schulter. Offenbar verweigerte Li dem Amerikaner eine Begegnung, weil er seit 2018 mit US-Sanktionen belegt ist. Der heutige Verteidigungsminister war damals als Leiter der Abteilung für Waffenentwicklung der Volksbefreiungsarmee wegen Waffengeschäften mit Russland zum Ziel von Strafmaßnahmen geworden. Nun, so mutmaßen Beobachter, haben ihn womöglich die eigenen Leute ins Visier genommen.