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SPD-Spitzenkandidatin: „Konservative sowie Liberale verharmlosen und normalisieren Rechtsextreme“
VonMoritz Maier
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Katarina Barley, Europa-Spitzenkandidatin der SPD, teilt gegen die politische Konkurrenz aus. Sie spricht über den Rechtsruck, bröckelnde Brandmauern und Ihren Nachfolger im Justizministerium.
Berlin – Katarina Barley geht im Vorfeld der Europawahl in die Offensive. Die SPD-Spitzenkandidatin und derzeitige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments kritisiert im Interview mit IPPEN.MEDIA Konservative und Liberale, die sich ihr zufolge nach rechts nicht mehr konsequent abgrenzen. Trotz europaweitem Rechtsruck sieht Barley auch einen stärkeren europäischen Geist bei den Menschen.
Frau Barley, Sie sind auf Wahlkampftour in Deutschland unterwegs. Ihr Problem ist: EU-Themen reißen die Menschen eher selten von den Stühlen, oder?
Inzwischen bin ich seit fünf Jahren in Sachen Europa unterwegs, und die Wahrnehmung Europas hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Die Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Energieknappheit, überall war Europa Teil der Lösung. Das Bewusstsein der Menschen, wie kostbar Europa ist, findet nun mehr Ausdruck, die Menschen sind aktiver und engagierter.
Katarina Barley ist Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl. Nun teilt Barley gegen Konservative und Liberale in ganz Europa aus und wirft ihnen zu wenig Abgrenzung nach rechts vor.
Die Europawahl hatte bei vielen Wählerinnen und Wählern früher nicht gerade den höchsten Stellenwert.
Die Menschen fühlen sich von europäischen Fragen mittlerweile viel stärker angesprochen und sagen: „Das geht mich etwas an.“ Mein jahrelanges Engagement für Demokratie und Rechtsstaat auf EU-Ebene – was manchem früher zu abstrakt war – das ist vielen Menschen jetzt ganz nah.
Seit den bekannt gewordenen Abschiebe-Plänen von Rechtsaußen stehen Grundsatzfragen unserer Gesellschaft im Fokus. Ist die Mobilisierung der Menschen gegen Rechtsextremismus ein rein deutsches Phänomen?
Europa schaut ganz genau auf Deutschland. Außer in Österreich gehen bisher in keinem anderen Land Menschen auf die Straße. Dabei haben wir leider schon einige Regierungen mit rechtsextremer Beteiligung. Dass Menschen in Deutschland für Demokratie, Vielfalt, Miteinander und gegen Rechtsextremismus einstehen, ist ein Riesenthema in Europa und ein wichtiges Signal.
Und trotzdem wird der rechte Rand im neuen EU-Parlament wohl wachsen. Besonders bei jungen Menschen kommen Parteien wie die AfD neuerdings gut an. Wie wollen Sie die davon überzeugen, ihr Kreuz nicht bei einer Dexit-Partei zu machen?
Wie das Europäische Parlament zusammengesetzt wird, entscheiden keine Umfragen oder Talkshows, das entscheiden die Menschen selbst am 9. Juni. Da machen mir die Demonstrationen gerade viel Hoffnung. Aber es gibt auch Gefahren. Junge Menschen beziehen ihre Informationen oft über YouTube und TikTok. Für die Reichweite auf diesen Plattformen bezahlen Rechtsradikale viel Geld, um Desinformation zu verbreiten. Wladimir Putin betreibt alleine in Deutschland mindestens 50.000 Bots, also Accounts ohne echten Menschen dahinter, die ausschließlich die aktuelle Regierung schlechtmachen. Dagegen anzukämpfen ist nicht leicht. Denn wir nutzen solche Mittel nicht, das dürfen und wollen wir nicht.
Was ist also stattdessen Ihr Plan?
Wir gehen mit einem positiven Blick auf Europa in die sozialen Netzwerke. Wir erklären, dass jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland an der EU hängt. Dass sie zur Ausbildung, dem Studium, zur Arbeit oder dem Schüleraustausch einfach ins europäische Ausland gehen können. Das Problem ist mittlerweile, dass die Freiheiten der EU für selbstverständlich gehalten werden. Deshalb müssen wir den Wert der EU immer wieder herausstellen, das geht am Ende auch mit dem Verweis auf den Brexit und die Situation der Menschen dort.
Dennoch: Rechte Parteien mit Anti-EU-Kampagnen sind in vielen Mitgliedstaaten bereits in Machtpositionen. Wenn Regieren ohne solche Parteien aber nicht mehr möglich ist, müssen Parteien dann nicht die bittere Pille schlucken und versuchen, Kompromisse zu finden?
Man muss schon vor der Wahl ansetzen und die Brandmauer nach rechts klar ziehen. Oft ist es so: Konservative und sogar Liberale reden demokratisch, blinken aber nach rechts. Das sehen wir momentan, wenn Konservative sagen, bei Rechtsextremen müsse man gucken, ob alle gleich schlimm seien und darauf verweisen, mit einer Giorgia Meloni in Italien könne man ja zusammenarbeiten. Darin liegt bereits der Fehler: Konservative sowie Liberale verharmlosen und normalisieren Rechtsextreme. Und das Problem ist, dass sie das auch nicht lernen.
Was meinen Sie?
Bei den Wahlen in den Niederlanden konnte man das bestens beobachten. Geert Wilders und seine rechten Ansichten sind nicht neu, alle kennen ihn seit 20 Jahren. In Wahlumfragen lag er die ganze Zeit auf Platz vier. Das änderte sich genau in dem Moment, als die Liberalen sagten, sie schließen eine Zusammenarbeit nicht mehr aus und ihn so salonfähig machten. Das war zwei Wochen vor der Wahl, dann wurde Wilders Partei stärkste Kraft. Es ist also wichtig, was vor einer Wahl passiert.
Konservative und Liberale kommen bei Ihnen nicht gut weg.
Sowohl die Konservativen als auch die Liberalen grenzen sich nach rechts nicht konsequent ab. Das sehen wir ja bereits in Finnland und Italien. In Schweden lassen sich Liberale von radikal Rechten tolerieren. Das ist einfach falsch.
Sie als Sozialdemokratin schließen also jede Zusammenarbeit mit rechts aus?
Ja, darin liegt die Geschichte unserer Partei. Wir arbeiten nicht mit Rechtsradikalen. Und wir machen keine Unterscheidung darin, ob manch eine Politikerin wie Meloni nun nach außen europafreundlicher auftritt. Zu Hause macht auch sie das, was Rechtsextreme tun.
Die reine Abgrenzung nach rechts ist noch kein Wahlkampfprogramm. Letztlich spielt es doch der AfD in die Karten, wenn alle Parteien der Mitte sich nur noch darauf beziehen. Was ist Ihre Vorstellung von Europa, mit der Sie sich auch von den anderen Parteien unterscheiden?
Wir verbinden eine starke Wirtschafts- und Standortpolitik mit sozialen Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Klimaschutz. Während Konservative oder Wirtschaftsliberale Europa auf den Wirtschaftsraum und Binnenmarkt reduzieren wollen, wollen wir eine soziale Union. Das ist der Grundgedanke der EU, von Anfang an sollten darin auch Arbeits- und Lebensbedingungen verbessert werden.
Zu Ihren politischen Schwerpunkten gehört auch die Gleichstellung von Mann und Frau. Bei der gleichen Bezahlung und Frauen in Führungspositionen läuft es in EU und Deutschland noch nicht rund.
Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Deutschland ist da im europäischen Vergleich schlecht. Die Lohnlücke wirkt sich natürlich auch bei den Renten der Frauen aus. Außerdem müssen Frauen gleichberechtigt vertreten sein. Das hat Einfluss darauf, wie sich eine Gesellschaft entwickelt.
Das fordern Politikerinnen und Politiker schon lange, die Probleme aber bleiben bestehen. Brauchen Deutschland und Europa mehr verbindliche Frauenquoten, um den Stein ins Rollen zu bringen?
Es ist schade, dass wir Quoten brauchen, aber ohne sie bewegt sich nichts. Ein Beispiel aus der Politik: 1919 durften in Deutschland erstmals Frauen ins Parlament einziehen. Bis in der Bundesrepublik der Anteil von Frauen im Parlament über zehn Prozent lag, hat es bis 1987 gedauert! Und selbst dieser wurde nur erreicht, weil Grüne und SPD eine Quote eingeführt hatten. Ohne Quote hatte sich über 60 Jahre lang nichts getan. Dasselbe gilt in der Wirtschaft. Die Vorstellung, dass Qualität sich schon durchsetze und sich das von selbst regle, stimmt leider nicht.
In der europäischen Wirtschaft sollen laut EU-Regeln ab 2026 verpflichtende Quoten von bis zu 40 Prozent in Aufsichtsräten und Vorständen gelten. Wenn schon Quote, wieso dann keine Gleichverteilung?
Am Ende ist es nicht die entscheidende Frage, ob es 40 oder 50 Prozent sind. Sondern es geht darum, dass der Mechanismus akzeptiert wird. Wir brauchen eine kritische Masse an Frauen. Denn: Menschen rekrutieren Menschen, die ihnen ähnlich sind. Rein männliche Führungsetagen stellen auch eher Männer ein. Das ist lange erwiesen.
Neben der fehlenden Teilhabe ist Gewalt gegen Frauen das große Problem. Auf EU-Ebene sollten Strafen vereinheitlicht werden. Deutschland verhinderte bei der Gewaltschutzrichtlinie jedoch, dass Vergewaltigungen überall schärfer bestraft werden. Wieso?
Auf EU-Ebene wurde diese Gewaltschutzrichtlinie beschlossen. Sie verpflichtet die Staaten, für einen Mindestschutz der Frauen zu sorgen. Wie die Staaten das im Einzelfall machen, bleibt ihnen selbst überlassen. Vergewaltigung ist die schlimmste Form sexueller Gewalt, deren Opfer Frauen deutlich häufiger sind. Sie hat es aber nicht hineingeschafft. Dafür konnten wir das deutsche Justizministerium nicht gewinnen.
Haben Sie als ehemalige Justizministerin darüber mit Marco Buschmann (FDP), Ihrem Nachfolger, gesprochen?
Ich habe ihn kontaktiert. Er sagt, dass dafür die Gesetzgebungszuständigkeit fehle. Ich sehe das anders. Als Rechtsgrundlage für den europäischen Beschluss gilt sexuelle Ausbeutung. Und dann heißt es vom Justizministerium, Vergewaltigung falle nicht darunter. Beschneidung oder Genitalverstümmelung ist in deren Argumentation dagegen sehr wohl sexuelle Ausbeutung. Da geht es meiner Meinung nach um eine Frage des Wollens. Ich finde das sehr schade.