Arbeitsintegration

„Schwieriger Akt“: Warum so wenig ausländische Lehrkräfte in deutschen Schulen unterrichten

  • Giorgia Grimaldi
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Der Lehrkräftemangel in Deutschland ist akut. Qualifizierter Zuzug aus dem Ausland könnte helfen, aber es hakt an mehreren Stellen.

„Wer in Deutschland Grundschullehrer werden möchte, muss dafür in Thüringen in sieben Semestern 180 ECTS Punkte erbringen. In Berlin 300 ECTS Punkte in zehn Semestern. Von einer einheitlichen Lehrkräftebildung kann man also nicht sprechen“, sagt Mark Rackles.

Er ist der Autor der Studie „Neue Lehrkräfte braucht das Land“, die er am 28. Februar gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorstellt. Es sei an der Zeit, ernsthafte Veränderungen durchzuführen, denn der akute Lehrkräftemangel sei eine aktuell immer mitzudenkende „Herkulesaufgabe“.

Ausbildung von Lehrkräften soll kein „universitäres Privileg“ sein

Herausforderungen des aktuellen Systems seien etwa die zu hohen Anforderungen an Fachrichtungen, besonders in Mathematik, Chemie und Physik. Außerdem würden statt praxisnaher Inhalte mit „Lehramtsbezug“ oft wissenschaftlichste Standards verfolgt. Viele Studierende brechen die Ausbildung deswegen ab. Andere entscheiden sich gegen den Lehrerberuf nach dem an das Studium anschließende Referendariat, da sie sich den Schulbetrieb anders vorgestellt haben, erklärt Rackles.

Eine weitere Baustelle der deutschen Lehramtsausbildung ist laut der Studie die Notwendigkeit, in zwei Fachrichtungen ausgebildet zu sein. Damit unterscheide sich Deutschland stark von den meisten anderen Ländern, die Ein-Fach-Lehrkräfte ausbilden. Auch die Frage, wer Lehrkräfte ausbilden darf, sorgt für Diskussion. Bisher sei dies ein „universitäres Privileg“, doch Rackles empfiehlt eine Öffnung für Hochschulen.

Der Lehrkräftemangel in Deutschland ist eine „Herkulesaufgabe“.

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„Es fehlen 68.000 ausgebildete Lehrkräfte in Deutschland“

Helmut Holter, Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport sagt: „Es fehlen 68.000 ausgebildete Lehrkräfte in Deutschland“. Gleichzeitig habe sich die Schule „verändert“. Es zeichne sich eine Heterogenität der Schülerschaft ab, etwa durch verstärkten Zuzug aus dem Ausland. Aber auch die Lehrerschaft habe sich verändert. In Schulen arbeiten sowohl Lehrkräfte, die durch ein Bachelor- und Masterstudium ausgebildet wurde, als auch mit Staatsexamen. Hinzukommen Quereinsteiger.

Und was ist mit Fachkräften aus dem Ausland? In der Studie heißt es „wir brauchen eine Willkommenskultur für jede Lehrkraft“. Dabei geht es um die Nachqualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigenden, nicht um Fachkräfte aus dem Ausland. Wie der berufliche Einstieg für diese Gruppe in Deutschland aussieht, hat die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) bereits 2021 in einer Studie untersucht. Das Fazit: Deutschland verschenke hier ungenutztes Potenzial.

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Anerkennung der ausländischen Abschlüsse dauert zu lange

Um das zu ändern, müsse Deutschland laut GEW Hürden abbauen. Nur wenigen migrierten Lehrkräften (20 Prozent) gelingt es, tatsächlich im Lehrerberuf in Deutschland zu arbeiten. Das liegt vor allem an der Anerkennung der ausländischen Abschlüsse und Berufserfahrung. Das Verfahren dauert im Schnitt neun Monate. Reichen die Qualifikationen nicht aus – etwa, wenn Lehrkräfte in nur einem Fach ausgebildet sind – müssen sie diese mit sogenannten Ausgleichsmaßnahmen nachholen.

Nur in Bremen, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ist die Anerkennung mit nur einem Unterrichtsfach ausdrücklich möglich. In diesen Bundesländern stehen die Chancen auf Anerkennung für Lehrkräfte mit nur einer Fachrichtung deutlich besser. Andere dagegen müssen ganze Studiumsinhalte nachholen. Das kostet Zeit und Geld.

Und schreckt scheinbar viele ab. Von den 7365 Antragstellern im Zeitraum von 2016 bis 2018 nahmen nur 678 an einer Qualifizierungsmaßnahme teil. Der Großteil der migrierter Lehrkräfte gab den Lehrerberuf in Deutschland auf. Elina Stock, Referentin der GEW, wünscht sich daher mehr Ausbildungsmöglichkeiten „on the job“, um Fachkräfte möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

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Bildungsminister über Arbeitsintegration: „Wir haben zu starre Strukturen“

Eine ähnliche Meinung hat auch Bildungsminister Holter. Gegenüber BuzzFeed News Deutschland, ein Portal von Ippen.Media, sagt er: „Kollegen aus dem Ausland ins deutsche System zu bringen, ist mir eine Herzensangelegenheit. Aber es ist ein schwieriger Akt.“ Die größte Hürde sei die deutsche Sprache.

„Wir verlangen von ausländischen Lehrkräften ein C2-Deutschniveau“, das höchste Level, das der europäische Referenzrahmen kennt und muttersprachlichen Kenntnissen gleicht. „Wir wollen es auf C1 absenken, für Fremdsprachenlehrer auf B2“, erklärt Holter. Es fehlten aber auch Lehrkräfte in den Fächern wie Musik und Kunst. „Braucht es da wirklich ein C1 oder C2-Niveau?“, fragt er.

Er sei dafür, ausländische Lehrkräfte anzustellen und ihnen ein und bis zwei Jahre zu geben, um die Qualifizierung nachzureichen. Dem stünden aber aktuell Gesetze im Weg. „Wir müssen beweglicher werden, wir haben zu starre Strukturen“, schließt Holter.

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