Anerkennung ausländischer Abschlüsse

„Deutsche Arroganz“: Wo es bei der Fachkräfte-Einwanderung immer noch hakt

  • Giorgia Grimaldi
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Experten fordern mehr Tempo bei der Berufsanerkennung von Fachkräften aus dem Ausland. Obwohl die Reform zur Fachkräfte-Einwanderung in Kraft tritt, bleiben viele Baustellen.

„Wir brauchen mehr Akzeptanz“, sagt der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil am 20. Februar auf einer Tagung in Berlin. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben zur Veranstaltung „Wunsch und Wirklichkeit der Einwanderungsgesellschaft Deutschland“ geladen. In der Auftaktrede legt der SPD-Politiker dar, wie dringend Deutschland bei der Arbeitsmigration aufholen müsse.

Seit November 2023 tritt die Reform des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes schrittweise in Kraft. Während viele Veränderungen, etwa zum Einbürgerungsgesetz, erst in den kommenden Wochen Realität werden, sind einige Neuerungen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen bereits gültig. Wie diese angelaufen sind, darüber berät der Bundestag am Donnerstag, 22. Februar.

Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales

„Deutsche Arroganz“ bei Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Zwei Tage zuvor findet Heil klare Worte: „Diese Lahmarschigkeit können wir uns nicht leisten!“ Im Vergleich zu anderen Ländern, die ebenso Fachkräfte aus Drittstaaten anwerben, habe Deutschland aufgrund vieler Baustellen einen Wettbewerbsnachteil. Dazu gehörten bürokratische Hürden, Sprachbarrieren, überlastete Behörden und schleppende Digitalisierung.

„Die Dauer der Berufsanerkennung ist ein Problem“, schimpft Heil und spricht auch von „deutscher Arroganz“ gegenüber ausländischen Abschlüssen. Dabei fehlen laut Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bis 2035 sieben Millionen Fachkräfte in Deutschland.

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Expertin für Einwanderungsrecht über Anerkennung: „Ein unüberschaubarer Flickenteppich“

Warum der Anerkennungsprozess so lange dauert, kann Bettina Offer, Anwältin für Einwanderungsrecht, erklären. Durch die föderalen Zuständigkeiten und 1500 verschiedene Anerkennungsstellen sei Deutschland „ein unüberschaubarer Flickenteppich“. Welche Stelle zuständig sei, werde je nach Profession über diverse Bundes- und Landesgesetze geregelt.

Jan Krüger, Abteilungsleiter für Bildung beim DGB, berichtet, dass die Anerkennung oft mehr Zeit in Anspruch nehme, als Fachkräfte legal in Deutschland bleiben dürften. Entweder das Verfahren sei erfolgreich, „und derjenige kann in Deutschland beruflich tätig werden“. Oder, und das sei der wahrscheinlichere Fall – das Verfahren ende mit einer „Teilgleichwertigkeit“. Das heißt: Nur ein Teil der Ausbildung wird anerkannt. Der Rest muss nachgeholt werden.

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Brasilianischer Anwalt über das Ankommen in Deutschland als Fachkraft

„Spätestens jetzt wird es kompliziert“, erklärt Krüger. Denn nun benötigen Fachkräfte eine „Ausgleichsmaßnahme“. Doch wie finanziert die Person ihren Lebensunterhalt in dieser Zeit? Wo bekommt sie diese Ausgleichsmaßnahme her, wie lange dauert das? „Und ist das vereinbar mit den Fristen, die zur Qualifikationsanalyse gesetzt wurden?“, fragt Krüger und antwortet: „Meistens nicht.“

Bruno*, ein brasilianischer Anwalt, der 2017 nach Deutschland kam und seine Geschichte BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von IPPEN.MEDIA, erzählt hat, kennt dieses Verfahren. Ihm wurde trotz zehnjährigen Studiums und mehreren Jahren Berufserfahrung nur ein Staatsexamen anerkannt – zu wenig, um in Deutschland als Anwalt praktizieren zu dürfen. Will er in seiner Branche bleiben, bleibt nur eine Option: eine zweijährige Umschulung zum Rechtsanwaltsfachangestellten.

Schicksale wie Brunos gibt es viele, vor allem in den sogenannten reglementierten Berufen. Bei ihnen ist durch spezifische Rechts- und Verwaltungsvorschriften genau festgelegt, ob und wie die Berufsausübung erfolgen darf. Neben der Rechtsberatung betrifft das besonders die Branchen Gesundheit, Medizin und Pflege, Ingenieurswesen, Bau, Erziehung und Lehramt – genau die Berufe, in denen Deutschland bereits jetzt akuten Fachkräftemangel verzeichnet.

Experten fordern weitere Maßnahmen für Fachkräfte-Einwanderung

Ab März soll damit Schluss sein: Wer an einer Ausgleichsmaßnahme in Deutschland teilnimmt, darf künftig bis zu drei Jahre bleiben und eine Nebenbeschäftigung von bis zu 20 Stunden in der Woche ausüben. Die Einreise und der Einstieg in den Arbeitsmarkt sollen künftig auch mit niedrigem Deutsch-Niveau (A1) oder mit einem B2-Niveau in Englisch möglich sein. Neben einem akademischen Abschluss kann künftig auch berufspraktische Erfahrung für nicht-reglementierte Berufe qualifizieren.

Dennoch wünschen sich die Experten Nachjustierungen, etwa vereinheitlichte Unterlagen und Anforderungen, sowie mehr Personal, das besser auf interkulturellen Umgang geschult wird. Der Tenor der Veranstaltung ist eindeutig: Es muss allen klar werden, dass Deutschland ausländische Fachkräfte mehr braucht als die Fachkräfte Deutschland.

*Bruno möchte in diesem Artikel nur mit Vornamen genannt werden. Sein ganzer Name ist der Redaktion bekannt.

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