FDP in der Krise
D-Day-Affäre: Lindner mit Rücktrittsforderung aus den eigenen Reihen konfrontiert
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Franziska Schwarz
Jens Kiffmeier
Bedrettin Bölükbasi
Felix Busjaeger
Jakob Koch
Babett Gumbrecht
Das „D-Day“-Papier zieht weiter Kreise: Der Initiator einer FDP-Basisinitiative verlangt jetzt personelle Konsequenzen.
Update vom 3. Dezember, 5.34 Uhr: Ulf Kasimir, Vorsitzender der FDP im hessischen Neu-Isenburg fordert den Rücktritt von Parteichef Christian Lindner. In der taz spricht sich Kasimir, der im Oktober einen Mitgliederentscheid zum Austritt der FDP aus der Bundesregierung angestoßen hatte, für eine personelle Neuaufstellung an der Parteispitze aus. „Es ist Zeit, dass sich Lindner zurückzieht“, so Kasimir. „Die FDP braucht einen personellen Neuanfang.“
Kasimir kritisierte Lindners Verteidigungsstrategie seit Bekanntwerden des „D-Day“-Papiers. „Es ist doch widersprüchlich, dass Lindner das Papier nicht kennt, aber Generalsekretär Bijan Djir-Sarai trotzdem gehen muss“, sagte Kasimir. Dass das Papier geschrieben wurde, sieht er nicht als Problem. „Die strategische Idee ist in Ordnung.“ Problematisch sei aber Kommunikation der Parteispitze seit Bekanntwerden der Pläne.
Kasimir sieht eine „Entfremdung“ zwischen der Spitze und der Parteibasis. Dass Lindner an der Spitze stehe und keine Anstalten mache zu gehen, mache es für die Partei schwierig. „Dass er in der Vergangenheit Gutes geleistet hat, steht außer Frage. Aber jetzt ist Zeit für jemand Neues.“
Zoff um D-Day-Papiere: Grünen-Chefin nennt Lindner einen Lügner
Update vom 30. November, 13.07 Uhr: Christian Lindner bleibt in der Affäre um die D-Day-Papiere unter Druck: Grünen-Chefin Franziska Brantner bezweifelt, dass der FDP-Chef eine Kenntnis vom umstrittenen Papier zum Ausstieg aus der Ampel hatte. Sie sagte der Bild: „Also wer die FDP kennt, weiß, dass ohne Christian Lindner eigentlich nichts möglich ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Herr Lindner gar nichts davon wusste.“
Wegen D-Day-Papier: Lindner lehnt Rücktritt weiterhin ab
Update vom 29. November, 21.47 Uhr: FDP-Chef Christian Lindner will die „Gesamtverantwortung“ für die Affäre um das von seiner Partei geplante Ampel-Aus übernehmen. „Natürlich musste und muss ich mich prüfen“, sagte Lindner in den ARD-Tagesthemen. Er wolle aber weiter als Spitzenkandidat für die FDP bei der kommenden Bundestagswahl antreten. Er mache seiner Partei das Angebot, „sie in die Bundestagswahl zu führen“, wie er in der ZDF-Sendung Heute Journal mitteilte.
Das am Mittwoch öffentlich gewordene D-Day-Papier, in dem die Liberalen den Bruch der Ampel geplant hatten, bezeichnete Lindner als „stilistisch nicht überzeugend“. Den Mitarbeitern, die das Dokument anfertigten, mache er jedoch keine Vorwürfe. „Ich trage die Gesamtverantwortung für die FDP und zu der bekenne ich mich auch.“
Update vom 29. November, 15.29 Uhr: Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum kritisiert nun auch den Parteichef Christian Lindner. „Lindner sollte davon abgehen, sich als Opfer zu inszenieren. Er ist nicht das Opfer“, sagte Baum dem Deutschlandfunk. Lindner hatte sich nach dem Ende der Ampel-Koalition als Opfer einer Entlassungsinszenierung dargestellt. Laut Baum schadet die aktuelle Diskussion der FDP: Der Koalitionsbruch sei auf eine Weise geplant worden, die nicht fair sei.
Baum erklärte weiter, dass die Behauptung der Parteiführung, nichts von dem Strategiepapier gewusst zu haben, zu Recht infrage gestellt werde. Die Partei müsse selbstkritisch sein, sich von dem Papier distanzieren und klarstellen, dass es ein Fehler gewesen sei.
Rücktritte in der FDP: Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann zieht nach
Update vom 29. November, 12 Uhr: Die FDP-Pressestelle berichtet, dass auch der FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann den Verzicht auf sein Amt angeboten hat. „Ich habe dem Parteivorsitzenden Christian Lindner heute meinen Verzicht auf das Amt des Bundesgeschäftsführers angeboten. Ich tue dies, weil ich eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte“, wurde Reymann zitiert.
Weiter hieß es: „Die FDP steht vor einer wichtigen Bundestagwahl, die eine Richtungswahl für Deutschland ist. In diesen Wahlkampf sollte die FDP mit voller Kraft und ohne belastende Personaldebatten gehen. Christian Lindner hat mein Angebot angenommen. Ich danke ihm herzlich für die stets freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit, gerade auch in bewegten Zeiten. Ich werde mich auch in Zukunft mit ganzen Herzen für die Freiheit und ihre politische Heimat, die FDP, einsetzen.“
Update vom 29. November, 11.45 Uhr: Wer wird nun der Nachfolger von Bijan Djir-Sarai bei der FDP? Die Bild-Zeitung spekuliert um Marco Buschmann, den ehemaligen Justizminister, der nach dem Ampel-Aus den Rücktritt aus der Bundesregierung erklärt hatte. Im Welt-TV-Sender hieß es außerdem, die Parteibasis blicke neben Buschmann auch auf den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Johannes Vogel als möglichen Nachfolger.
Update vom 29. November, 11.35 Uhr: FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat seinen Rücktritt erklärt. Er habe seine Entscheidung dem Parteivorsitzenden Christian Lindner erklärt. Er habe „unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert“. Dies sei nicht seine Absicht gewesen, er habe keine Kenntnis über das sogenannte D-Day-Papier gehabt. „Weder von der Erstellung, noch von der inhaltlichen Ausrichtung“, so Djir-Sarai. „Dafür entschuldige ich mich, für einen solchen Vorgang ist der Generalsekretär verantwortlich“, hieß es weiter. Er übernehme die politische Verantwortung, „um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der der FDP abzuwenden“, beendete Djir-Sarai seine Worte.
Update vom 29. November, 11.35 Uhr: FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist jetzt am Pult in der FDP-Zentrale in Berlin und äußert sich vor der Presse. Sein Rücktritt wird erwartet.
Update vom 29. November, 10.56 Uhr: Geht jetzt alles ganz schnell? Für 11.30 Uhr hat die FDP zu einer Pressekonferenz geladen. Nach ersten Medienberichten unter anderem der Bild-Zeitung und dem Spiegel könnte FDP-General Bijan Djir-Sarai dort seinen Rücktritt erklären – offiziell bestätigt ist dazu aber nichts.
Reaktionen zum veröffentlichten D-Day-Papier der FDP zeichnen eindeutiges Bild
Update vom 29. November, 9.47 Uhr: Die Details aus dem D-Day-Papier bringen nicht nur die Parteiführung in Erklärungsnot, sondern löst harsche Kritik aus. SPD und Grüne rechnen mit FDP ab. Generalsekretär Miersch sagte, dass das Handeln der FDP das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Institutionen zerstören würde. Auch andere Politker zeigten empörte Reaktionen nach „D-Day“-Papier der FDP.
D-Day-Papier bringt FDP-Spitze in Erklärungsnot – Partei stellt Dokument als PDF zum Download bereit
Update vom 29. November, 6 Uhr: Das Papier zum D-Day wurde auch auf der Website der FDP zum Download zur Verfügung gestellt. Hier können es Interessierte auf der FDP-Website als PDF herunterladen.
Aus dem D-Day-Papier der FDP: Christian Lindners vorbereitete Koalitionsbruch-Rede im Wortlauf
„Deutschland ist in die Krise geraten. Wir erleben das zweite Jahr Rezession unserer Wirtschaft und die wachsenden Sorgen um die Zukunft unseres Wohlstandes. Sorge um Arbeitsplätze. Sorge um die Rente. Sorge um den sozialen Zusammenhalt. Sorge um unsere Sicherheit in unsicheren Zeiten. Sorge um unsere Demokratie.
Alle diese Sorgen haben einen Ursprung: Unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Wir haben das Vertrauen in uns und unser Land verloren. Wir sehen überall die Probleme aber wenig Hoffnung auf bessere Zeiten. Aber: Unsere Wachstumsprobleme sind lösbar, sie erfordern nur entschlossenes und entschiedenes Handeln.
Seit einem Jahr tobt ein Richtungsstreit in der Bundesregierung über den richtigen Kurs zur Stabilisierung unserer Wirtschaft. SPD und Grüne wollen mit Subventionen, gelenkten Löhnen und Preisen, hohen Sozialausgaben, Investitionen und Konsum ankurbeln. Mit neuen Schulden und auf Pump.
D-Day-Papier im Wortlaut: FDP will strukturelle Standortbedingungen verbessern
Die FDP will die strukturellen Standortbedingungen verbessern. Geringere Steuern, weniger Bürokratie, bezahlbare Sozialbeiträge.
Diese fundamental verschiedenen Ansätze der Wirtschaftspolitik lassen sich nicht in einem Kompromiss lösen. Während die Regierungskoalition noch nicht mal das umsetzt, worauf sie sich im Sommer verständigt hat, legen SPD und Grüne wirtschaftspolitische Vorschläge auf den Tisch, die niemals eine Chance auf Umsetzung mit den Freien Demokraten haben. Das kann man nur als Einstieg in den Bundestagswahlkampf werten.
Der Richtungsstreit in der Bundesregierung ist selbst zum größten Standortrisiko für unser Land geworden. Unternehmen und ausländische Investoren halten Investitionen zurück, weil sie nicht wissen, wohin die Reise in Deutschland geht. Diesen Stillstand und diese Unentschiedenheit können wir nicht noch ein Jahr hinnehmen. Es geht um Jobs, es geht um Menschen, es geht um die Zukunft von 83 Millionen. Die Bundesregierung ist angetreten, um den Stillstand des Landes am Ende der Ära Merkel zu beenden. Nach 3 Jahren ist aber auch die Ampel zu Stillstand gekommen.
D-Day-Papier im Wortlaut: Bundesregierung muss „jetzt enden“
Deshalb muss diese Bundesregierung jetzt enden. Wir müssen zu schnellen Neuwahlen kommen, damit die deutsche Bevölkerung in demokratischen Wahlen entscheiden kann, welchen Weg unser Land nehmen soll. Wollen wir den Weg einer staatlichen Planwirtschaft einschlagen, mit Subventionen und vielen Vorschriften. Oder gehen wir zurück zu den Stärken der sozialen Marktwirtschaft. Freien Unternehmern, klaren Regeln, Leistung die sich lohnt und sozialen Schutz für diejenigen, die ihn brauchen.
Wir Freie Demokraten wollen nicht, dass die Ampel das Land in Geiselhaft hält. Deutschland wartet dringend auf Reformen - jetzt! Wir machen den Weg frei zu vorgezogenen Neuwahlen. Wir fordern alle Demokraten im Bundestag auf, die heute Verantwortung tragen oder zukünftig Verantwortung tragen wollen, mit uns gemeinsam einen geordneten Prozess für vorgezogenen Neuwahlen einzuleiten. Wir gehen hierzu heute den ersten Schritt.“
D-Day-Papier der FDP aufgetaucht: Lindner in Erklärungsnot
Erstmeldung vom 28. November: Berlin – Seit Wochen kursieren Gerüchte, dass der Ausstieg von Christian Lindner (FDP) aus der Ampel-Koalition gezielt herbeigeführt worden ist. Jetzt offenbaren Details: Zeitpunkt, Weg und Umsetzung waren von langer Hand geplant. Das zeigt ein nun öffentlich gewordenes internes Strategiepapier der FDP-Spitze, welches IPPEN.MEDIA ebenfalls vorliegt.
Die FDP soll ihren „D-Day“ lange geplant haben. In dem achtseitigen Dokument spielt die FDP den idealen Zeitpunkt des Ausstiegs sowie Medienstrategien durch. Unter dem Titel „D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen“ bereiteten sich die Liberalen auf alle Eventualitäten vor.
Darin ist zum Beispiel davon die Rede, dass der „ideale Zeitpunkt“ und ein „avisierter Ausstieg“ aus der Koalition zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es mit der Entlassung von FDP-Chef Lindner als Finanzminister durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tatsächlich zum Bruch der Koalition.
Um sich von dem Ereignis „etwas zu entkoppeln“, könne ein Ausstieg zu Beginn der 45. Kalenderwoche am 4. November erfolgen. Bei einer Verschiebung nach hinten werden andere Hindernisse angeführt: die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, der geplante Grünen-Parteitag und ein eigener Parteitag, der vorbereitet und zu dem eingeladen werden müsste.
Vorbereitetes Lindner-Statement: „Kernnarrativ“ soll Gründe für Ampel-Ausstieg deutlich machen
Festgehalten wird auch ein „Kernnarrativ“ - also eine Hauptbotschaft, mit der der Ausstieg verknüpft werden könnte. Fundamentale Gegensätze in der Wirtschaftspolitik zwischen Rot-Grün und der FDP seien nicht durch Kompromisse zu überbrücken. Die Bundesregierung sei selbst zum größten Standortrisiko geworden.
„Die deutsche Bevölkerung sollte in vorgezogenen Neuwahlen entscheiden, welchen Weg Deutschland zukünftig geht“, heißt es weiter. Auch ein vorbereitetes Statement von Lindner ist bereits enthalten sowie Szenarien, wann, wo und über welche Kanäle man den Ampel-Bruch am besten verkünden könnte.
Die FDP bezeichnet das Dokument als „Arbeitspapier“, das vom Bundesgeschäftsführer der Partei zum ersten Mal am 24. Oktober erstellt worden sei – veröffentlicht nun in der letzten Version vom 5. November. „Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition“, heißt es.
Das FDP-Papier enthält Angaben zu einem „Kernnarrativ“, das nach einem Ausstieg verbreitet werden müsse. Die FDP argumentiert darin mit einer notwendigen „Richtungsentscheidung“. Aufgrund der fundamentalen Gegensätze zwischen Rot-Grün und FDP sei die Bundesregierung selbst „zum größten Standortrisiko“ geworden.
„Arbeitspapier“ der FDP zeigt: Selbst die bildliche Umsetzung des Ampel-Bruchs war geplant
Die Liberalen argumentierten in dem Papier weiter, dass der Stillstand nur durch Neuwahlen zu lösen sei. So wollten sie den Bruch der Ampel begründen. „Neben den Worten sind die Bilder der Verkündung entscheidend, diese müssen eine Position der Stärke, Entschlossenheit und Überzeugung ausdrücken“, heißt es weiter in dem FDP-Dokument.
„Die Atmosphäre muss ernsthaft, aber nicht getrieben wirken.“ In einer Grafik ist zudem eine Ablaufpyramide illustriert - in der vierten und letzten Phase ist die Rede vom „Beginn der offenen Feldschlacht“.
Nach den ersten Berichten über das Dokument veröffentlichte es die Partei selbst - um „Transparenz herzustellen“. Die FDP nennt es ein „Arbeitspapier“, welches „sich mit den Fragen, wie ein Ausstieg der FDP aus der Bundesregierung kommuniziert werden könnte“, befasse.
Scharfe Kritik der SPD: Lindner organisiert eine „Feldschlacht“ gegen eigene Regierung
Auf scharfe Kritik stieß das Papier bei der SPD. „Die FDP organisiert eine ‚Feldschlacht‘ gegen eine Regierung, der man selbst angehört“, schrieb SPD-Chef Lars Klingbeil im Onlinedienst X (ehemals Twitter). „Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können.“ Bereits vor Veröffentlichung hatte ein SPD-Urgestein die FDP vor dem Bruch der Ampel-Koalition vor US-Wahl gewarnt.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Während die Menschen von der Regierung Lösungen erwarteten, arbeitete die FDP an einem perfiden Ausstiegsszenario.“ Miersch warf der FDP vor, mit „solch einem verantwortungslosen Handeln“ das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Institutionen zu zerstören. „Christian Lindner und seine FDP stehen in der Verantwortung, sich bei den Menschen in diesem Land zu erklären und zu entschuldigen.“
Von einem „Tiefpunkt politischer Unkultur“ spricht der SPD-Politiker Ralf Stegner. Auf X betonte er: „In einer Phase internationaler Krisen+Kriegen+großen Herausforderungen für das Land, ist die FDP ein Totalausfall.“
Bereits nach dem Koalitionsbruch waren Berichte bekannt geworden, wonach die FDP konkrete Vorbereitungen für den Ausstieg aus der Koalition mit SPD und Grünen getroffen habe. Die FDP hatte diese Berichte nicht dementiert - aber darauf hingewiesen, dass es letztliche Kanzler Scholz gewesen sei, der mit Lindners Entlassung den Bruch der Koalition bewirkt habe (bg/dpa).
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