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Pistorius statt Scholz: Warum die SPD einen Kanzlertausch erwägen sollte

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Bundeskanzler Olaf Scholz ist äußerst unpopulär – und der beliebte Verteidigungsminister Boris Pistorius steht bereits in den Startlöchern.

  • Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) verbindet einiges – und trotzdem streiten sie scharf über die mögliche Verteidigung Deutschlands
  • Anders als Scholz erfreut sich Pistorius wachsender Beliebtheit. Der Verteidigungsminister gilt als geradlinig, während Scholz von vielen als unentschlossen wahrgenommen wird.
  • Pistorius wird immer wieder als ein Nachfolger von Olaf Scholz gehandelt. Die Meinungen dazu sind in der SPD sind aber sehr gespalten.
  • Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 20. Juni 2024 das Magazin Foreign Policy.

Auf den ersten Blick haben der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius viel gemeinsam. Die beiden langjährigen Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei (SPD), beide Mitte 60, wurden auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in derselben Stadt geboren, nämlich in der alten Marktstadt Osnabrück in Norddeutschland. Während Scholz zum Bürgermeister von Hamburg aufstieg, übernahm Pistorius den Posten im Osnabrücker Rathaus. Von dort ging Scholz als Finanzminister der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Bundesregierung, Pistorius wurde Innenminister in Niedersachsen. Und Pistorius wie Scholz – eigentlich wie ihre Partei insgesamt – sahen lange Zeit in den freundschaftlichen Beziehungen zu Wladimir Putins Russland das beste Mittel, um die Stabilität in Europa zu gewährleisten, auch noch lange nach der russischen Annexion der Krim 2014.

Doch heute, im Zentrum der schmerzhaften Debatte über Verteidigung und Sicherheit in Deutschland, stehen die beiden Männer mit ihren Stilen und Prioritäten in krassem Gegensatz zueinander – und auch die Einschätzung der deutschen Öffentlichkeit geht rapide auseinander.

Der wortgewaltige Pistorius, ein Falke im Kampf gegen Russland und beim Wiederaufbau der deutschen Streitkräfte, sonnt sich derzeit im Glanz des (mit Abstand) populärsten deutschen Politikers. Sein selbsternanntes Image ist das eines Machers, der direkt sagt, was er will – und es auch tut. Was die Leute an Pistorius mögen, so die Süddeutsche Zeitung am 13. Juni, ist, dass er ein „geradliniger Schütze“ ist, der den Deutschen zutraut, komplizierte Sachverhalte zu verstehen, wenn sie in einfacher Sprache erklärt werden.

Ersetzt Verteidigungsminister Boris Pistorius den amtierenden Kanzler Olaf Scholz? Beliebter ist er bei den Wählern auf jeden Fall.

Scholz gilt als zu unentschlossen und versteht sich als „Friedenskanzler“

Der nüchterne Scholz hingegen wirkt unentschlossen, zwiespältig und zweideutig. Scholz versteht sich als „Friedenskanzler“ und gleichzeitig als Eckpfeiler des NATO-Bollwerks gegen Russland. In der Öffentlichkeit ist Scholz zu einem der unbeliebtesten Spitzenpolitiker des Landes abgestürzt, nachdem seine Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament vom 6. bis 9. Juni spektakulär abgestürzt war. Sie erhielt miserable 14 Prozent der Stimmen, womit die SPD hinter der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) landete.

Das schlechte Abschneiden von Scholz und das Fiasko der zerstrittenen Drei-Parteien-Koalition haben Spekulationen genährt, dass Pistorius und nicht Scholz der bessere Kanzlerkandidat im Jahr 2025 wäre. Wären heute Wahlen, würden SPD, Liberale und Grüne eine parlamentarische Mehrheit kläglich verfehlen. Die Deutschen sind mit der Arbeit der Koalition und der faden Führung von Scholz deutlich unzufrieden.

Führende Sozialdemokraten, darunter auch Pistorius, bestreiten vehement, dass sie über eine Ablösung von Scholz nachgedacht haben (sie müssen es natürlich). SPD-Mitglied und stellvertretender Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Niels Annen, sagte gegenüber Foreign Policy: „In den höheren Ebenen der SPD ist davon keine Rede. Es wäre nicht das erste Mal, dass man die Kanzlerin unterschätzt. Die Wahlen im Herbst 2025 sind noch viel zu weit weg, um Olaf Scholz abzuschreiben.“

Pistorius krempelt das Verteidigungsministerium komplett um

Und doch, so schlecht steht es um die derzeitige Regierung, besteht eine reale Chance, dass Scholz nicht wieder antritt - und wenn nicht, wer könnte dann besser in seine Fußstapfen treten als Deutschlands neuer Lieblingspolitiker?

Pistorius‘ Umschwung im Verteidigungsministerium war auf jeden Fall beeindruckend. Scholz berief Pistorius auf den Posten, um Christine Lambrecht zu ersetzen, eine hochrangige SPD-Beamtin, die an der Mammutaufgabe scheiterte, das dysfunktionale, unterfinanzierte und unterbesetzte deutsche Militär nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 zu sanieren. Innerhalb der Streitkräfte selbst, so Insider, war das Vertrauen in Lambrecht gleich Null. Zu Lambrechts Verteidigung ist zu sagen, dass der Posten in Deutschland lange Zeit ein undankbarer Posten war, der durch magere Budgets und deutsche Hemmungen belastet war. Dennoch schien sie, eine Nichtexpertin ohne militärischen Hintergrund, besonders ungeeignet zu sein, eine unvorbereitete Armee zu führen, die plötzlich auf einen ausgewachsenen Krieg an der Ostgrenze der EU reagieren musste.

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Pistorius beschafft 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr

Pistorius übernahm das Amt im Januar 2023 und wurde damit beauftragt, die von Scholz ausgerufene Zeitenwende für das deutsche Militär, seine Antwort auf die russische Invasion 2022, mit Leben zu füllen. Pistorius wurde mit nicht weniger als der Aufgabe betraut, die Bundeswehr zu einem Militär zu machen, das tatsächlich in der Lage ist, eine Bedrohung der deutschen Sicherheit abzuwehren. Obwohl Scholz kurz nach Beginn der Invasion ankündigte, dass ein einmaliger Sonderfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro – mehr als das Doppelte des jährlichen Verteidigungshaushalts – das Unterfangen finanzieren würde, ging er nicht auf Einzelheiten ein und sagte auch nicht, was geschehen würde, wenn dieser Fonds erschöpft wäre. Aber Deutschland, so versprach Scholz, werde nicht länger hinter den 2 Prozent seines Haushalts für die Verteidigung zurückbleiben, wie es die NATO seit langem von ihren Mitgliedsstaaten verlangt hatte.

Pistorius krempelte die Ärmel hoch und forderte, dass die deutschen Streitkräfte „Abschreckung, Effektivität und Einsatzfähigkeit“ bieten sollten. Einen Monat nach seinem Amtsantritt ist der Großteil der 100 Milliarden Euro ausgegeben: für neue Bestellungen von F-35-Kampfjets, Kampfpanzern, schweren Transporthubschraubern (die zum Leidwesen der Franzosen größtenteils aus den Vereinigten Staaten und nicht aus Frankreich stammen) sowie für eine Digitalisierungsoffensive zur Modernisierung der Streitkräfte. Die Ausrüstung der Truppen – von der Bewaffnung bis hin zur persönlichen Ausrüstung, die lange Zeit ein wunder Punkt war – wurde verbessert, was Pistorius eine Glaubwürdigkeit bei den Streitkräften verleiht, die seine jüngsten Vorgänger nicht hatten.

Kabinett Scholz: Nach dem Ampel-Aus kommt Rot-Grün ohne Mehrheit

Olaf Scholz spricht zur Energiepolitik.
Olaf Scholz (SPD) ist der neunte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Politisch wird er dem konservativen Flügel der Sozialdemokraten zugerechnet. Lange Zeit galt er als reiner „Scholzomat“ – ein Spitzname, den er sich wegen seiner mechanisch wirkenden Sprechblasen in seiner Zeit als Generalsekretär unter Kanzler Gerhard Schröder verdiente. Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine kündigte er in einer Sondersitzung des deutschen Bundestages einen Wandel der deutschen Politik an: „Wir erleben eine Zeitenwende.“  © Britta Pedersen/dpa
Robert Habeck auf Deutschlandtour.
Robert Habeck ist Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz im Kabinett Scholz sowie Stellvertreter des Kanzlers. Vom 27. Januar 2018 bis zum 14. Februar 2022 hatte er zusammen mit Annalena Baerbock den Bundesvorsitz der Partei Bündnis 90/Die Grünen inne. Habeck ist auch als Schriftsteller tätig. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Andrea Paluch veröffentlichte er mehrere Romane, u.a. Hauke Haiens Tod (2001). © Soeren Stache/dpa
Jörg Kukies kommt zu Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt.
Am 7. November 2024 hat Jörg Kukies das Amt des Finanzminister übernommen. Der Sozialdemokrat Kukies ist derzeit Staatssekretär im Kanzleramt und gilt als einer der wichtigsten Berater von Kanzler Scholz. Er ist sein Mann für Wirtschaft und Finanzen und verhandelt für ihn die Abschlussdokumente der G7- und G20-Gipfel.  © Michael Kappeler/dpa
Christian Lindner im Kanzleramt in Berlin am 27. Juli 2022.
Christian Lindner ist Bundesminister der Finanzen im Kabinett Scholz. Der FDP-Politiker ist seit dem 7. Dezember 2013 Bundesvorsitzender der Liberalen. Schon 2017 sah es lange so aus, als würde die FDP an der Regierung beteiligt sein. Doch nach vierwöchigen Sondierungsgesprächen zur Bildung einer Jamaika-Koalition erklärte Lindner die Verhandlungen schließlich für gescheitert. Seine Begründung: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren!“ © Emmanuele Contini/Imago
Nancy Faeser (SPD), alte und neue Landesvorsitzende der SPD in Hessen und Bundesinnenministerin, freut sich über ihre Wiederwahl.
Nancy Faeser führt im Kabinett Scholz als erste Frau das Bundesministerium des Innern und für Heimat. Die Juristin ist seit dem 2. November 2019 Vorsitzende der SPD Hessen. Zuvor war sie 16 Jahre lang Abgeordnete des Hessischen Landtags und ab 2019 als Vorsitzende der hessischen SPD-Fraktion auch Oppositionsführerin. Zudem war sie Spitzenkandidatin der SPD bei der Landtagswahl in Hessen 2023. Als Abgeordnete im Landtag erhielt sie zwei Drohbriefe, die mit NSU 2.0 unterschrieben waren. © Andreas Arnold/dpa
Annalena Baerbock ist im Kabinett Scholz Bundesministerin des Auswärtigen. Sie ist die erste Frau, die dieses Amt innehat. Bei der Bundestagswahl 2021 trat sie als Kanzlerkandidatin der Grünen an, die sich aber mit 14,8 Prozent der Zweitstimmen mit Platz drei hinter SPD und Union begnügen mussten. Von Januar 2018 bis Februar 2022 war sie gemeinsam mit Robert Habeck Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.
Annalena Baerbock ist im Kabinett Scholz Bundesministerin des Auswärtigen. Sie ist die erste Frau, die dieses Amt innehat. Bei der Bundestagswahl 2021 trat sie als Kanzlerkandidatin der Grünen an, die sich aber mit 14,8 Prozent der Zweitstimmen mit Platz drei hinter SPD und Union begnügen mussten. Von Januar 2018 bis Februar 2022 war sie gemeinsam mit Robert Habeck Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. © Thomas Imo/Imago
Marco Buschmann FDP, Bundesjustizminister, stellt Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz vor.
Marco Buschmann war bis zum 7. November 2024 Bundesminister der Justiz im Kabinett Scholz. Der FDP-Politiker war von Oktober 2017 bis Dezember 2021 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion. Im Herbst 2020 warnte er während der Corona-Pandemie vor einer Verfassungskrise. Buschmann war auch Mitkoordinator der erfolgreichen Verfassungsklage der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP gegen den Berliner Mietendeckel. Nach dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner verließ Buschmann die Ampel.  © Jürgen Heinrich/Imago
Volker Wissing, Bundesverkehrsminister FDP, vor der Kabinettssitzung im Berliner Kanzleramt Bundeskanzleramt in Berlin
Volker Wissing wurde nah dem Ampel-Aus für sein Ausscheren aus dem Kurs von FDP-Parteichef Christian Lindner belohnt. Der Bundesminister für Digitales und Verkehr erhielt zusätzlich das Justizressort. Einer der letzten großen Ampel-Fans in der FDP zog nach dem Koalitionsbruch Konsequenzen: In einem beispiellosen Schritt trat er aus der Partei aus und bleibt bis zu den geplanten Neuwahlen als Parteiloser im Amt. Der Jurist war vom 19. September 2020 bis zum 23. April 2022 Generalsekretär der FDP. Wissing gibt als Hobby Weinbau an, vor allem im familieneigenen Weingut.  © Stefan Boness/Imago
Hubertus Heil besucht die Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Berlin-Spandau.
Hubertus Heil ist im Kabinett Scholz Bundesminister für Arbeit und Soziales – ein Amt, das der SPD-Politiker bereits seit dem 14. März 2018 innehat. Heil ist seit Dezember 2019 stellvertretender Bundesvorsitzender der Sozialdemokraten. Von November 2005 bis November 2009 und von Juni bis Dezember 2017 war er Generalsekretär seiner Partei. Heil spricht sich für einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro aus, eine Erhöhung des Rentenalters auf über 67 Jahre lehnt er ab. © M. Popow/Imago
Boris Pistorius ist als Nachfolger von Christine Lambrecht ins Chefbüro des Verteidigungsministeriums im Bendlerblock gerückt. Pistorius gehört dem SPD-Parteivorstand an und gilt als erfahrener Polit-Manager. Von 1980 bis 1981 absolvierte er seinen Wehrdienst, anschließend studierte er Rechtswissenschaften in Osnabrück und Münster. Pistorius war zuvor seit 2013 Innenminister in Niedersachsen.
Boris Pistorius ist als Nachfolger von Christine Lambrecht ins Chefbüro des Verteidigungsministeriums im Bendlerblock gerückt. Pistorius gehört dem SPD-Parteivorstand an und gilt als erfahrener Polit-Manager. Von 1980 bis 1981 absolvierte er seinen Wehrdienst, anschließend studierte er Rechtswissenschaften in Osnabrück und Münster. Pistorius war zuvor seit 2013 Innenminister in Niedersachsen. © Michael Kappeler/dpa
Verteidigungsministerin Lambrecht besucht Marder-Kompanie
Bis zum 19. Januar 2023 hatte Christine Lambrecht das Amt der Verteidigungsministerin inne. Die SPD-Politikerin stand zumeist unter einem immensen Druck. Kritische Stimmen warfen ihr fehlende Sachkenntnis, die schleppend angelaufene Beschaffung für die Bundeswehr, aber auch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit vor. Irritation rief schließlich eine Neujahrsbotschaft hervor, in der sie begleitet von Silvesterfeuerwerk in Berlin über den Ukraine-Krieg sprach. © Robert Michael/dpa
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft läuft beim Treffen der G7 Agrarminister zum Eingang des Schlosses Hohenheim.
Cem Özdemir ist Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft im Kabinett Scholz. Özdemir ist der erste Bundesminister mit türkischem Migrationshintergrund. Von November 2008 bis Januar 2018 war er Bundesvorsitzender der Grünen. Im Dezember 2021 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden des gemeinnützigen Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ gewählt. Nach dem Ampel-Aus übernahm er auch das Ministerium für Bildung und Forschung.  © Bernd Weißbrod/dpa
Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, spricht beim hybriden Gipfeltreffen „Women7-Summit“.
Elisabeth „Lisa“ Paus ist seit dem 25. April 2022 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Kabinett Scholz. Sie ist die Nachfolgerin von Anne Spiegel, die zuvor von diesem Posten zurückgetreten war. Paus gehört zum linken Parteiflügel der Grünen. Sie ist seit 2009 Abgeordnete im Deutschen Bundestag.  © Bernd von Jutrczenka/dpa
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergibt im Schloss Bellevue anlässlich des Amtswechsels im Bundesfamilienministerium die Entlassungsurkunde an Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen), bisherige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Vorgängerin von Lisa Paus war Anne Spiegel, die am 25. April 2022 die Entlassungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhielt. „Es war zu viel“, hatte die Grünen-Politikerin vorher bekennen müssen. Ihr Verhalten als Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität in Rheinland-Pfalz nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 wurde vom Untersuchungsausschuss des Landtags bis ins Detail untersucht. Die Kritik wurde zum Sturm – ihr Amt als Bundesfamilienministerin gab Spiegel deshalb auf. In ihrer Rücktrittserklärung betonte Spiegel, dass sie das Amt nicht länger belasten wolle und entschuldigte sich für begangene Fehler. © Bernd von Jutrczenka/dpa
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister, beantwortet auf einer Pressekonferenz Fragen von Journalisten zum Infektionsgeschehen und zur Impfentwicklung.
Karl Lauterbach ist Bundesminister für Gesundheit im Kabinett Scholz. Der SPD-Politiker ist Professor am Universitätsklinikum Köln und dort Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie. Wegen seines Bundestagsmandats ist er derzeit beurlaubt. Während der Pandemie ist er für viele zu einer Reizfigur geworden. Als Minister konnte er sich mit seiner Forderung nach einer allgemeinen Corona-Impfpflicht nicht durchsetzen.  © Wolfgang Kumm/dpa
Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz beim Treffen der G7 Klima-, Energie- und Umweltministerinnen und -minister.
Steffi Lemke hat im Kabinett Scholz den Posten als Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz inne. Die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen absolvierte ein Studium der Agrarwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, das sie 1993 als Diplom-Agraringenieurin abschloss. Von 2002 bis 2013 war sie politische Bundesgeschäftsführerin ihrer Partei. © Chris Emil Janssen/Imago
Bettina Stark-Watzinger im Portrait bei der Bundespressekonferenz zum Thema Veroeffentlichung des nationalen Bildungsberichts Bildung in Deutschland.
Bettina Stark-Watzinger ist Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Scholz. Seit 2017 ist sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag und seit März 2021 Vorsitzende der FDP Hessen. Ihr Studium der Volkswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main schloss sie 1993 als Diplom-Volkswirtin ab. Sie ist Mitglied im Stiftungsrat der Karl-Hermann-Flach-Stiftung. © Imago
Svenja Schulze SPD, Bundesministerin fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, aufgenommen im Rahmen der Konferenz fuer globale Ernaehrungssicherheit im Auswaertigen Amt in Berlin.
Svenja Schulze ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland im Kabinett Scholz. Die SPD-Politikerin ist Mitglied der Arbeiterwohlfahrt, der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), ver.di, im Naturschutzbund Deutschland (NABU) und im Verein Slowfood. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerkes „Frauenzeiten“. © Florian Gaertner/Imago
Klara Geywitz im Kanzleramt in Berlin am 27. Juli 2022. Kabinettssitzung in Berlin.
Klara Geywitz ist Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen im Kabinett Scholz. Zudem ist sie Beauftragte der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich. Im Dezember 2019 wurde sie zu einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD gewählt. Geywitz gehört seit 2014 dem Vorstand der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit an. © Emmanuele Contini/Imago
Wolfgang Schmidt hisst die Regenbogenfahne am Bundeskanzleramt in Berlin.
Wolfgang Schmidt ist Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes im Kabinett Scholz. In dieser Funktion ist er außerdem Beauftragter der Nachrichtendienste des Bundes. Schmidt, der seit 1989 der SPD angehört, gilt als engster Vertrauter von Olaf Scholz. © Christian Spicker/Imago

Verteidigungsminister Pistorius geht zaghaft die Frage nach der Wehrpflicht an

Annen ist sich bewusst, dass sich Deutschland in militärischen Fragen lange Zeit unwohl gefühlt hat – ein Erbe des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Diktatur – und dass Pistorius der erste Verteidigungschef ist, der sich traut, Dinge wie „Wir müssen bis 2029 kriegsbereit sein“ zu sagen. Annen sagte, Pistorius habe in kürzester Zeit das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit wiederhergestellt.

Die Wehrpflicht ist ein weiteres Tabu, das Pistorius – wenn auch zaghaft – gebrochen hat. Am 13. Juni stellte er ein neues Wehrdienstmodell für Deutschland vor, dessen Ziel es ist, bereits ab 2025 jährlich 5.000 Wehrpflichtige zu rekrutieren und die Truppenstärke schrittweise von 180.000 auf 200.000 Soldaten zu erhöhen. Dabei handelt es sich nicht um eine Wehrpflicht im eigentlichen Sinne, sondern um eine Kampagne, mit der alle 18-jährigen Männer und Frauen angesprochen und dazu gebracht werden sollen, aus eigenem Antrieb zu den Streitkräften zu gehen. (Nur Männer sind verpflichtet, ihr Interesse zu bekunden.)

„Daraus mache ich keinen Hehl“, sagte Pistorius am 13. Juni. „Ich würde gerne jedes Jahr 20.000 Wehrpflichtige ausbilden.“ Aber nicht nur, dass sich zu wenige junge Deutsche dafür interessieren, er gab auch zu, dass die Bundeswehr nicht die Kapazität hat, 20.000 Jugendliche zu Soldaten auszubilden. Irgendwann, so Pistorius, sollen auch die deutschen Frauen in die Wehrpflicht einbezogen werden.

Nach EU-Wahldebakel: Kann Pistorius Scholz im Zweifelsfall ersetzen?

Mit der Starthilfe allein gibt sich Pistorius nicht zufrieden - und stößt dabei auf seinen Parteifreund Scholz. Pistorius fordert, dass der Verteidigungshaushalt über die derzeit für 2025 vorgesehenen 52 Milliarden Euro hinaus erhöht wird. Gegenüber Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte Pistorius, er brauche bis zu 6,5 Milliarden Euro mehr, nicht zuletzt für 35 neue Leopard-Panzer. Lindner, der Hüter der im Grundgesetz verankerten Schuldenobergrenze, lehnte ab - und Scholz stellte sich hinter seinen Finanzminister.

Inoffiziell soll Pistorius daraufhin ausgerastet sein: „Ich muss diesen Job nicht behalten!“ Danach kühlte er sich ab und leugnete jede Rücktrittsabsicht. Aber er ist nicht der einzige Sozialdemokrat, der darauf beharrt, dass Schuldenbeschränkungen in einer Zeit, in der es so viele konvergierende Krisen und eine stagnierende Wirtschaft gibt, Wahnsinn sind. Beobachtern zufolge könnte dieser Streitpunkt die Koalition zum Scheitern bringen und vorgezogene Neuwahlen nach sich ziehen.

Schon vor dem Debakel bei der EU-Wahl gab es Gerüchte, dass Pistorius 2025 auf dem SPD-Ticket für den Spitzenplatz kandidieren könnte. Die Hürden dafür sind jedoch beträchtlich, selbst wenn Pistorius das wollte, was wir nicht wissen. Zum einen gibt es viele Sozialdemokraten, die die deutsche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik noch nicht vollständig überdacht haben.

SPD steckt in den größten Schwierigkeiten seit 25 Jahren

„Sie schwelgen noch immer in den alten Zeiten von Willy Brandt, den sie für einen Friedenskanzler halten“, erklärt Christian Mölling, Sicherheitsexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, einem Think Tank mit Sitz in Berlin. „Die alten Antworten aus der Vergangenheit: Versöhnung und Entspannung, das kann nicht falsch sein, das ist der feste Glaube in der SPD-Parteibasis.“ Scholz versuche, diese Wählerschaft in seinem Lager zu halten, indem er den Friedenskanzler spiele, so Mölling, aber auch, weil er keine andere Idee habe, wie er Sicherheit gestalten könne.

Zudem hatte Pistorius nie eine starke Anhängerschaft oder eine ihm treu ergebene Fraktion innerhalb der Partei. Als die SPD 2019 (nach dem verheerenden EU-Wahlergebnis) in Bedrängnis geriet, kandidierte der niedersächsische Minister zusammen mit der sächsischen Ministerin Petra Köpping für den Parteivorsitz in einem engen Feld. Das Duo landete mit nur 14,4 Prozent der Stimmen auf dem fünften Platz. Es bleibt unklar, ob sich innerhalb der „Friedenspartei“ eine kämpferische Fraktion gebildet hat, die Pistorius‘ neueste Inkarnation unterstützt. Der Tenor in den eigenen Reihen lässt jedoch darauf schließen, dass dies nicht der Fall ist.

Vielleicht gelingt es der SPD mit Pistorius, sich aus der Asche zu erheben

Die SPD steckt derzeit in großen Schwierigkeiten, vielleicht in den größten ihrer vielen Schwierigkeiten der letzten 25 Jahre. Sie hat jetzt das Echtzeit-Desaster einer großen Partei vor Augen. Nämlich der Demokratischen Partei in den Vereinigten Staaten, die einen unpopulären Kandidaten aufstellt, der sehr wohl scheitern könnte, weil andere in der Partei nicht wagten, darauf hinzuweisen, dass der König keine Kleider trägt. Die Sozialdemokraten haben noch etwa ein Jahr Zeit, um das Schlimmste abzuwenden – und vielleicht gelingt es ihnen mit einem geeigneten Nachfolger, sich aus der Asche zu erheben.

Zum Autor

Paul Hockenos ist ein in Berlin lebender Journalist. Sein jüngstes Buch ist Berlin Calling: A Story of Anarchy, Music, the Wall and the Birth of the New Berlin (The New Press).

Wir testen zurzeit maschinelle Übersetzungen. Dieser Artikel wurde aus dem Englischen automatisiert ins Deutsche übersetzt.

Dieser Artikel war zuerst am 20. Juni 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

Rubriklistenbild: © Kay Nietfeld/dpa