Sprengfallen und Hinterhalte

Unterirdische Gefahr: Hamas-Tunnel könnten Israels Bodenoffensive erschweren – hohe Verluste erwartet

  • Patrick Mayer
    VonPatrick Mayer
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Punktuell rückt die israelische Armee in den Gazastreifen ein, doch die große Bodenoffensive bleibt bislang aus. Experten warnen vor immensen Verlusten.

Gaza - Drei Wochen dauerte der Krieg in Israel nun schon, als in der Nacht auf Freitag (27. Oktober) erneut israelische Bodentruppen mit Kampfpanzern Merkava und Schützenpanzern Namer punktuell in den Gazastreifen eindrangen und Ziele der radikalislamistisch palästinensischen Hamas bekämpften. Darunter sollen etwa Abschussrampen für Panzerabwehrgranaten gewesen sein.

Bodenoffensive der israelischen Armee: Hohe Verluste unter Soldaten erwartet

Während die Israelis von den USA dringend 155-m-Artilleriegranaten brauchen, um Stellungen der Hamas zu beschießen, ließ die erwartete große Bodenoffensive weiter auf sich warten. Zuletzt wurde bei der Begründung vor allem darauf verwiesen, Tel Aviv wolle das Leben der verbliebenen 229 Geiseln, so die letzte Aktualisierung von Freitag (27. Oktober), nicht gefährden.

Ein weiterer Grund ist aber, dass die Verluste unter den eigenen Soldaten wegen des wahrscheinlich blutigen Häuserkampfes und des kniffligen Tunnelsystems der Hamas in Gaza zu hoch wären. Erneut haben Experten einen hohen Blutzoll im Falle einer israelischen Bodenoffensive prognostiziert – und auf die großen Herausforderungen bei einem Einmarsch in das Palästinensergebiet hingewiesen.

Tief unter der Erde: Das Tunnelsystem der radikalislamistisch palästinensischen Hamas im Gazastreifen.

Vier Panzer-Divisionen hatte Israel laut ZDF in den vergangenen zweieinhalb Wochen an den Grenzen des Gazastreifens zusammengezogen. Das sind etwa 40.000 bis 50.000 Soldatinnen und Soldaten. Frauen machen Schätzungen zufolge knapp ein Drittel der israelischen Armee aus. 258 Soldatinnen und Soldaten des jüdischen Staates wurden von der Terrormiliz Hamas seit dem heimtückischen Überfall am 7. Oktober getötet, hieß es am 15. Oktober.

Israel-Krieg gegen Hamas: Mindestens 258 israelische Soldatinnen und Soldaten getötet

Seither gab es keine Aktualisierung mehr der eigenen Verluste. Viele von ihnen wurden an jenem verhängnisvollen Samstagmorgen wohl im Schlaf getötet, als sie völlig unerwartet in ihren Grenzposten von den Hamas-Freischärlern überrumpelt wurden. Wegen der verzweigten und weitreichenden Tunnel im Küstenstreifen würden die Verluste an getöteten und verwundeten Soldaten nochmal deutlich steigen, glauben etliche Experten jetzt.

„Mir tut die israelische Armee leid, wenn sie jetzt nach Gaza einrückt. Überall gibt es Sprengfallen, dann noch die gefährlichen Tunnel. Ich weiß nicht, wie viele Soldaten ihr Leben lassen werden, um die Hamas zu zerschlagen. Das ist die komplizierteste Mission, die eine moderne Armee in unserer Zeit zu bewältigen hat“, meinte etwa Hamas-Experte Mossab Hassan Yousef im Interview mit dem US-Sender CNN. „Dieses Tunnelsystem ist geschätzt 400 Kilometer lang. (…) Das besteht aus sehr raffinierten Tunneln, wo ganze Autos transportiert werden können, auch Kämpfer, Waffen und Luxusgüter“, hatte Peter Neumann, Terrorismus-Experte am King’s College London, dem ZDF erklärt. Seinen Recherchen zufolge sei das Tunnelsystem in etwa so „groß wie die Londoner U-Bahn“.

Sicher ist, wir reden über ein immenses und weitverzweigtes Tunnelsystem, miteinander verbunden, das zwei Ziele hat: Von dort aus kann man kämpfen und sich gegen Angriffe wehren.

Militär- und Nahostexperte Harel Chorev in der ARD

„Wir wissen, es ist ein Netzwerk von Dutzenden Kilometern. Die Hamas versucht, uns Angst zu machen, indem sie sagt, es seien 500 Kilometer an unterirdischen Tunnelanlagen. Sicher ist, wir reden über ein immenses und weitverzweigtes Tunnelsystem, miteinander verbunden, das zwei Ziele hat: Von dort aus kann man kämpfen und sich gegen Angriffe wehren. Die Hamas hat da Milliarden an US-Dollar investiert“, erklärte dagegen Harel Chorev, Militär- und Nahostexperte beim Moshe-Dayan-Center in Tel Aviv, der „Tagesschau“ der ARD. Die Tunnel sollen teils 40 Meter unter der Erde liegen. Gesponsert wohl auch durch den Gastgeber der jüngsten Fußball-WM 2022, das Emirat Katar.

Tunnelsystem der Hamas in Gaza: Luftfilter und eigenes Stromnetz unter der Erde

„Da können sich die Hamas-Leute gut bewegen. Es gibt zusätzlichen Sauerstoff, Luftfilter, alles, was benötigt wird, um lange unter der Erde zu bleiben“, schilderte Chorev und zählte zudem Lager für Nahrungsmittel, eine unterirdische Wasserversorgung sowie ein eigenes Stromnetz auf. „Und wir wissen, dass sie innerhalb der Tunnelanlagen sogar Motorräder benutzen“, sagte er.

Umso schwieriger dürfte es für die israelische Armee werden, die Tunnel einzunehmen oder auszuschalten, insbesondere in den engen und teils von der eigenen Luftwaffe völlig zerbombten Straßen von Gazastadt. „Dafür werden sich die Israelis mit gepanzerten Mannschaftswagen bis zu den Tunneleingängen vorkämpfen müssen. Israelische Pioniere werden dann versuchen, die Tunnel zu sprengen“, erklärte Eckart Woertz, Direktor für Nahost-Studien des German Institute for Global and Area Studies (GIGA), dem Nachrichtenportal t-online.

Bodenoffensive Israels: Zerstörung der Tunnel nur unter hohen Verlusten?

„Da werden brutale Bilder entstehen, weil die Tunneleingänge im urbanen Gebiet liegen und bis dahin blutige Straßenkämpfe ausgefochten werden müssen“, meinte er: „Die Risiken sind erheblich. Vermutlich wird eine Bodenoffensive in Gaza sehr lange dauern, mehr als ein paar Wochen. (...) Dann stellt sich die Frage, ob Israel bereit ist, hohe Verluste in Kauf zu nehmen – womöglich auch den Tod der Geiseln.“ (pm)

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