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Kickls FPÖ greift nach der Macht: Worin Österreich eine Warnung für die Bundestagswahl ist
VonFlorian Naumann
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Herbert Kickl will Österreichs Regierung anführen. Eine Warnung vor der Bundestagswahl? Vielleicht nicht so, wie es zunächst scheint.
Österreich ist in Aufruhr: Am Montagmittag (6. Januar) hat Bundespräsident Alexander van der Bellen zum zweiten Mal nach der Nationalratswahl den Auftrag zur Regierungsbildung vergeben – diesmal an den FPÖ-Chef. Die scharf rechte Partei postete auf X ein Video des durch die prunkvollen Säle der Wiener Hofburg, den Amtssitz van der Bellens, schreitenden Parteiobmanns Herbert Kickl. Der Subtext scheint klar: Die FPÖ ist auf dem Weg zur Macht.
Ob sie tatsächlich dorthin gelangen wird, ist noch unklar. Auch eine Koalition mit der konservativen ÖVP will erstmal geschmiedet sein – denn Österreich knappst an Haushaltsproblemen und damit an Verteilungsstreitigkeiten. Doch die Alternative, das österreichische Äquivalent einer „großen Koalition“, ist in den Verhandlungen schnell gescheitert. Und eine Neuwahl, so fürchten Beobachter, könnte der FPÖ weitere massive Stimmenzuwächse bescheren. 28,8 Prozent lautete das Ergebnis im September 2024.
„Herr Kickl traut sich zu, hier im Rahmen von Regierungsverhandlungen tragfähige Lösungen zu finden – und er will diese Verantwortung.“
Ein Dilemma. Denn Kickl ist kein moderater Konservativer – sondern bereit, Verschwörungstheorien zu instrumentalisieren. „Er ist ein exzellenter Kommunikator, der sehr gefährliche Inhalte auf eine sehr sanfte Weise verpacken kann“, sagte der Salzburger Politologe Reinhard Heinisch IPPEN.MEDIA bereits vor der Wahl. Ein Vorbild habe Kickl im Nachbarland Ungarn: Viktor Orbán. Schon jetzt geistert eine Sorge durch das politische Berlin: Österreich könnte eine Warnung, vielleicht gar ein Omen, für Deutschland sein. Ist das so?
FPÖ in Österreich plötzlich am Drücker: Doch es gibt Unterschiede zur AfD
Ein wichtiger Unterschied: Die FPÖ spielt in Österreichs politischem System eine andere Rolle als die AfD in Deutschland. Teils inhaltlich – vor allem aber in ihrer Bedeutung. Heinisch sieht die FPÖ „deutlich populistischer“ als das deutsche Pendant, gerade im Sinne einer Kritik an „Eliten“. Abweichungen gibt es auch in sozialpolitischen Fragen. Als „links in der Sozialpolitik, aber sehr rechts in der Migrations- und Ausländerpolitik“, bezeichnete Politikanalyst Christoph Haselmeyer die FPÖ am Montag beim Sender n-tv. Wenngleich die FPÖ an Arbeitnehmerrechten sägt.
Vor allem aber hat die FPÖ in Österreich bereits tiefe Wurzeln geschlagen. Sie werde „viel mehr als normaler Bestandteil des Parteiensystems wahrgenommen“, sagte Heinisch unserer Redaktion. Haselmeyer verwies auch auf die aktuelle Beteiligung an „fünf Landesregierungen“. In der Steiermark amtiert seit Dezember mit Mario Kunasek gar ein FPÖ-Landeshauptmann, also Ministerpräsident.
Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel
Auch der Rechtspopulismusforscher Vicente Valentim verortete die FPÖ zuletzt bei IPPEN.MEDIA in einer anderen Entwicklungsstufe als die AfD. Eine wichtige Schwelle bei der „Normalisierung“ rechtsradikaler Positionen sei stets der Einzug in Parlamente. Aber eine Partei, die an Koalition beteiligt gewesen sei und Wahlen gewonnen habe, könne als „noch normaler“ wahrgenommen werden. Das sei der Hauptunterschied zwischen beiden Parteien. Die FPÖ war schon 1983 erstmals in einer österreichischen Bundesregierung vertreten, damals allerdings mit oberflächlich betrachtet liberalerem Antlitz.
FPÖ als Warnung für Deutschland: Vor der Bundestagswahl ist die Lage eine andere — noch
Tatsächlich scheint jedenfalls Anfang Januar 2025 unwahrscheinlich, dass die AfD bei den Bundestags-Neuwahlen am 23. Februar in eine vergleichbare Ausgangslage kommt. Die FPÖ war bei der Nationalratswahl stärkste Kraft geworden. Die AfD liegt in aktuellen Umfragen bei 18 bis 20 Prozent – und damit mehr als zehn Prozentpunkte hinter CDU und CSU.
Auch, dass sich ähnliche Koalitionsbildungsprobleme einstellen, scheint wenig wahrscheinlich. Vorgezeichnet scheint ein Bündnis von Union und SPD. Die Parteien dürften den Umfragen nach zu urteilen eine Mehrheit erhalten. Anderenfalls wäre auch noch eine schwarz-rot-grüne „Kenia-Koalition“ denkbar. Jedenfalls, wenn sich CSU-Chef Markus Söder nicht mit seiner Ablehnung gegen die Grünen durchsetzt. So oder so: Ein Kanzlerinnen- oder Kanzlerposten für die AfD scheint fast ebenso undenkbar, wie ein Pakt der scharf-rechten mit CDU und CSU. Deutschland wird 2024 also kaum eine Rechtsaußen-Regierung bekommen.
FPÖ und AfD: Deutschlands Bewährungsprobe folgt wohl nach der Wahl
Insofern greifen die Warnungen von Politik-Promis wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt oder Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) vielleicht etwas kurz. Dobrindt warnte vor Versäumnissen in Wirtschafts- und Migrationspolitik, die die „Ränder“ stärken könnten – wobei etwa Valentim scharfe Migrationsrhetorik eher als Treiber für rechtsextreme Kräfte sieht. Habeck mahnte „Bündnisfähigkeit“ an. Beides passt in die aktuelle Interessenslage der beiden Parteien.
Und doch steckt wohl ein Fünkchen Wahrheit in den Äußerungen – selbst, wenn Deutschland eine stabile Mitte-Koalition bekommen dürfte. Denn sowohl die Ampel-Koalition als auch Österreichs ÖVP-Grüne-Bündnis (und peinliche Pannen der oppositionellen SPÖ) legen nahe: Parteipolitischer Krieg auf offener Regierungsbühne, Unfähigkeiten und scheinbar oder tatsächlich fehlende Konzepte für Großprobleme spielen gerade der radikalen Opposition in die Karten. Die eigentliche Bewährungsprobe dürfte in den Koalitionsverhandlungen kommen: Gelingt ein energisches und im Schulterschluss vertretenes Regierungsprogramm? Oder bleibt die Flanke für die Populisten weit offen?
Wahl
Ergebnis FPÖ/AfD
scheidende Koalition
Bundestag 2025 (DE)
18-20% (Umfrage)
Ampel (SPD, Grüne, FDP)
Nationalrat 2024 (AT)
28,8 %
ÖVP, Grüne
Bundestag 2021 (DE)
10,3 %
GroKo (Union, SPD)
Nationalrat 2019 (AT)
16,2 %
ÖVP, FPÖ
Bundestag 2017 (DE)
12,6 %
GroKo (Union, SPD)
Nationalrat 2017 (AT)
26,0 %
SPÖ, ÖVP
Bundestag 2013 (DE)
4,7 %
Union, FDP
Sind Rechtspopulisten erst einmal in der Verantwortung, drohen langfristige Probleme. Eine Art „Entzauberungseffekt“ in der Regierung verwies der Politologe Endre Borbath bei FR.de ins Reich der Fabel. In Österreich war die FPÖ nach der jüngsten Regierungsbeteiligung zwar abgestürzt – das lag aber wesentlich an der Ibiza-Affäre. Und hat die Wählerschaft offenbar nur kurzfristig vergrault.
Valentim sieht die Beteiligung an der Macht als weitere Normalisierung. Ein indirektes Beispiel dafür könnten die Schwedendemokraten sein. Und Heinisch benannte seine Hauptsorge im September sehr klar. Die sei weniger, dass die FPÖ einmal bei 50 Prozent landen könnte. „Die Sorge ist eher, dass sie in der Regierung so die Verfassung ändert, dass sie eine mehrheitsverstärkende Macht bekommt.“ Orbán hat es vorgemacht. Zuvor könnte eine „Expertenregierung“ ein letzter Ausweg in Österreich sein. (fn)