„Das war ein kleiner Sprengsatz“

Nord Stream 2: Neue Aufnahmen von aufgerissener Pipeline bringen bisherige Theorie ins Wanken

  • Momir Takac
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Bislang gingen Experten davon aus, dass enorme Mengen Sprengstoff die Nord-Stream-Pipelines zerstörten. Das scheint nicht für beide Röhren zu gelten.

München - Die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee vom vergangenen September sind noch immer ein großes Mysterium. Die Ermittlungen sind zwar im Gange, doch außer Mutmaßungen, wer für den Anschlag verantwortlich ist, gibt es so gut wie nichts Stichhaltiges. Zuletzt führte eine neue Spur nach Polen.

Bis jetzt wusste man auch nicht, wie es am Ort des Geschehens aussieht. Doch dank eines internationalen Rechercheteams von RTL, dem dänischen Fernsehsender TV2, der dänischen Zeitung Ekstra Bladet und der französischen Tageszeitung Libération gibt es erstmals Aufnahmen der aufgerissenen Nord-Stream-2-Pipeline am Meeresgrund. „Für diese Explosionsstelle gibt es so gut wie keine Informationen. Wir wissen eigentlich nichts“, sagte der dänische Geheimdienstexperte Oliver Alexander, der die Suche auf der Ostsee begleitete, auf der Fahrt noch.

Nord Stream 2 deutlich weniger beschädigt als Nord Stream 1

Rund eine Stunde später fand das Team schließlich die Stelle und ließ eine Tauchdrohne des norwegischen Unternehmens Blueye vor der Küste der dänischen Insel Bornholm ins Wasser. Sie erhielten nicht nur exklusive Aufnahmen, die in einem Video bei n-tv zu sehen sind, sondern auch eine wertvolle Erkenntnis: Die Schäden waren bei Weitem nicht so schlimm wie jene der Pipeline Nord Stream 1, die Stunden später achtzig Kilometer nördlich detonierte.

Auf diesem von den dänischen Streitkräften zur Verfügung gestellten Foto sind Blasen und Strudel auf der Wasseroberfläche über einem Gasleck in der Ostsee zu sehen.

Die Aufnahmen zeigen, dass der nördliche Teil der Pipeline etwa fünf Meter in die Höhe ragt, während der südliche Teil so gut wie unbeschädigt am Grund der Ostsee liegt. Die Röhre ist nur an einer Stelle unterbrochen. Die Schlussfolgerung: Die Explosion kann nicht durch Hunderte Kilogramm Sprengstoff herbeigeführt worden sein. „Dafür hätten wir überall kaputten Beton, zerkratztes Metall, Brandspuren und zerborstene Röhren finden müssen, was wir nicht haben“, sagte Alexander n-tv.

Nord Stream 2: Kleinere Menge Sprengstoff muss Explosion verursacht haben

Experten waren bislang davon ausgegangen, dass nur erhebliche Mengen an Sprengstoff die Zerstörung anrichten konnten. Die Theorie scheint widerlegt. Denn auch Fachleute, welche die neuen Aufnahmen sichteten, bestätigten eine kleinere Menge. „Das war ein kleiner Sprengsatz. Für mich sieht das ganz klar nach einer Hohlladung aus“, sagte der dänische Ex-Militär und Sprengstoff-Experte Niels Kamp.

Bei Hohlladungen ist der Sprengstoff so angeordnet, dass die Energie gebündelt wird und so für eine heftige Explosion weniger Sprengstoff nötig ist. Militärisch werden Hohlladungen in panzerbrechender Munition eingesetzt. Der Vorteil: Die Sprengladung kann einfacher in 80 Meter Tiefe angebracht werden. Auch bedarf es dazu weniger Leute. Nicht nur Russland steht im Verdacht, die Pipeline zerstört zu haben, Spuren führen auch in die Ukraine. (mt)

Rubriklistenbild: © Rune Dyrholm/dpa