Schützenhilfe aus der Mitte

Forscher erklärt: Warum AfD-Rhetorik aus dem Munde der CDU noch mehr Wirkung hat

  • Florian Naumann
    VonFlorian Naumann
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„Man darf ja nichts mehr sagen“ – ein Experte erkennt hinter diesem Satz ein Muster. Wenn andere Parteien AfD-Narrative übernehmen, habe es besondere Wirkung.

Wie konnten AfD, FPÖ und Co. so stark werden? Der Politikwissenschaftler Vicente Valentim versucht diese Frage in seinem neuen Buch „The Normalization of the Radical Right“ zu beantworten. In mehreren europäischen Staaten hat er einen mehrstufigen Prozess ausgemacht: Eine (gefühlte) Krise als Trigger, ein Moment der verbalen Regellosigkeit und ein Spiel von plötzlich erkennbarer politischer Nachfrage und Angebot stehen im Zentrum. Am Ende erodieren soziale Normen.

Welche Rolle aber spielen Parteien der Mitte, die sich auf scharfe Rhetoriken einlassen? Warum scheint der Prozess mancherorts noch weiter fortgeschritten? Und wieso ist trotz der offenbar bröckelnden Tabus gerade von Rechtsaußen immer wieder die These zu hören, man dürfe nichts mehr sagen? Im Interview mit FR.de von IPPEN.MEDIA erklärt Valentim weitere Erkenntnisse aus seiner Forschung.

AfD und das „Man darf ja nicht sagen...“: „Das ist eine Mobilisierungstechnik“

Herr Valentim, „man darf ja nicht mehr sagen, dass ...“ – dieser Satz begegnet einem in Deutschland regelmäßig. Warum ist er – auch, aber nicht nur – für das extreme Lager so zentral?
Das ist tatsächlich nicht nur in Deutschland, sondern über ganz Europa hinweg zu hören. Rechtsradikale nutzen diese Wendungen immer wieder. Oder sie verweisen auf „political correctness“ – was eine andere Art ist, dasselbe zu sagen. Ich denke, sie nutzen dieses Muster bewusst, weil es eine gewisse Anzahl von Menschen in der Gesellschaft gibt, die diesen Eindruck haben.
Politologe Vicente Valentim.
Obgleich der Satz paradox ist, denn im selben Atemzug ist die vermeintlich verbotene Haltung ja ausgesprochen. Sie sind zum Schluss gekommen, dass rechtsradikale Parteien soziale Normen der Gesellschaft erfolgreich schleifen; geächtete, oft menschenfeindliche Haltungen werden sagbar. Wie passt dieser Standardsatz da hinein?
In gewisser Weise geben diese Politiker Meinungen eine Stimme, die bereits als Gedanken in den Köpfen von Wählerinnen und Wählern existieren, aber nicht in der Öffentlichkeit ausgesprochen werden. Mehr noch: Sie betonen den Umstand, dass es soziale Normen gegen diese Haltungen gibt. Und sie sagen typischerweise implizit oder explizit, dass diese Normen verschwinden sollten. Die betreffenden Wählenden sollen zum Schluss kommen, dass sie diese Politiker wählen sollten, wenn sie diese Normen satthaben. Unter dem Strich ist das eine Mobilisierungstechnik.

FPÖ, AfD, Nachahmer und die Folgen: „Hat definitiv eine Auswirkung auf die Gesellschaft“

Mir scheint, es gibt zwei Arten dieser „Man darf nicht sagen, dass ...“: In Deutschland gibt es Standpunkte, die stets verpönt waren, an denen die AfD nun rüttelt. Etwa, wenn es um das Gedenken an den Holocaust geht. Andere sprachliche „Normen“ sind neuer, beispielsweise wenn es um Rücksichtnahme auf die Gefühle von Minderheiten geht.
Ich denke, Sie haben recht, dass sich soziale Normen über die Zeit verändern und von Ort zu Ort unterschiedlich sein können. Es gibt sehr alte Regeln – einige Standpunkte wurden über Jahrzehnte hinweg als No-Go bewertet. Andere sind mit der Entwicklung der Gesellschaft, mit dem Wechsel der Generationen, erst entstanden. Schlussendlich geht es in beiden Fällen aber um soziale Normen. Und ein Spezifikum rechtsradikaler Parteien ist, dass sie dazu tendieren, bewusst und explizit alle erdenklichen Regeln ihres jeweiligen Landes zu brechen.
In Österreich ist der Diskurs teils noch etwas weiter radikalisiert. FPÖ-Chef Herbert Kickl hat im Wahlkampf offen „Remigration“ gefordert, sich als „Volkskanzler“ inszeniert – und die FPÖ hat die Wahl gewonnen. Ist das möglich, weil die FPÖ schon wesentlich länger als die AfD in den Parlamenten sitzt?
Im Buch beschäftige ich mich vor allem mit dem Moment, in dem Parteien in Institutionen und Parlamente eintreten. Das ist aus meiner Sicht ein Schlüsselmoment der Normalisierung – nach dem Einzug ins Parlament werden Parteien als wesentlich normaler oder akzeptabler empfunden. Aber das heißt nicht, dass das das Ende der Entwicklung ist.
Sondern?
Es gibt Raum für eine weitere „Normalisierung“: Eine Partei, die so lange Teil der Politik ist wie die FPÖ, über alle Schwellen der Normalisierung hinweg, bis zu Koalitionsbeteiligungen und nun sogar Wahlsiegen, kann als „noch normaler” wahrgenommen werden. Aber ich denke, da geht es eher um das Überschreiten solcher Schwellen als nur um verstreichende Zeit. Der Unterschied zwischen FPÖ und AfD ist weniger, dass eine Partei älter ist als die andere. Sondern, dass die FPÖ bereits Teil der Regierung war und jetzt die Wahl in Österreich gewonnen hat.

Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel

Die AfD liegt in den Umfragen zur Bundestagswahl 2025 an zweiter Stelle.
Die AfD liegt in den Umfragen zur Bundestagswahl 2025 an zweiter Stelle. Anders als jahrelang üblich, gab es bei ihrem Bundesparteitag im Januar 2025 in Riesa kaum große Streitthemen. Auch die Mitglieder des AfD-Bundesvorstands verbreiteten Harmonie (von links nach rechts): Carsten Hütter, Alice Weidel, Tino Chrupalla, Peter Boehringer und Heiko Scholz. In Riesa beschloss die AfD ihr Wahlprogramm.  © Sebastian Kahnert/dpa
Auf dem Parteitag wurde Parteichefin Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin gekürt.
Im Mittelpunkt des Parteitags stand Alice Weidel, die die AfD mit einer schrillen Rede auf den Wahlkampf einschwor. Vor allem mit ihrer rigorosen Wortwahl schien sie den Nerv der Partei zu treffen. So forderte sie Rückführungen im großen Stil: „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ Zuvor hatte sie diesen Begriff vermieden.  © Jens Schlüter/AFP
AfD-Bundesparteitag in Riesa
Tatsächlich ist nach Riesa rhetorisch kein Unterschied mehr zwischen Weidel und den Rechtsextremen auszumachen. Immer wieder gelang es ihr, die düstere AfD-Seele mit ihrer scharfen Wortwahl zu massieren. So prägte sie auch den irren Begriff ,,Windmühlen der Schande“.  © Sebastian Kahnert/dpa
AfD Parteitag 2013 in Berlin
Wie aber kam es zum Aufstieg der AfD? Los ging alles am 6. Februar 2013, als 18 Menschen im hessischen Oberursel (Taunus) die Partei „Alternative für Deutschland“ gründeten. Der erste AfD-Parteitag fand bereits am 14. April 2013 statt (im Bild). Bei der Bundestagswahl im selben Jahr erzielte die neue Partei aus dem rechten Spektrum auf Anhieb 4,7 Prozent – das beste Ergebnis, das eine neu gegründete Partei jemals bei ihrer ersten Bundestagswahl erzielen konnte.  © imago
Landesparteitag der AfD am 11. Januar 2014 in Gießen
Nahezu von Anfang begleiten Gegendemonstrationen die AfD-Veranstaltungen - wie hier der Landesparteitag am 11. Januar 2014 in Gießen. Der rechtspopulistischen Partei werden immer wieder Demokratie- und Europafeindlichkeit vorgeworfen. © imago stock&people
Dr. Konrad Adam, Journalist und Mitgebründer der Alternative für Deutschland (AfD)
Als einer der Gründungsväter der AfD gilt Konrad Adam. Der 1942 in Wuppertal geborene Journalist arbeitete für die Tageszeitungen FAZ und Welt. Zunächst war er Gründungsmitglied der eurokritischen Wahlalternative 2013 und wurde noch im selben Jahr einer von drei Bundessprechern der neu gegründeten AfD. Wie viele andere war Adam ursprünglich CDU-Mitglied, ehe er – vermutlich aus Enttäuschung über die als linksliberal wahrgenommene Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – eine neue Heimat in der AfD fand. Zwei Jahre blieb Adam Bundessprecher, doch bereits im Dezember 2015 begann er, sich von der Partei zu distanzieren. 2020 kündigte er seinen Austritt aus der AfD an, der am 1. Januar 2021 in Kraft trat. © imago
Konrad Adam, Bernd Lucke und Alexander Gauland auf dem ersten Parteitag der AfD in Berlin.
Das bekannteste Gesicht der AfD-Gründungsphase gehört dem Mann mit erhobenen Armen: Bernd Lucke. Geboren 1962 in West-Berlin und aufgewachsen in Nordrhein-Westfalen, studierte Lucke Volkswirtschaftslehre und wurde später in Hamburg Professor. Mit 14 Jahren trat Lucke in die CDU ein und verließ die Union 33 Jahre später, weil er mit der Eurorettungspolitik nicht einverstanden war. Der Euro und die EU wurden zu den zentralen Kritikpunkten, die Lucke in den folgenden Jahren bezogen auf die Bundespolitik äußerte. Ergebnis dieser Kritik war zunächst die eurokritische Wahlalternative 2013, aus der am 14. April 2013 die AfD hervorging. © imago
rof. Dr. Bernd Lucke im Wahlkampf für die AfD
Bereits im September 2013 engagierte sich Prof. Dr. Bernd Lucke im Wahlkampf für die AfD, wie hier auf einer Veranstaltung in Magdeburg. © IMAGO/Zoonar.com/Axel Kammerer
Bernd Lucke als Vorsitzender der AfD auf einem Parteitag
Auch Bernd Luckes Zeit in der AfD war nur eine kurze. 2014 ging er noch als Spitzenkandidat der „Alternative für Deutschland“ in den Wahlkampf für die anstehende Europawahl. Bis 2019 war Lucke im Anschluss Mitglied im Europäischen Parlament. Doch bereits 2015 deutete sich an, dass Lucke im internen Machtkampf in der AfD den Kürzeren ziehen könnte. Führende Köpfe der AfD wie Björn Höcke gerieten in Konflikt mit dem Vorsitzenden. Lucke ging und trat 2015 aus der AfD aus. Er gründete die nächste Partei: die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA). © imago
Olaf Henkel GER Berlin 20150112 Alternative für Deutschland Prof Hans Olaf Henkel Veranstaltun
Anfang 2014 wurde die AfD-Mitgliedschaft von Professor Hans-Olaf Henkel bekannt. Einen Namen machte sich Henkel als erfolgreicher Manager bei IBM. Später wechselte er auf die Verbandsebene und wurde Präsident des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie). 2014 zog er für die AfD ins Europaparlament ein. Für ein Jahr war Henkel sogar stellvertretender Bundessprecher der „Alternative für Deutschland“. 2015 trat Hans-Olaf Henkel wieder aus der AfD aus. © imago
Hans-Olaf Henkel, hier mit Ehefrau Bettina und ihrer Zwillingsschwester Almut
Seinen Bruch mit der AfD begründete Hans-Olaf Henkel, hier mit Ehefrau Bettina und ihrer Zwillingsschwester Almut beim Bundespresseball 2019, mit dem Rechtsruck der Partei. Gegenüber dem WDR bezeichnete Henkel die AfD im Jahr 2015 als „eine Art NPD-light, vielleicht sogar identisch mit der NPD“. Sein Engagement bei der AfD sieht Henkel mittlerweile offenbar kritisch: „Wir haben ein Monster erschaffen.“ © VISTAPRESS / G. Chlebarov via www.imago-images.de
Deutschland Essen Grugahalle 4 Ausserordentlicher AfD Parteitag Bernd Lucke nach der Wahl von F
Auf Bernd Lucke folgte an der Parteispitze der AfD Frauke Petry. Die studierte Chemikerin wurde 1975 in Dresden geboren. 2013 war sie bereits neben Lucke eine der drei Parteisprecherinnen der AfD. Außerdem wurde sie im selben Jahr zur Vorsitzenden der AfD Sachsen gewählt.  © imago
Frauke Petry AfD
Im Juli 2015 schließlich kam es zum internen Machtkampf in der AfD, den Petry für sich entscheiden konnte. Doch schon zwei Jahre später war auch für sie wieder Schluss. Ende September 2017 trat sie aus der AfD aus und gründete wie Lucke ihre eigene kleine Partei: Petry nannte sie „Die blaue Partei“. © Michael Kappeler/dpa
Prof. Dr. Jörg Meuthen (M.), Bundessprecher der AfD, Deutschland, Berlin, Bundespressekonferenz, Thema: AfD - Zu den Bu
Ein ähnliches Schicksal wie Petry und Lucke ereilte auch Jörg Meuthen (Mitte). Der 1961 in Essen geborene studierte Volkswirt wurde 2015 zu einem der zwei Bundessprecher der AfD gewählt. 2019 gelang ihm der Sieg bei der Wahl zum ersten Bundesvorsitzenden der AfD. Doch schon 2021 erklärte Meuthen, nicht erneut für den Vorsitz kandidieren zu wollen. 2022 folgte dann der endgültige Austritt aus der Partei. Der ließ sich auf seine Niederlage im Machtkampf mit Björn Höcke und den rechtsextremen Kräften innerhalb der AfD zurückführen. © M. Popow/Imago
Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA)
Auftrieb erhielt die AfD auch durch ihre Nähe zur Pegida-Bewegung. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) demonstrierten ab 2014 in Dresden und später in weiteren Städten. Immer wieder schlossen sich AfD-Leute den Demonstrationen an, darunter 2018 in Chemnitz auch Björn Höcke. © Ralf Hirschberger/dpa
Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg
Auch Adel findet sich unter den Führungspersönlichkeiten der AfD: Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, war einst bei der FDP und gehörte 2013 zu den Gründungsmitgliedern der AfD. Sie war von Dezember 2019 bis Juni 2022 stellvertretende Bundessprecherin ihrer Partei. Seit Oktober 2017 ist sie eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion. © Moritz Frankenberg/dpa
Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein im Sitzungssaal des schleswig-holsteinischen Landesverfassungsgerichts.
Auch Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein wurde aus der AfD ausgeschlossen. Sayn-Wittgenstein soll für einen rechtsextremistischen Verein geworben haben, der auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD stand. Doch die 1954 geborene Rechtsanwältin wehrte sich erfolgreich gegen den Parteiausschluss, den ein Bundesschiedsgericht 2019 beschlossen hat. Im April 2021 urteilte das Landgericht Berlin, dass der Ausschluss aufgrund formaler Fehler unwirksam sei. Damit war sie wieder Parteimitglied. Im Februar 2024 zog der AfD-Bundesvorstand seine Berufung beim Berliner Kammergericht zurück, wodurch das Urteil rechtskräftig geworden ist.  © Marcus Brandt/dpa
Alexander Gauland, heute AfD-Mitglied, früher Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung
Ein Urgestein der AfD, das all die personellen Wechsel überstanden hat und immer noch da ist: Alexander Gauland. Geboren 1941 in Chemnitz, war Gauland vor seiner aktiven politischen Karriere Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ). CDU-Mitglied wurde der gelernte Jurist bereits 1973, ab 1987 übernahm er verschiedene politische Ämter, vor allem für die Union in Hessen. CDU-Mitglied blieb Gauland bis 2013, ehe er die AfD mitgründete. Im Jahr 2017 wurde Gauland Bundessprecher der AfD (bis 2019). Von 2017 bis 2021 war er neben Alice Weidel einer von zwei Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion. 2021 gab er dieses Amt wieder ab, blieb der Partei aber als Ehrenvorsitzender erhalten. © imago
AfD-Chefin Alice Weidel
Alice Weidels Aufstieg in der AfD begann mit ihrem Parteieintritt im Jahr 2013. Zwei Jahre später wurde sie bereits in den Bundesvorstand gewählt. 2017 ernannte sie die Partei zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl. Im selben Jahr wurde Weidel neben Alexander Gauland Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, die sie vier Jahre lang führte. © Sebastian Kahnert/dpa
Alice Weidel wohnt mit ihrer Partnerin Sarah Bossard
Alice Weidel wohnt mit ihrer Partnerin Sarah Bossard in einer eingetragenen Partnerschaft zusammen. Das Paar hat zwei Söhne. (Archivbild) © Michael Buholzer/dpa
Tino Chrupalla bei der AfD
Neben Alice Weidel machte in den vergangenen Jahren vor allem Tino Chrupalla bei der AfD von sich reden. Einst Mitglied der Jungen Union und nach eigenen Angaben langjähriger CDU-Wähler, trat Chrupalla 2015 in die AfD ein. 2017 zog er für die Rechtspopulisten in den Bundestag ein. Im selben Jahr wurde er zu einem von fünf stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion gewählt. © imago
Tino Chrupalla neben Jörg Meuthen
Im Jahr 2019 wurde Tino Chrupalla neben Jörg Meuthen zum Bundesvorsitzenden der AfD.  © Julian Stratenschulte
Alice Weidel und Tino Chrupalla
In den Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 zog die AfD mit einer Doppelspitze, bestehend aus Alice Weidel und Tino Chrupalla. Beide stehen seitdem als Bundessprecherin und Bundessprecher an der Spitze der Partei.  © Kay Nietfeld/dpa
Björn Höcke war zwar nie Vorsitzender der AfD,
Björn Höcke war zwar nie Vorsitzender der AfD, gilt aber dennoch als einer der einflussreichsten Personen innerhalb der rechtspopulistischen Partei. Wie Chrupalla gibt auch er an, einst überzeugter Anhänger der CDU und Mitglied der Jungen Union gewesen zu sein. 2013 trat er der AfD bei. © Christoph Soeder/dpa
Björn Höcke den AfD-Landesverband
Ebenfalls 2013 gründete Björn Höcke den AfD-Landesverband in Thüringen. Kurze Zeit später kam es zum Streit mit dem damaligen Bundesvorstand der AfD, der 2017 sogar den Parteiausschluss Höckes beantragte. Den Machtkampf mit der alten Garde der AfD gewann aber Höcke. Er ist weiterhin Parteimitglied, während Widersacher wie Bernd Lucke, Frauke Petry oder Jörg Meuthen die Partei verlassen haben. © Sebastian Kahnert/dpa
André Poggenburg in Leipzig
Anders erging es da einem einstigen Verbündeten von Björn Höcke: André Poggenburg. Gemeinsam mit Höcke hatte der ehemalige Vorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt 2015 ein Positionspapier des „AfD-Flügels“ verfasst und damit wie Höcke den Ärger der Parteiführung auf sich gezogen. 2019 plante der AfD-Bundesvorstand, Poggenburg für zwei Jahre von allen Parteiämtern auszuschließen. Dazu kam es nicht, denn Poggenburg trat kurz darauf aus der AfD aus und gründete in alter Tradition ehemaliger AfD-Politiker eine eigene Partei unter dem Namen „Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“. Inzwischen ist er parteilos. © Sebastian Willnow/dpa
AfD-Parteitag Riesa - Proteste
Mit dem Aufstieg der AfD zur bundesweiten Größe und dem Einzug in zahlreiche Landesparlamente sowie den Deutschen Bundestag mehrte sich auch der Protest gegen die Rechtspopulisten. Der AfD-Bundesparteitag in Riesa im Januar 2025 wurde von zahlreichen Demonstrationen begleitet. © Daniel Wagner/dpa
AfD-Bundesparteitag in Riesa mit Alice Weidel
Die Proteste hielten die Delegierten auf dem AfD-Bundesparteitag aber nicht davon ab, Alice Weidel zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 zu ernennen. Die AfD stellt damit erstmals in ihrer Geschichte eine eigene Kanzlerkandidatin. © Sebastian Kahnert/dpa
Wirkt das Verschieben dieser verbalen Grenzen nachhaltig auf die Gesellschaft?
Das hat definitiv eine Auswirkung auf die Gesellschaft hat. Das ist eines der Kernargumente meines Buches: Wenn Parteien und Politiker Erfolg haben, obwohl sie diese Ansichten äußern, halten Wähler diese Standpunkte für akzeptabler, als sie selbst zuvor dachten. Wenn Sie Deutschland und Österreich vergleichen: Der Fakt, dass in Österreich gewisse Äußerungen möglich sind, die in Deutschland noch undenkbar sind, kann mit der langen Existenz und den Erfolgen der FPÖ zu tun haben. Sie konnte die Grenzen über die Zeit weiter verschieben. Und eine Hauptfrage für die Gesellschaft ist, was Menschen in ihrem Alltag, in ihren Gesprächen mit Freunden, Familie, Kollegen für sagbar halten.

AfD-Rhetorik bei der CDU „erodiert Normen sogar noch mehr“

Einige Fachkolleginnen und -kollegen meinen auch, dass teils die Parteien der politischen Mitte mit einer Annäherung an Rechtsaußenpositionen Schützenhilfe leisten.
Arbeiten von meinem Kollegen Tarik Abou-Chadi und mir zeigen tatsächlich, dass sich – grob gesprochen – nach Erfolgen der radikalen Rechten alle Parteien im politischen Spektrum diesen rechtsradikalen Positionen annähern. Das ist ein Muster, das sich in vielen Ländern zeigt. Für ein Paper habe ich mit Kollegen in Deutschland untersucht, welchen Einfluss das auf soziale Normen hat: Wir haben Antimigrations-Statements der AfD mit sehr ähnlichen Äußerungen der CDU verglichen.
Zitate von Friedrich Merz (li.) und Roland Koch dienten in einer Studie als Forschungsvorlage. (Archivbild)
Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Was wir herausgefunden haben: Wenn die CDU Rhetoriken annimmt, die typisch für Rechtsradikale sind, erodiert sie die Normen sogar noch mehr, als es die AfD tut. Dafür gibt es natürlich mehrere Erklärungsansätze. Einer ist, dass in einem Moment des Erfolgs der AfD alle denkbaren Erosionen schon geschehen sind. Unsere These ist aber, dass Mainstreamparteien wie die CDU stärker als Teil des politischen Systems angesehen werden. Sie haben viel mehr Macht, der Gesellschaft zu zeigen, was akzeptabel ist. Wie andere Parteien auf den Erfolg Rechtsradikaler reagieren, ob sie Rhetoriken übernehmen oder nicht, ist entscheidend dafür, wie sich die Wahrnehmung des Akzeptablen und Inakzeptablen auf längere Sicht in der Gesellschaft entwickelt.

AfD holt scharf-rechte Stimmen ins Parlament: Experte sieht zwei denkbare Wertungen

Das sind erstmal nüchterne Befunde. Aber es stecken ja größere Fragen des „Richtig und Falsch“ dahinter.
Ich betreibe empirische Arbeit, ich bin kein normativer Philosoph. Ich denke, dass die Erkenntnisse in meinem Buch mit zwei verschiedenen normativen Standpunkten vereinbar sind. Einer lautet, dass diese Entwicklungen gut sind, weil Menschen Sichtweisen hatten, die sich nicht in die politische Diskussion übersetzten. Nun tun sie das. Das kann man als etwas sehen, worum sich Demokratien bemühen sollten.
Und die andere?
Der andere Standpunkt ist, dass das eine schlechte Entwicklung ist – denn wenn sich Individuen mit rechtsradikalen Sichtweisen stärker berechtigt fühlen auf Grundlage ihrer Haltungen zu agieren, kann das allerhand negative Effekte haben, etwa mit Blick auf Gängelung von oder sogar Gewalt gegen Minderheiten.
Ich ganz persönlich, als Bürger, teile diese Meinung. Ich denke, selbst wenn man in Sachen Repräsentation etwas gewinnt – die einhergehenden Verluste, mit Blick auf Minderheiten und unterprivilegierte Gruppen, die sich weniger sicher als zuvor fühlen, sind das nicht wert. Natürlich habe ich mein Buch auch vor Leuten präsentiert, die es mit ersterer Variante halten. Ich verstehe das und es ist mit den Erkenntnissen des Buches kompatibel. Aber als Bürger, nicht so sehr als Wissenschaftler, habe ich eine andere Meinung. (Interview: Florian Naumann)

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